| # taz.de -- 1. Mai in der Ukraine: Väterchen Putin | |
| > Die Anhänger der prorussischen Milizen in Donezk gehen auf die Straße: | |
| > für Russland und das Christentum, gegen Homosexualität und Oligarchen. | |
| Bild: Mit russischen Fahnen fliegen lernen: Weit kommt man damit nicht | |
| DONEZK taz | „Russland! Russland!“, skandiert die Menge. Mit sich | |
| überschlagender Stimme ruft die Rednerin den Demonstranten auf dem Donezker | |
| Leninplatz zu: „Die Junta in Kiew hat die Lage nicht mehr im Griff. | |
| Geschäfte, Wohnungen und Firmen werden ausgeraubt. Es herrscht der Mob auf | |
| der Straße. Erhebt euch gegen die Junta! Der Faschismus kommt nicht durch! | |
| Keine amerikanischen Truppen in unserem Land! Nur Russland kann uns helfen. | |
| Russland!! Russland!!!“ | |
| Es sind nur wenige hundert Demonstranten, die der Rednerin am Vormittag | |
| dieses 1. Mai zuhören. Die Anhänger der Kommunistischen Partei der Ukraine | |
| sind weit weniger als die Teilnehmer der prorussischen Demonstration der | |
| Donezker Lokalpatrioten vom vergangenen Sonntag. | |
| Doch kurz nach zwölf Uhr stoßen über 5.000 weitere Demonstranten dazu: | |
| Anhänger der „Volksrepublik Donezk“, die sich zuvor vor der besetzten | |
| Bezirksverwaltung aufgehalten hatten. Aus der kleinen Veranstaltung der | |
| Kommunisten wird eine Großveranstaltung aller Kräfte, die eine Loslösung | |
| des Donbas von Kiew anstreben. | |
| Mit russischen Fahnen, Fahnen der „Volksrepublik Donezk“, vereinzelten | |
| Stalin-Porträts und dem Ruf „Krim – Donbas – Russland“ prägen sie das | |
| Straßenbild. Fast alle tragen das schwarz-orange gestreifte | |
| Sankt-Georgs-Band. Auf Transparenten fordern sie: „Schluss mit der | |
| Oligarchen-Ukraine! Es lebe die sozialistische Ukraine! Solidarität aller | |
| Werktätigen! Für ein Referendum über die Unabhängigkeit des Gebietes | |
| Donezk!“ | |
| Die Redner der Kommunistischen Partei und der Volksrepublik Donbas wenden | |
| sich gegen eine Demokratie, die die Homosexualität verherrliche, den | |
| orthodoxen christlichen Glauben angreife und auf Lügen basiere. | |
| Gleichzeitig beklagt man zunehmende Armut und steigende Preise. | |
| ## Das Morden geht weiter | |
| „Es interessiert uns nicht, ob die Regierung bessere Preise für Gas und Öl | |
| aushandelt“, ruft eine Rednerin erregt in das Mikrofon. „Oder habt ihr | |
| schon einmal erlebt, dass ihr weniger für eure Heizungen bezahlen müsst, | |
| nur weil die Regierung einen besseren Preis für das Gas erhält?“ | |
| Unterdessen wird die Ostukraine erneut von einem politisch motivierten | |
| Mordanschlag erschüttert. Am Dienstagabend entführten maskierte | |
| prorussische Lokalpatrioten in olivgrünen Tarnuniformen in der Stadt | |
| Lugansk den stadtbekannten Anwalt Igor Tschudowskij aus seiner Kanzlei. | |
| Tschudowskij ist Euromaidan-Aktivist und berät Geschäftsleute, die mit | |
| Firmen in der EU Handel treiben. | |
| Die Entführer brachten Tschudowskij in seinem Wagen zum lokalen | |
| Fernsehsender. Dort sollte er zwangsweise bei einer Pressekonferenz der | |
| „Volksrepublik Donezk“ auftreten. Bei seinem Fluchtversuch aus dem | |
| fahrenden Auto fielen dann die Schüsse auf ihn. Eine Kugel traf ihn nur | |
| wenige Millimeter vom Herzen entfernt. Derzeit befindet sich Tschudowskij | |
| nach Angaben seiner Anwaltskanzlei im Koma und wird künstlich beatmet. | |
| Nach diesem Attentat ist das Leben in der Stadt Lugansk zum Erliegen | |
| gekommen. Studenten verlassen die Universität, unter den | |
| Euromaidan-Aktivisten geht die Angst um. Einer berichtet, viele seiner | |
| Gesinnungsgenossen hätten entweder die Stadt verlassen oder würden sich bei | |
| Freunden verstecken. | |
| ## Immer mehr Geiseln der Milizen | |
| Ebenfalls am frühen Dienstagabend wurde in Donezk die Raiffeisenbank | |
| überfallen. Die Täter des Überfalls auf die Filiale des deutschen | |
| Geldhauses wurden von der Miliz und der Nationalgarde festgenommen. | |
| Immer mehr Menschen geraten im Gebiet Donezk in Geiselhaft der Milizen. Die | |
| russische Journalistin Anja Nemzowa berichtet, ihre Kollegen fühlten sich | |
| inzwischen an ihre Zeit als Berichterstatter in Tschetschenien erinnert. | |
| Derzeit, so schätzen ukrainische Journalisten, werden etwa 50 Menschen in | |
| Gebäuden der von prorussischen Milizen kontrollierten Stadt Slawjansk in | |
| Geiselhaft gehalten. | |
| Aber Gewalt geht von beiden Seiten aus. Vergangene Woche besetzten | |
| Mitglieder des Rechten Sektors den Flughafen von Cherson und verhinderten, | |
| dass der Kandidat der Partei der Regionen des Expräsidenten Janukowitsch, | |
| Michail Dobkin, die Stadt besuchen konnte. Und in Lugansk schützen | |
| Fußballfans mit Baseballschlägern Veranstaltungen des Euromaidan. | |
| Die Stimmung rund um Donezk ist explosiv. „In wenigen Tagen sind wir | |
| Frontstadt“, erzählt eine Marktverkäuferin in der Kleinstadt Enakiewo. | |
| „Hoffentlich beschützt uns Putin vor den ’Amerikosy‘“, wie die Amerika… | |
| hier verächtlich genannt werden. Derzeit, so heißt es, ziehe die | |
| ukrainische Armee rund um Donezk Truppen zusammen. „Kurz nach dem 1. Mai | |
| werden sie losschlagen“, so eine Einschätzung. | |
| 1 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Clasen | |
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