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# taz.de -- Umweltpolitik der EU: Mehr Luft zum Atmen
> Brüssel hat eine unterschätzte grüne Seite: Die EU ist nämlich eine
> umweltpolitische Erfolgsgeschichte. Ohne sie wäre vieles noch schlimmer.
Bild: Ach wie schön ist Euroland...
Im Sommer 2009 drohten in Europa die Lichter auszugehen: Die EU-Kommission
hatte den Verkauf von 100-Watt-Glühbirnen untersagt und die Wellen der
Empörung schlugen hoch. „Wir wollen nicht mehr bevormundet und vergiftet
werden“, erregten sich 25.000 Menschen in einer Internetpetition über die
Lampen mit Quecksilberanteil. Schlafforscher warnten vor Albträumen durch
kalt-blaues Licht am Abend, und der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul
polterte: „Die Ökodiktatur siegt über Verbraucherinteressen!“
Fünf Jahre später ist von großflächigen Vergiftungen und landesweiten
Schlafstörungen durch die Energiesparlampen kaum die Rede. Auch von
Bio-Gulags der Öko-Diktatoren aus Brüssel hört man nichts.
Im Gegenteil ist die Umweltpolitik der Europäischen Union trotz allem
Zögern und Zagen eine Erfolgsgeschichte: Die Belastung von Menschen und
Ökosystemen durch Schadstoffe wurde deutlich reduziert; die Natur bekommt
stellenweise wieder Luft zum Atmen; der Klimawandel ist als Problem
anerkannt und wird halbherzig bekämpft. Zwar ist auch Europa kein
Streichelzoo: Landwirtschaft, Verkehr, Energiepolitik und
Industrieinteressen dominieren weite Bereiche der Politik. Aber ohne die EU
wären die Probleme noch größer.
„Europa sorgt für Umweltschutz“, preist die EU-Kommission ihre eigene
Arbeit. Ein halbes Dutzend Kommissare sind für Umwelt, Klima, Energie,
Landwirtschaft, Verkehr oder Verbraucherschutz zuständig, Behörden wie die
Europäische Umweltagentur (EEA) in Kopenhagen sammeln eifrig Daten. In der
Theorie ist die EU weltweit einmalig: Offiziell gelten hier das
„Verursacherprinzip“ (wer Dreck macht, muss dafür zahlen) und das
„Vorsorgeprinzip“ (wenn etwas gefährlich sein kann, wird es verboten). In
der Praxis sieht das oft anders aus: Da wird der Emissionshandel
durchlöchert und die Chemieindustrie wehrt sich gegen eine Überprüfung
ihrer Produkte. Und vor allem: Wenn „Brüssel“ Gesetze macht, müssen die
Staaten sie in nationales Recht übernehmen, umsetzen und kontrollieren –
genug Möglichkeiten, um sie zu bremsen und zu verwässern.
## Giftgrüne Agrarpolitik
Trotzdem: „Viele Umweltgesetze in den Mitgliedsstaaten gäbe es ohne die EU
überhaupt nicht“, meint Pieter de Pous vom Europäischen Umwelt Büro (EEB)
in Brüssel, der Lobbygruppe von 140 europäischen Umweltverbänden. Vor allem
in den Ländern Süd- und Osteuropas habe die EU durch neue Regeln und
Subventionen für sauberere Luft, mehr Klärwerke und die Rettung von
Naturflächen gesorgt. Aber auch Öko-Streber wie Deutschland, Dänemark oder
die Niederlande würden durch EU-Normen oft vor dem Schlimmsten bewahrt.
„Die Niederlande wollten vor fünf Jahren ihre Regeln für Naturschutzgebiete
aufweichen und haben es wegen der EU nicht getan.“
Für de Pous ist es „schwierig zu sagen, ob die EU gut oder schlecht für die
Umwelt ist“. Denn neben den Vorteilen sieht er auch die Probleme: Die
giftgrüne Agrarpolitik der EU, die Verkehrslawine, die Plünderung der Meere
und die Bedrohung von Öko-Standards durch die Verhandlungen um das
Freihandelsabkommen TTIP. Dabei fallen die Entscheidungen nach seiner
Meinung immer mehr beim Kuhhandel der Einzelinteressen zwischen den
EU-Staaten oder in der EU-Kommission, in der Weltpolitik wichtiger wird –
„nicht gut für die Umwelt“, so de Pous. „Die EU kann eine machtvolle Sti…
für Umweltpolitik sein, aber das hängt vom Parlament ab.“
Die Volksvertreter geben sich selbstbewusst. „Wir sind der größte
Ausschuss, jeder zehnte Parlamentarier ist bei uns Mitglied“, sagt Matthias
Groote. Der deutsche Sozialdemokrat ist Vorsitzender des
EP-Umweltausschusses, der auch für Verbraucherschutz, Klima, Lebensmittel
und Gesundheitspolitik zuständig ist. „Wir geben den Druck auf den Kessel“,
um die Wasserqualität der Flüsse zu verbessern, beim Fracking für
Transparenz zu sorgen, den EU-Emissionshandel zu reparieren oder die
Grenzwerte für den Feinstaub zu senken, so Groote.
## Mehr Macht für das Parlament
Allerdings sind den Parlamentariern beim Thema Energie weitgehend die Hände
gebunden, weil die Staaten dort zuständig sind. Und auch die letzten
Agrarreform 2009 „wurde von den Regierungen im stillen Kämmerlein
verhandelt“, ärgert sich Groote. Inzwischen muss auch hier das Parlament
gefragt werden.
Im Machtpoker hat das eher progressive EU-Parlament deutlich an Einfluss
zugelegt. Groote droht auch gleich mal, das ungeliebte TTIP könne im
Parlament auch durchfallen, „wie wir es schon mit den Regeln zu Acta und
den Bankdaten gemacht haben“. Allerdings sind die Zukunftsaussichten nicht
nur rosig grün: Sollte eine große Welle von Euroskeptikern ins Parlament
rollen, fürchtet Groote, es werde „schwieriger, Mehrheiten für vernünftige
Positionen zu bekommen“. Und ohnehin drohen immer Rückschritte für die
Umweltpolitik in der Wirtschafts- und Finanzkrise, die in Europa andauert.
„Manche Abgeordnete aus Süd- und Osteuropa haben da großen Druck aus ihren
Ländern bekommen.“
19 May 2014
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
EU
Umweltpolitik
Nordsee
Schwerpunkt TTIP
Krebs
Ölbohrung
Öko
Fracking
Meer
Schwerpunkt Angela Merkel
Nabu
Schwerpunkt Atomkraft
Spielzeug
Feinstaub
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