| # taz.de -- Buch über Putins Rhetorik: Ein Mann, ein Wort, ein Krieg | |
| > Der Literaturwissenschaftler Riccardo Nicolosi analysiert Putins Rhetorik | |
| > und gibt Einblick in die ideologische Verfasstheit Russlands. | |
| Bild: Putin hält eine Rede während einer Sitzung des Vorstands des Föderalen… | |
| Man kann diesem Autor nur eines vorwerfen: Sein Buch kommt zu spät. Ein | |
| früheres Erscheinen hätte all die müßigen wie intellektuell dürftigen | |
| Diskussionen zur Frage „Was will Putin?“ mindestens bereichern, wenn nicht | |
| ganz ersetzen können. Denn, so darf man Riccardo Nicolosis Ausführungen | |
| verstehen: Was Putin will, ist kein Geheimnis, sondern deckt sich in der | |
| Regel ganz simpel mit dem, was er kommuniziert. In „Putins Kriegsrhetorik“ | |
| analysiert der Professor für Slawische Literaturwissenschaft an der | |
| Ludwig-Maximilians-Universität München eine Reihe von [1][Reden des | |
| russischen Präsidenten] und liefert so nicht nur ein geopolitisches | |
| Programm Wladimir Putins, sondern auch Einblicke in die ideologische | |
| Verfasstheit der russischen Gesellschaft. | |
| Putin sei zwar kein versierter Redner und tue sich schwer damit, | |
| Menschenmengen zu begeistern. Was er mitteile, habe gleichwohl größtes | |
| Gewicht, da es den Rahmen dessen abstecke, was wie gesagt werden soll und | |
| darf. Der Begriff [2][„militärische Spezialoperation“] ist hierfür ein | |
| gutes Beispiel. Warum diese Bezeichnung? Ein Grund bestehe darin, dass eine | |
| Spezialoperation anders als ein Krieg nicht gewonnen, sondern nur | |
| erfolgreich abgeschlossen werden müsse, womit sich Putin rhetorisch | |
| Spielraum für verschiedene Ausgänge verschaffe. | |
| Ein anderer, womöglich noch wichtigerer Grund besteht laut Nicolosi darin, | |
| dass der Begriff die „Vorstellung eines Einsatzes staatlicher | |
| Gewaltapparate für die Wiederherstellung der Ordnung in einer ‚inneren | |
| Angelegenheit‘“ evoziert. Einen Krieg kann man nur gegen ein anderes Land | |
| führen, womit man dessen Souveränität in gewisser Weise bestätigen würde. | |
| Ein wesentlicher Bestandteil der Kriegsrhetorik Putins besteht aber genau | |
| darin, die Eigenständigkeit der Ukraine zu bestreiten. | |
| Diese Art der Kommunikation wendet sich an die eigene Bevölkerung, sie ist | |
| aber nur einer von mehreren Modi, in denen Putin öffentlich kommuniziert. | |
| So wende er sich immer wieder drohend an den Westen, der bei ihm | |
| interessanterweise nicht gleichbedeutend ist mit der Nato, der USA oder der | |
| EU. Diese Offenheit gibt ihm die Gelegenheit, weite historische Bögen zu | |
| schlagen und letztlich zu einem Szenario zu kommen, in dem ebendieser | |
| diffuse Westen als argumentativer Pappkamerad stets Russland zu erobern | |
| versucht, sei es nun in Gestalt Polens zu Beginn des 17. Jahrhunderts, | |
| Napoleons zu Beginn des 19., Nazideutschlands im Zweiten Weltkrieg oder der | |
| Nato seit den neunziger Jahren. | |
| ## Putin gibt den antikolonialen Kämpfer | |
| In Putins Reden erscheint Russland so als geduldiger friedliebender Staat, | |
| der beständig von seinen westlichen Nachbarn gereizt wird, bis endlich das | |
| Maß voll ist. Diese Botschaft mag sowohl in gewissen politischen Kreisen in | |
| Europa verfangen als auch in weiten Teilen der Weltgemeinschaft, die | |
| ihrerseits ihre Probleme mit der westlichen Dominanz haben. Nicolosi | |
| verweist auf die vielen Versuche Putins, sich rhetorisch als antikolonialer | |
| Kämpfer zu stilisieren und dem Globalen Süden als Führungsfigur anzudienen. | |
| Antikolonial? Ausgerechnet Putins Russland, dessen Einmarsch in der Ukraine | |
| unter dem Stichwort Neoimperialismus diskutiert wird? Aus ukrainischer und | |
| europäischer Perspektive wirkt das zynisch, doch dürfte diese Argumentation | |
| ein Grund dafür sein, dass der Versuch einer internationalen Isolierung | |
| Putins nicht geglückt ist. Dessen Ambitionen im Globalen Süden könnten aber | |
| auch eine Chance bergen. Wenn Russland tatsächlich als antikoloniale | |
| Macht, mithin als [3][Alliierter der vom Westen Entrechteten], erscheinen | |
| will, dann ist es an Europa, bessere Argumente vorzubringen. Die Lektüre | |
| dieses Buchs dürfte sich also gerade dieser Tage auch für Diplomatinnen und | |
| Diplomaten lohnen. | |
| 16 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Wolf | |
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