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# taz.de -- Kommentar Angst vor Russland: Staaten im Schockzustand
> Der Ukraine-Schock sitzt tief bei den Menschen in Polen und den
> baltischen Staaten. Viele sehen Parallelen zur Politik Nazideutschlands.
Bild: Ein russisches Fähnlein und im Hintergrund wird am Parlamentsgebäude de…
Für die meisten Polen, Litauer, Esten und Letten sind die Dimensionen des
in der Ukraine aufgeflammten Konflikts ein Schock. Der Ukraine, die es
nicht geschafft hat, rechtzeitig in EU und Nato aufgenommen zu werden,
droht die Zerstückelung ihres Staatsterritoriums. Die Krim wurde schon
amputiert – vor den Augen der ganzen Welt.
Irgendwann soll es auch die Ost- und Südukraine treffen. Entsprechende
Karten kursieren bereits. Und was tun EU und USA angesichts dieser Gefahr?
Sie sperren die Bankkonten von ein paar Russen und Ukrainern und verhängen
Einreiseverbote.
Mit diesen Mini-Sanktionen aber ist der Konflikt nicht beizulegen.
Verzweifelt versuchen Polen und die baltischen Staaten den westlichen
Partnern zu erklären, dass es dem russischen Geheimdienst gelungen ist, die
ukrainische Staatsmacht so weit zu infiltrieren, dass Kiew kaum noch eine
Chance gegen die „Separatisten“ in der Ostukraine hat.
Sie verweisen auf historische Parallelen und traumatische Déjà-vus, die
Politiker in Berlin, London, Paris oder Brüssel nicht verstehen können oder
wollen.
Vielleicht sind das falsche Analogien und Argumente. Viele Polen und Balten
bemühen den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich von 1938, das Münchner
Abkommen und die anschließende Zerschlagung Tschechiens im März 1939.
Hitler gewann eine der wichtigsten Waffenschmieden Europas für sich.
Putin geht es auf der Krim (Flottenstützpunkte) und der Ostukraine
(Rüstungsfabriken) um nichts anderes. Propagandistisch hatte Hitler seine
Ziele mit dem völkischen Argument verbrämt, Österreicher und
Sudetendeutsche „heim ins Reich“ holen zu wollen.
Putin hingegen betont, dass Russland überall dort sei, wo Russen lebten.
Drohe diesen Russen Gefahr, werde Moskau auch militärisch eingreifen, um
sie zu schützen. Verständlich, dass nun alle Staaten zittern, die eine
massive Neuansiedlung von Russen hinnehmen mussten, nachdem die eigene
Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg und später in der Sowjetzeit nach Sibirien
deportiert wurde.
Politiker und Militärs in Polen und auf dem Baltikum gehen völlig zu Recht
davon aus, dass die Geschichte der Nazizeit allen Gesprächspartnern im
Westen geläufig ist, die Geschichte der stalinistischen Unterdrückung in
Osteuropa aber unbekannt ist, verdrängt oder verharmlost wird. Die
„Russland-Versteher“, die solche Vergleiche als „ahistorisch“ zurückwe…
zeigten nur Kumpanei mit dem eigentlichen Kriegstreiber.
Die traumatischen Ängste der Polen, Balten und Ukrainer sind mit dem
Hitler-Stalin-Pakt 1939 verbunden, dem anschließenden Überfall auf Polen
und die spätere Besatzungszeit.
Ab 1941 gehörte zwar auch die Sowjetunion zu den Opfern der
„Lebensraum“-Ideologie Hitlers. Aber bereits 1944/45 kehrte die russische
Besatzungsmacht in die zurückeroberten Gebiete zurück – und blieb dort bis
1989. Polen verlor ein Drittel seines Territoriums im Osten, wurde nach
Westen verschoben und musste auf Anweisung der Siegermächte die seit
Jahrhunderten ansässigen Deutschen vertreiben.
Die baltischen Staaten und die Ukraine wurden gegen ihren Willen zu
Sowjetrepubliken. Die einstigen Freiheitskämpfer wanderten als „Faschisten“
ins Gefängnis oder wurden hingerichtet. Die sowjetischen Massaker wie der
Massenmord an den polnischen Offizieren in den Wäldern von Katyn wurden
totgeschwiegen und auch nach 1989 nie geahndet. Das Zwangsbündnis des
Warschauer Paktes besiegelte dann die Feindstellung der „Ostblockstaaten“
zum Westen.
Verständlicherweise verbittert viele Polen, Balten und Ukrainer, dass das
Konzept der „Interessensphären“ aus dem Kalten Krieg noch immer in so
vielen Köpfen herumspukt. Als unlängst Deutschlands Außenminister
Frank-Walter Steinmeier die Bitte Polens ablehnte, deutsche Soldaten als
ein Nato-Kontingent zum Schutz nach Polen zu schicken, und dabei auf ein
Nato-Abkommen mit Russland verwies, war das in Polen ein Schock.
Polen wandte sich unverzüglich an Washington, das dann auch die gewünschten
Schutztruppen schickte.
Und noch eins: Alle ehemaligen Ostblockstaaten, die zwangsweise auch dem
Warschauer Pakt angehörten, haben das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie
der Nato beitreten wollen oder nicht. Das Befolgen eines
Gentleman-Agreements, das einst zwischen Bush sr. und Gorbatschow
stattgefunden haben soll, ist völlig inakzeptabel.
30 Apr 2014
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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