# taz.de -- Streit um Staatsbürgerschaft eines Kindes: Festgesetzt in Wien | |
> Die deutsche Botschaft in Wien nimmt einem in Gambia geborenen Jungen den | |
> deutschen Pass weg. Seit einem Jahr darf er nicht nach Hause. | |
Bild: Er fehlt: Dem heute 12-Jährigen entzog die Deutsche Botschaft in Wien de… | |
WIEN taz | Wenn der zwölfjährige Raz Sonnfeld* seine Großmutter in Hessen | |
besuchen will, muss er erst ein deutsches Visum beantragen. Obwohl er fast | |
zehn Jahre seines Lebens als Deutscher galt, wurde ihm der Pass vom | |
Auswärtigen Amt, als er verlängert werden sollte, einfach weggenommen. Sein | |
Vater David Sonnfeld* ist zwar nicht Raz’ biologischer Vater, aber sein | |
rechtlicher. | |
Denn David Sonnfeld hat vor zehn Jahren beschlossen, sich um den Jungen aus | |
Gambia zu kümmern. Seitdem galt Raz als Deutscher, weil ein Deutscher den | |
bis dahin freien Platz des Vaters in seiner Geburtsurkunde eingenommen hat. | |
Nun bezweifelt die deutsche Behörde jedoch, dass die Geburtsurkunde von Raz | |
echt ist. | |
David kann den Vorwurf der Botschaft nicht nachvollziehen. „Wir haben in | |
mehreren europäischen Ländern gelebt und hatten nie das geringste Problem | |
mit diesem Dokument“, sagt David. | |
Das Zuhause der beiden ist eigentlich in Barcelona, wo auch Davids Mann | |
lebt. Aber sie sitzen in Wien fest, weil Raz ohne den EU-Pass nicht mehr | |
reisen kann. Dass man einem Kind die Rückkehr in die gewohnte Umgebung | |
verwehrt, scheint die deutschen Beamten nicht zu interessieren. Mehr noch. | |
Sie behandeln die Angelegenheit teilweise in einem eher befremdlichen Ton. | |
Der taz liegen interne E-Mails vor. In einer Nachricht vom 19. April 2013 | |
stellt die Deutsche Botschaft in Dakar fest: „Bei diesem Fall ist in Bonn | |
ja wohl einiges schief gelaufen.“ Das Auswärtige Amt antwortet: „Leider | |
nicht nur in Bonn, sondern auch [bei der deutschen Botschaft] in London. | |
Nun dürfen wir die Suppe auslöffeln und wenn wir nicht aufpassen, dann hat | |
sich das Kind die dt. STA [deutsche Staatsangehörigkeit] sowieso | |
’ersessen‘.“ Bei der Botschaft in Dakar heißt es dann in der Antwort: �… | |
hoffe, Sie bekommen die Suppe noch rechtzeitig ausgelöffelt …“ | |
## Ist es Diskriminierung? | |
Womöglich spielt es eine Rolle, dass Raz dunkelhäutig ist, dass David | |
homosexuell ist oder dass die beiden Juden sind. Ob es sich wirklich um | |
Diskriminierung handelt, lässt sich aber nur schwer sagen. Fest steht, dass | |
der rechtliche Sohn eines deutschen Mannes plötzlich seine | |
Staatsangehörigkeit verliert und bis heute nicht zurückerhalten hat. | |
Vater und Sohn wohnen in einer Dreizimmerwohnung in Wien. „Es gibt | |
schlimmere Orte, um gefangen zu sein“, sagt David, als er über seine | |
Zwangsheimat spricht. Aber zu Hause sind sie hier nicht. Die Möbel sind | |
zusammengewürfelt. Es ist draußen schon dunkel, als David in der kleinen | |
Küche das Abendessen vorbereitet und von der Misere erzählt. | |
„Wir wollten Anfang 2013 nur ein halbes Jahr in Wien bleiben und dann nach | |
Barcelona zurück.“ Sonnfeld musste aus beruflichen Gründen nach Österreich, | |
wo er seinen Pass bei der Deutschen Botschaft verlängern lassen wollte. | |
Raz’ Pass wäre eigentlich noch ein Jahr gültig gewesen. „Aber ich dachte, | |
es wäre weniger Aufwand, gleich beide Pässe zu beantragen.“ Ein Irrtum. Der | |
Vater bekam den neuen Pass, aber den Pass von Raz stellte die Behörde | |
sicher. Die Begründung: Man zweifle die Echtheit der gambischen | |
Geburtsurkunde und somit die deutsche Staatsangehörigkeit an. | |
Raz war etwas älter als ein Jahr, als sich seine Mutter entschloss, ihn zur | |
