Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bombenanschlag in Nigeria: Krieg ohne Gesicht
> Die Islamisten um Boko Haram werden mächtiger. Nach dem erneuten Anschlag
> richtet sich die Wut der Einwohner immer stärker gegen Regierung und
> Armee.
Bild: Ort des Anschlages vom Abend des 1. Mai in Nyanya am Rande der Hauptstadt…
ABUJA taz | Es ist nicht einfach, an den Ort des neuesten nigerianischen
Terroranschlags zu gelangen. Die Taxifahrer in der Hauptstadt winken alle
ab. Manche verziehen spöttisch den Mund. „Nach Nyanya“, kichert einer
zynisch, „nach Nyanya fahre ich doch nicht. Da ist jetzt bestimmt ganz viel
Stau.“ Doch der Stau ist es nicht. „Nyanya steckt in Schwierigkeiten“, sa…
er fast diplomatisch und lässt sich nach langem Verhandeln breitschlagen.
Für den doppelten Preis ist er zur Fahrt an den Rand von Abuja bereit.
Die „Schwierigkeiten“ sind Nigerias beherrschendes Thema. Am späten
Donnerstagabend ist es in Nyanya am Rande der Schnellstraße, die ins
Zentrum von Abuja führt, erneut zu einem blutigen Bombenanschlag gekommen.
Am Freitagmittag spricht die Polizei von 19 Toten und 66 Verletzten. Auf
den Sitzen eines blauen VW-Golfs kleben noch Blutreste. Auf dem Boden
liegen Scherben, kaputte Plastikflaschen und Orangen. Dort, wo die
Attentäter den Sprengsatz zündeten, stehen Dutzende Polizisten. Ein paar
Autowracks warten auf den Abtransport.
Bisher hat sich noch niemand zu dem Attentat bekannt. In Nigeria gehen die
Menschen aber davon aus, dass „die Terroristen“ dahinter stecken. So nennt
man die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, die Nigeria so mächtig wie
nie zuvor in Atem hält. Nach einer Zählung der International Crisis Group
sind Boko Haram alleine in der ersten Aprilhälfte 500 Menschen zum Opfer
gefallen. Nyanya hat es besonders schlimm getroffen: Vor knapp drei Wochen
explodierten ganz in der Nähe des neuesten Anschlagorts, auf dem großen
Busbahnhof, bereits zwei Bomben. Damals starben mindestens 74 Menschen.
## Demonstrationen für verschleppte Schülerinnen
Nicht nur mit Bomben sorgt Boko Haram für Angst und Schrecken. In der Nacht
zum 15. April entführten Anhänger der Gruppe 276 Mädchen aus einem Internat
im Bundesstaat Borno, wo Nigerias Armee gegen Boko Haram Krieg führt und
der Ausnahmezustand herrscht. Es gibt bereits Gerüchte, dass die
Schülerinnen verkauft und zwangsverheiratet wurden. Am Mittwoch
demonstrierten in Abuja Angehörige für die Freilassung der Mädchen – ohne
Erfolg.
Die Wut der Menschen richtet sich nicht nur gegen Boko Haram. Auch Nigerias
Regierung steht in der Kritik. Die Massenentführung wurde erst nach zehn
Tagen während einer Sicherheitskonferenz von der Regierung zum großen Thema
erklärt: Das Militär wolle alles tun, um die Mädchen zu retten. Doch auf
die Sicherheitskräfte verlässt sich in Nigeria kaum noch jemand. Das
einzige Ergebnis ihres jahrelangen Krieges ist, dass die Militanten ihr
Aktionsgebiet immer weiter ausdehnen.
Boko Haram scheint heute unfassbarer denn je. Mitunter sterben zwar
Boko-Haram-Anhänger bei Gefechten. Doch an die Hintermänner kommt das
Militär nicht ran. Wo sie sind und vor allem wer sie finanziert, darüber
gibt es in Nigeria viele Gerüchte. Immer wieder heißt es, dass
möglicherweise einflussreiche Politiker zu den Drahtziehern gehören
könnten, die vor Nigerias Wahlen 2015 Instabilität schüren wollen.
## Angst im Riesenstaat
Neben dem neuen Anschlagsort in Nyanya liegt der große Markt. Man muss nur
die Schnellstraße überqueren und ist mitten im Gewimmel. An diesem Freitag
haben viele Stände geschlossen. Die Menschen stehen beieinander, beobachten
die Polizei und diskutieren die Ereignisse des Vorabends.
Ein junger Mann, der sich Michael nennt, möchte sich gar nicht ausdenken,
was passiert wäre, wenn die Terroristen ihr Auto nur hundert Meter weiter
abgestellt hätten, mitten in der Menge. „Ja, Angst haben wir. Die Polizei
tut zwar was“, sagt er. „Aber kannst Du Deinen Leuten in Deutschland nicht
mal sagen, sie sollen Verstärkung schicken, Militär zum Beispiel? So etwas
brauchen wir jetzt unbedingt.“
Nigeria gibt sich gerne souverän. Afrikas Riesenstaat, in dem 160 bis 170
Millionen Menschen leben, prahlt damit, nicht nur das bevölkerungsreichste
Land des Kontinents zu sein, sondern neuerdings auch die größte
Wirtschaftsmacht: Eine Neuberechnung des Bruttosozialprodukts, um neue
Branchen wie Mobilfunk zu berücksichtigen, ließ Nigeria unlängst an
Südafrika vorbeiziehen. Weltweit sorgte das für positive Schlagzeilen. In
der nächsten Woche findet nun das Afrika-Weltwirtschaftsforum in Abuja
statt.
Dabei nährt nicht nur der Terror Zweifel daran, ob das eine gute Idee ist.
