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# taz.de -- Traditionspflege am 1. Mai: Krawall ist so Achtziger
> Es könnte gewaltfrei werden: Die Demo-Organisatoren geben sich sanft, die
> Polizei entspannt sich, die Militanten resignieren.
Bild: Kreuzberg am 1. Mai 2009.
BERLIN/HAMBURG taz | Die Revolutionäre laden zu ihrer Pressekonferenz in
ein enges Klassenzimmer eines Kreuzberger Kulturzentrums. An die Wand haben
Peter Müller und Michael Prütz rote Plakate geklebt: „1. Mai – Widerstand,
Aufstand, Revolution“. Doch das, was die beiden Demo-Veteranen zur
alljährlichen Großdemo kundtun, klingt weit weniger martialisch.
„Wir haben nichts gegen einen friedlichen 1. Mai“, sagt Müller, der
Demo-Sprecher, der sicher anders heißt. Das hänge vor allem an der Polizei:
„Wir aber werben darum, dass auf unserer Demo Inhalte zum Ausdruck gebracht
werden.“ Noch deutlicher wird Prütz, ein früherer WASG-Funktionär im
Karohemd. Der 1.-Mai-Aufzug sei „keine Folklore-Veranstaltung“. „Wir haben
klare politische Ziele und sind nicht die Vorlage für erlebnisorientierte
Easyjet-Touristen.“ Es gebe keine Ambitionen, „steinewerfend durch die
Straßen zu laufen“.
In den Vorjahren war die Pressekonferenz der 1.-Mai-Revolutionäre stets
Bühne rhetorischen Radaus. Da wurden soziale Unruhen ausgerufen oder ein
polizeifreies Kreuzberg gefordert, sonst könne man für nichts garantieren.
Und nun das.
Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt gibt sich bereits entspannt: „Wir
haben eine gute Ausgangslage.“ Die Gespräche mit den Demo-Anmeldern seien
„sehr gut“ gelaufen. Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) lässt der
„positive Trend“ der letzten Jahre hoffen, dass es gelinge, „das
Gewaltritual zu durchbrechen“. Der Berliner Demo-Anmelder Michael
Mitterhauser, ein Gewerkschafter, will da nicht widersprechen. Er hoffe auf
eine „sehr große Demo, auf der Inhalte wie der Kampf für Flüchtlinge und
gegen hohe Mieten im Vordergrund stehen“.
## Den Verdrängungskampf verloren
Sicher, es ist nicht der Schwarze Block, der am Dienstag zur
Pressekonferenz lädt. Dessen Vertreter allerdings kapitulierten schon am
Sonntag. „Ernüchterung aus militant-antagonistischer Sicht“, überschrieb
eine Gruppe auf dem linken Online-Sprachrohr Indymedia einen Beitrag über
den Berliner 1. Mai. Die „Bullen“ hätten die „abendlichen Brennpunkte
mittlerweile gut im Griff“. Das Myfest, ein von Tausenden besuchtes
Musikfestival im einstigen Kreuzberger Randalegebiet, habe den
„Verdrängungskampf gewonnen“. Dass die Autonomen-Demo dennoch erneut gut
besucht sein werde, sei „genauso garantiert wie ein ausverkauftes
Helene-Fischer Konzert“.
Verzweifelter Spott. Ist es das, was den Autonomen noch bleibt? Tatsächlich
war der 1. Mai schon in den Vorjahren ruhig wie lange nicht. 2013 zogen die
Autonomen in Berlin bis fast vors Brandenburger Tor – fast ohne jede
Randale. Fünf Jahre ist es her, dass es in Berlin zuletzt richtig krachte,
als Steine auf Polizisten prasselten und Molotow-Cocktails flogen. Danach
bleib es bei kleinen Ausreißern – die meisten angezettelt von besoffenen
Myfest-Besuchern.
## Hamburg auch peacig
Auch in Hamburg, zweiter autonomer Großschauplatz am 1. Mai, spricht in
diesem Jahr vieles für Entspannung. Zwei Großdemos plant die Szene, am 1.
Mai und am Vorabend. „Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass es so
verläuft wie in den letzten Jahren“, sagt Hamburgs Polizeisprecher Mirko
Streiber. Also weitgehend ruhig.