Adoption freizugeben. Doch dann lernte sie über Freunde David kennen, und | |
man fand einen anderen Weg, dem Jungen eine neues Zuhause zu geben. Über | |
den leiblichen Vater habe die Mutter nicht viel gewusst, sagt David. Es war | |
kein Vater in der Geburtsurkunde eingetragen, David konnte die Vaterschaft | |
annehmen. Das ist in Gambia möglich. Auch das deutsche Abstammungsrecht | |
setzt für eine Vaterschaftsanerkennung weder eine genetische Beziehung zum | |
Kind noch eine intime Beziehung zur Mutter voraus. | |
## Heimweh nach Spanien | |
Die Vaterschaftsanerkennung erfolgte in Bonn, Raz bekam einen | |
Kinderausweis, David das alleinige Sorgerecht. Die Einverständniserklärung | |
und die Dokumente der Mutter legte er vor. In London, wo die Familie später | |
jahrelang lebte, bekam Raz einen Reisepass von der deutschen Botschaft. Bis | |
sie nach Wien kamen, war alles in Ordnung. | |
David möchte nicht, dass Raz auf sein Zuhause in Spanien angesprochen wird. | |
Darüber zu reden, würde die Wunden nur wieder aufreißen. „Lange verging | |
keine Woche, in der er nicht geweint hat, weil er zurück nach Spanien | |
wollte.“ | |
Raz sitzt ein Zimmer weiter und blättert in einem Comic. „Nächste Woche | |
werde ich zwölf Jahre alt“, sagt er grinsend, der Stolz in seiner Stimme | |
ist nicht zu überhören. Sein Deutsch ist sehr gut. Wenn ihm doch mal ein | |
Wort nicht einfällt, sagt er es auf Englisch und sieht seinen Vater fragend | |
an. Raz spricht auch Spanisch und Hebräisch. Er erzählt, dass er gerne | |
singt. Dann wechselt er das Thema. „Ich schreibe ein Buch“, sagt er. | |
Zwischen einigen Heften kramt er ein Notizbuch hervor. Das erste Kapitel | |
handelt von seinem Zuhause in Spanien. Das zweite Kapitel hat bisher nur | |
einen Titel: „Ich habe keinen Pass mehr.“ | |
„Anfangs ging ich von einem Missverständnis aus“, erinnert sich David. „… | |
dachte, das wäre schnell geklärt und schrieb einige Mails an das Auswärtige | |
Amt.“ Als Beleg dafür, dass die Familie zurück nach Spanien muss, brachte | |
er die Schulzeugnisse von Raz, eine Bestätigung über sein Arbeitsangebot in | |
Barcelona, eine Kopie der Flugtickets und eine eidesstattliche Erklärung, | |
dass er einen Lebenspartner in Spanien hat. Man hatte ihm gesagt, dass er | |
dann einen vorübergehenden Reiseausweis bekommen könnte. Den erhielt er | |
aber nicht. | |
„Ich hatte das Gefühl, man macht sich über mich lustig.“ David war | |
gezwungen, in Wien eine Wohnung zu suchen. Für Raz musste er eine Schule | |
finden. | |
## Die einen sehen ihn so, die anderen so | |
Als die Bleibe gefunden war, konnte David seinen Sohn nicht beim Bezirksamt | |
anmelden, denn dafür braucht man einen Pass. Um keine Strafe zu bekommen, | |
musste er monatlich beim Amt Bericht erstatten. Das ging ein halbes Jahr | |
so, bis Raz einen gambischen Pass bekam. Jetzt kann er sich zumindest | |
ausweisen. „Wir mussten den beantragen. Es sah nicht aus, als würden wir | |
den deutschen Pass bald wiederbekommen“, sagt David. Die Deutschen sehen | |
Raz nun als Gambier. Die Österreicher aber sehen ihn als Deutschen, denn er | |
ist mit einem deutschen Pass eingereist. | |
Damit Raz wieder als Deutscher gilt, müsste die Deutsche Botschaft in Dakar | |
die Echtheit der gambischen Geburtsurkunde bestätigen. Die Behörde lehnt | |
das seit einigen Jahren ab. Sie misstraut dem gambischen Urkundenwesen | |
grundsätzlich. Es müsste eine neue internationale Geburtsurkunde | |
ausgestellt werden, dazu müssten auch die Dokumente der Mutter vorliegen. | |
Doch der Kontakt zu ihr ist vor einigen Jahren abgebrochen. „Sie hat weder | |