Die Stromversorgung in der Hauptstadt ist im Moment so mies wie selten
zuvor. Gerade abends fällt in vielen Stadtteilen ständig das Licht aus.
Stattdessen brummen überall Generatoren und treiben die
Lebenshaltungskosten immens in die Höhe – auch das ein Grund, warum Orte
wie Nyanya zu Anschlagszielen mit vielen Toten werden können.
Es ist für die meisten Menschen zu teuer, in Abuja zu leben. Wer keine
reiche Familie im Hintergrund oder einen Job bei einer der internationalen
Organisationen hat, zieht an den Rand der riesigen Millionenstadt. An
Verkehrsknotenpunkten wie Nyanya kommen morgens und abends die Pendler
zusammen, wechseln zwischen Bussen und Autos, in denen sie Stunden auf der
Straße verbringen.
## "Wir sind einfach überhaupt nicht einverstanden"
Jetzt müssen sie noch mehr Zeit einplanen. Denn immer wenn es einen
Anschlag gibt, setzen Polizei und Militär auf Straßensperren. Eine neue
wurde in der Nacht zum Freitag direkt neben dem neuen Anschlagsort
errichtet. Neben ihr steht Haruna Angu Shraibu und schüttelt den Kopf. Er
ist der traditionelle Dorfchef von Nyanya. Als er am Donnerstagabend die
Explosion hörte, dachte er zuerst an einen geplatzten Autoreifen. Doch dann
fing er an, Tote und Verletzte zu zählen.
Nun hat er auch noch diese Straßensperre vor der Haustür. Der alte Mann
hält sich mit Kritik zurück. „Die Sicherheitskräfte tun ja etwas für uns�…
sagt er versöhnlich. Aber muss diese Sperre sein? Sie könnte leicht zum
nächsten Anschlagsziel werden. Niemand käme davon, wenn Attentäter in einem
wartenden Auto Sprengstoff zündeten.
Angu Shraibu wünscht sich, dass die Regierung mehr an die Menschen denkt.
Seit Jahren lehnt der Staat Entschädigungen für Opfer von
Boko-Haram-Anschlägen als „zu teuer“ ab. Die vielen Toten geraten damit
allzu schnell in Vergessenheit. In Nyanya soll das nicht geschehen dürfen,
findet der traditionelle Chef. Zum Schluss platzt es dann doch noch aus ihm
heraus. „Wir sind einfach überhaupt nicht einverstanden damit, was mit uns
geschieht. Und wenn es sein muss, dann demonstrieren wir eben vor dem
Parlament für unsere Sicherheit.“
2 May 2014
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Nigeria
Boko Haram
Islamismus
Abuja
Nigeria
Afrika
Nigeria
Nigeria
Nigeria
Nigeria
Nigeria
Nigeria
Nigeria
Nigeria
Nigeria
## ARTIKEL ZUM THEMA
Verschleppte Schülerinnen in Nigeria: Entführte angeblich in Zentralafrika
Augenzeugen in der Zentralafrikanischen Republik wollen „englisch
sprechende“ Mädchen gesehen haben. Amnesty International erhebt Vorwürfe.
Kommentar Boko Haram in Nigeria: Brutale Facette eines Machtkampfs
Boko Haram ist keine durchgeknallte Sekte, die Mädchen reißt. Sie ist eine
hochgerüstete Armee. Und Nigerias Politik trägt eine Mitschuld an der
Eskalation.
Entführte Schülerinnen in Nigeria: Aufstehen für die Verschwundenen
Das Schicksal der 230 von Boko Haram entführten Mädchen bewegt das Land. In
der Hauptstadt Abuja fragen sich viele, warum sie verschwunden bleiben.
Exilnigerianer startet Netzkampagne: Solidarität mit den Entführten
Weltweit haben mehr als 400.000 User den Aufruf „Bring Back Our Girls“
unterschrieben. Auf Twitter gibt es schon drei rivalisierende Accounts.
Islamistische Rebellen: Afrikas neueste Gotteskriegsfront
In Kamerun treffen muslimische Untergrundkämpfer aus Nigeria auf
muslimische Rebellen aus Zentralafrika. Sie erweitern ihren Krieg über die
Grenzen.
Kidnapping in Nigeria: Boko Haram führt die First Lady vor
Während die Islamisten sich zur Geiselnahme Hunderter Schulmädchen
bekennen, zweifelt die Präsidentengattin an, dass es überhaupt eine
Entführung gab.
Gewalt in Nigeria: Terror am Busbahnhof
In Abuja sind bei einem Attentat mindestens 16 Menschen ums Leben gekommen.
Die Bombe explodierte am selben Busbahnhof wie bei dem Doppelanschlag im
April.
Entführung in Nigeria: Demonstrieren für die Freiheit
Hunderte Angehörige der verschleppten Schülerinnen sind für deren
Freilassung auf die Straße gegangen. Sie fordern die Mithilfe der UN bei
der Suche nach den Mädchen.
Entführte Schülerinnen in Nigeria: Es fehlt noch jede Spur
Offenbar sind in Nigeria noch weit mehr Schülerinnen durch Boko Haram
entführt worden. Doch ganz genau weiß das wohl niemand.
Kommentar Terroranschlag in Nigeria: Opfer zweiter Klasse
Der Anschlag in Abuja zeigt, dass sich der islamistische Terrorismus nicht
allein mit militärischen oder polizeilichen Mitteln bekämpfen lässt.
Anschlag in Nigeria: Bombenhorror an der Bushaltestelle
Mitten im Berufsverkehr explodiert die Bombe. Alles spricht für die
Islamisten von Boko Haram als Täter. Die werden ständig stärker. Die
Regierung ist hilflos.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.