# taz.de -- Kommentar Boko Haram in Nigeria: Brutale Facette eines Machtkampfs | |
> Boko Haram ist keine durchgeknallte Sekte, die Mädchen reißt. Sie ist | |
> eine hochgerüstete Armee. Und Nigerias Politik trägt eine Mitschuld an | |
> der Eskalation. | |
Bild: Es ist wichtig, dass die Weltgemeinschaft sich über Nigeria endlich einm… | |
Endlich stößt die Krise in Nigeria auf die internationale Aufmerksamkeit, | |
die sie verdient. Tausende von Toten und ein blutiger Bürgerkrieg im | |
Nordosten des Landes sorgten bislang außerhalb Nigerias kaum für | |
Schlagzeilen. Die Entführung mehrerer hundert Schulmädchen durch die | |
islamistische Untergrundarmee Boko Haram hat hingegen eine breite | |
internationale Solidaritätskampagne ins Leben gerufen. | |
Und obwohl solche [1][Online-Kampagnen] durch die dadurch erzwungene | |
Vereinfachung des Blickes und das daraus entstehende simple Gut-Böse-Denken | |
immer grundsätzlich fragwürdig sind, ist es wichtiger, dass die | |
Weltgemeinschaft sich über dieses 170-Millionen-Einwohner-Land endlich | |
einmal Gedanken macht. | |
Das allerdings darf nicht dazu führen, die Lage in Nigeria so komplett | |
misszuverstehen, dass die Lösungsversuche keine mehr sind. Glaubt man | |
manchen Mediendarstellungen, ist Boko Haram eine durchgeknallte Sekte | |
rückständiger Bildungsverweigerer, die ab und zu aus ihren Höhlen in der | |
Wüste kriechen, Bomben schmeißen und jetzt eben auch Mädchen reißen. | |
In Wahrheit ist Boko Haram eine hochgerüstete, professionell organisierte | |
und auftretende Armee, die Nigerias Militär immer wieder in Schach hält. | |
Ohne mächtige Gönner in der traditionell skrupellosen und intriganten | |
nigerianischen Politik und möglicherweise auch im Militär selbst könnte | |
Boko Haram nicht existieren. | |
Viele der Demonstranten, die jetzt täglich in der Hauptstadt Abuja auf die | |
Straße gehen, hegen großes Misstrauen gegen den eigenen Staat und der | |
mutmaßlichen Rolle einzelner politischer Akteure. Regelmäßige Übergriffe | |
der Sicherheitskräfte bei der Jagd auf die Islamisten, angefangen mit | |
Hunderten zivilen Opfern bei der Erstürmung ihres städtischen | |
Hauptquartiers vor fünf Jahren, sind für Boko Haram auch ein | |
Mobilisierungsfaktor unter Teilen der Bevölkerung Nordostnigerias. | |
## Anzeichen für einen regionalen Konflikt | |
Dazu kommt die regionale Dimension. Welche Rolle Boko Haram in den | |
transsaharischen Schmuggelwegen für Waffen und Kämpfer spielt, die sich | |
längst von Libyen bis Mali und Zentralafrika erstrecken, ist nicht bekannt, | |
aber sicherlich ist auch das ein wichtiger Faktor. Und falls nach den | |
genozidalen Pogromen gegen die Muslime in der Zentralafrikanischen Republik | |
versprengte muslimische Rebellen aus Zentralafrika neue Verbündete finden, | |
um Rache für die Tausenden Toten und die Hunderttausenden Vertriebenen in | |
ihrer Heimat zu suchen, wäre der Krieg Boko Harams ganz schnell ein | |
regionaler Konflikt. Anzeichen dafür gibt es in Kamerun bereits. | |
Angesichts all dessen ist die Idee, Boko Haram lasse sich durch Stärkung | |
der nigerianischen Streitkräfte eliminieren, zu kurz gegriffen. Wenn nun | |
also die USA, Großbritannien und Frankreich Expertenteams, Militärberater | |
und möglicherweise auch insgeheim Spezialkräfte nach Nigeria schicken, um | |
Boko Haram zu jagen, ist schon jetzt klar, dass das an sich wenig bringen | |
wird. | |
Muss dann also als nächster Schritt eine lang anhaltende | |
grenzüberschreitende Militärkampagne folgen? Die vergebliche, sehr mühsame | |
und ziemlich kostspielige regionale Jagd auf den ugandischen Warlord Joseph | |
Kony und seine mysteriöse Lord's Resistance Army (LRA) in Kongo, der | |
Zentralafrikanischen Republik und Südsudan sollte da eine Mahnung sein. | |
Nigeria kann sich keine zweite LRA leisten. | |
Vieles deutet darauf hin, dass die Boko-Haram-Krise vor Nigerias Wahlen | |
2015 nicht zu lösen sein wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit dürfte sie, | |
politisch gesteuert, bis dahin weiter eskalieren – als eine besonders | |
öffentliche, unappetitliche und brutale Facette des innenpolitischen | |
Machtkampfs in Nigeria. Dann aber liegt der Schlüssel zur Lösung nicht in | |
den Savannen und Bergwäldern Nordostnigerias, sondern mitten in den | |
Schaltstellen der Macht. Mal sehen, ob einer der ausländischen Partner | |
Nigerias sich das zu sagen traut. | |
8 May 2014 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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