Telefon noch Postadresse. Aber ihre Verwandten, zu denen Kontakt besteht, | |
versuchen sie zu finden“, sagt David. | |
David ging vor Gericht. Doch man lehnte die Klage ab. Das Auswärtige Amt | |
teilt mit: „Die Botschaft Wien hat Herrn Sonnfeld vielfach Hilfe und | |
Unterstützung bei den notwendigen Klärungen angeboten. Das Angebot besteht | |
weiterhin.“ | |
Von der Unterstützung merkt David wenig. Er fühlt sich diskriminiert. „Ich | |
weiß nicht, ob es daran liegt, dass mein Sohn schwarz ist oder ich | |
homosexuell bin. Aber dass Urkunden, die in mehreren EU-Ländern – auch von | |
deutschen Behörden – über zehn Jahre lang anerkannt wurden, jetzt nicht | |
mehr gelten sollen, finde ich doch merkwürdig.“ Zur deutschen Botschaft zu | |
gehen, empfindet David inzwischen als erniedrigend. | |
## „Unwürdiges Vorgehen“ | |
Das wird verständlich, wenn man interne E-Mails liest. Die Betreffzeilen, | |
unter denen das Auswärtige Amt den Fall mitunter diskutiert, lauten „Herr | |
Sonnfeld und kein Ende“ oder auch „Herr Sonnfeld unermüdlich“. Einmal | |
rutscht so eine Betreffzeile auch in eine Nachricht an David. Der Beamte | |
bat um Nachsicht, es sei ein arbeitsreicher Tag gewesen. | |
Bis heute arbeitet sich David nächtelang durch das Beamtendeutsch des | |
Auswärtigen Amtes, sucht nach Gesetzestexten und ähnlichen Fällen. Er | |
wandte sich auch an den Landesausländerbeirat in Hessen, der den damaligen | |
Bundestagsabgeordneten Memet Kiliç kontaktierte. Kiliç schrieb einen Brief | |
an den damaligen Außenminister Guido Westerwelle. Darin heißt es: „Das | |
Vorgehen der deutschen Stellen ist eines Rechtsstaates nicht würdig. Er ist | |
in dem Wissen, Deutscher zu sein, groß geworden und genießt daher | |
Vertrauensschutz. Bereits dies schließt eine Entziehung der | |
Staatsangehörigkeit aus.“ Doch den Vertrauensschutz schließt die Behörde | |
aus, da der Schutz erst nach zwölf Jahren gilt. Bei Raz seien es aber nur | |
zehn Jahre gewesen. | |
Die Vorgehensweise der Beamten wurde im Laufe der Zeit immer abstruser. Das | |
Auswärtige Amt beobachtete David sogar auf Facebook. „Dass der mutmaßliche | |
Vater nach Wien gezogen sei, um dort eine befristete Stelle anzutreten, | |
lässt sich schwerlich mit seinen Äußerungen vereinbaren, ’ledig‘ zu sein | |
(in seinem Passantrag), sich von seinem Partner in Spanien getrennt zu | |
haben und zu hoffen, sich in Straßburg niederlassen zu können (auf | |
Facebook)“, steht in einem Schreiben des Auswärtigen Amtes an das | |
Verwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vom 24. Oktober 2013. | |
Bei dem erwähnten Facebookeintrag handelt es sich nach Davids Aussage um | |
ein Posting in einer Gruppe für alleinerziehende Eltern, in dem er erwähnt, | |
dass er gerne mal in Straßburg wohnen würde. | |
Seit Dezember letzten Jahres bezweifelt das Amt nun auch, dass David | |
Deutscher ist. Er lebte Mitte der neunziger Jahre in Tel Aviv. Durch das | |
israelische Rückkehrgesetz bekam David als Jude, ohne einen Antrag zu | |
stellen, die israelische Staatsbürgerschaft. Dass er trotzdem Deutscher | |
ist, wurde nie infrage gestellt. Zumindest nicht bis jetzt. | |
Das Amt schreibt in einem Brief an das zuständige Gericht: „Selbst unter | |
der Prämisse, dass der Antragsteller von Herrn David Sonnfeld rechtlich | |
abstammte, wäre damit der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht | |
nachgewiesen, weil nicht nachgewiesen ist, dass letzterer zum Zeitpunkt der | |
Geburt des Antragstellers die deutsche Staatsangehörigkeit besaß.“ | |
* Namen geändert | |
8 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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