Im letzten Jahr wurde das autonome Schanzenfest um dessen Kulturzentrum
Rote Flora wegen der unpolitischen Randale gar gänzlich abgesagt. Die
Flora, sagt heute ihr Sprecher Andreas Blechschmidt, sei „zur Bühne eines
sich an sich selbst berauschenden Krawalls“ geworden. Zu einer „Plattform
für diejenigen, die mal richtig loslegen wollen“. Darauf habe man keine
Lust. Klare Worte.
Dabei waren die Vorzeichen andere. Im Dezember endete in Hamburg eine Demo
für den Erhalt der Roten Flora, für die Sozialbauten „Esso-Häuser“ und e…
Bleiberecht für Flüchtlinge in Randale wie lange nicht. Wüst gerieten Linke
und Polizisten aneinander. Am Ende standen 320 Gewahrsamnahmen und Dutzende
Verletzte auf beiden Seiten. Der Verfassungsschutz warnte vor einer
„Eskalation“ mit einem möglichen Höhepunkt: am 1. Mai.
Doch davon ist keine Rede mehr. Heute, sagt Polizeisprecher Streiber, gebe
es „eine ganz andere Konstellation“. Und tatsächlich hat der Hamburger
Senat zumindest den Streit um die Rote Flora entschärft - indem er deren
Spekulanten als „enteignet“ erklärte.
Entscheidend für den 1. Mai wird nun vielmehr sein, wie die neue
Polizeiführung in Hamburg mit der Lage umgeht. Der Gesamteinsatzleiter
Peter Born, der im Dezember die schweren Krawalle mit auslöste, ist in den
Ruhestand gegangen. Sein Nachfolger Hartmut Dudde ist allerdings aus
demselben Kaliber geschnitzt.
Auch in Berlin ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Dort verlegten
Militante schon im Vorjahr ihre Arbeit abseits der Abenddemo: In der
Folgenacht flogen Farbbeutel auf Jobcenter und Steine auf eine
SPD-Geschäftsstelle. Die Sozialdemokraten sind in diesem Jahr auch Endpunkt
der 18-Uhr-Demo: Die will zur Bundeszentrale ziehen. Die Partei dient der
Szene als Hartz-IV-Erdenkerin weiter als Feindbild, umso mehr, seit sie
wieder mitregiert. Zudem befinden sich mitten in Kreuzberg weiter
Flüchtlinge im Hungerstreik, nachdem im April ihr Protestcamp geräumt
wurde. Auch dies ein Brennpunkt.
Dennoch spricht auch in der Hauptstadt einiges für einen friedlichen 1.
Mai. Als dort am Samstag die NPD aufmarschieren wollte, galt dies als
Generalprobe. Sie endete in Volksfeststimmung: 6.000 Berliner stellten sich
in den Weg, es blieb bei Sitzblockaden.
Auch als die autonome Szene im März mit großen Tönen zum Antirepressionstag
lud, blieb es harmlos. Die Polizei ließ die Militanten und ihre
unangemeldete Demo auflaufen. Ein „Desaster“, wie die Organisatoren
einräumten. Und selbst als das Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz
abgebaut wurde und die Autonomen zuvor wochenlang mit Randale drohten,
blieb nur ein lauer Aufzug.
Der „Rest antagonistischer Politik in der Hauptstadt“ befinde sich in einem
„anhaltend miserablen Zustand“, resignieren die Indymedia-Autoren.
„Revolten lassen sich eben nicht konservieren.“ Dies gelte „genauso für …
1. Mai“.
Auch auf der Pressekonferenz im Kreuzberger Kulturzentrum wird nur kurz
aufgemuskelt. Das Gewaltmonopol des Staates werde man natürlich auch weiter
nicht akzeptieren, sagt dort Peter Müller - um gleich wieder versöhnlich zu
werden. Wenn die Polizei schriftlich versichere, auf Gewalt zu verzichten,
"dann sind auch wir zu Zugeständnissen bereit".
30 Apr 2014
## AUTOREN
Konrad Litschko
Kai von Appen
## TAGS
Tag der Arbeit, Tag der Proteste
Kreuzberg
Gefahrengebiet
Autonome
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
SPD
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Hamburg
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