# taz.de -- Kommentar 1. Mai in Berlin: „Früher Flaschen, heute gaffen“ | |
> Es ist nicht gelungen, die Proteste am 1. Mai an aktuell brisante | |
> politische Themen anzubinden. Was bleibt sind Mythen und Touristen. | |
Bild: Demoromantik am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. | |
Die Zahlen beeindrucken: 40.000 Besucher auf dem Myfest, 20.000 auf der | |
Revolutionären 1.Mai-Demo, die durch Kreuzberg, Neukölln und Mitte zur | |
SPD-Zentrale marschierte. Die Masse an Live-Tickern, aufgeregter | |
Krawall-Bericht-Erstattung, an Vorbereitung auf allen Seiten indes | |
rechtfertigen sie seit langem nicht mehr. In der Linken gab es in den | |
letzten Jahren viel erfolgreiche Konzepte für Protest, die ans Hier und | |
Jetzt angeknüft haben, an alltägliche Aspeke wie Arbeitsbedingungen oder | |
Mieten, mit Blockupy auch die Politik der europäischen Union. Diese mit dem | |
1. Mai zu verbinden, ist nicht gelungen. | |
„Kreuzberg in den 1980ern, das war wirklich Krieg, vor allem am ersten | |
Mai!“, sagt ein Anwohner, nicht ohne sich dabei wohlig zu gruseln. | |
Kreuzberg in den 1980ern, der 1. Mai 1987, die Herausforderung und der | |
kurzfristige Sieg über die Staatsmacht – das hatte eine solche Strahlkraft, | |
dass der Mythos bis heute am 1. Mai die Menschen nach Kreuzberg zieht, | |
Linke wie Touristen. | |
Allerdings hat sich deren Verhältnis inzwischen umgekehrt. „Früher | |
Flaschen, heute gaffen“, kommentierte eine Userin auf Twitter treffend ein | |
Bild, auf dem Hunderte von Neugierigen, das Bier in der Hand nahe des | |
Kottbusser Tores die Polizisten anstarrten und warteten, dass was passiert: | |
Krawall-Touristen eben. | |
Selbst randalieren wollen sie nämlich nicht, aber so ein paar Flaschenwürfe | |
sehen oder gar fliegende Steine, um dann die Neuigkeiten ins Smartphone zu | |
tippen, das wäre schon schön. Auf dem Myfest bot ein kluger Geschäftsmann | |
eine Treppe für Foto-Aufnahmen an, 50 Cent die Nutzung – für den Selfie vor | |
der überfüllten Oranienstraße. | |
## Und die Polizei? | |
Das Myfest, eingerichtet um die Proteste einzudämmen, ist längst auch kein | |
Fest für die alteingessessen Anwohner, sondern vor allem eine Attraktion | |
bei Touristen und Neu-Zugezogenen. Noch ziehen die Grillschwaden rund um | |
den Mariannenplatz, aber es wird nicht lange dauern, da werden Köfte und | |
Sucuk durch Bio-Burger und vegane Häppchen verdrängt werden. | |
Der 1. Mai ging in Kreuzberg auch in diesem Jahr weitgehend friedlich über | |
die Bühne ging, von einer kurzen U-Bahn-Blockade abgesehen, einigen | |
Rangeleien mit der Polizei, etwas Glas und einem brennenden Auto. Aber wenn | |
Polizei und Senat jetzt verkünden, dies sei der „zurückhaltenden und doch | |
entschlossenen“ Polizeitaktik zu verdanken, ist das nur ein Teil der | |
Wahrheit. | |
Der andere Teil: Die 1. Mai Mythen überleben sich. Es ist Zeit für etwas | |
Neues. | |
2 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Juliane Schumacher | |
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