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# taz.de -- Jahrestag NSU-Anschlag: Eine Straße in Köln
> Vor 10 Jahren explodierte vor dem Friseursalon Özcan eine Bombe. Lange
> verdächtigte die Polizei die Anwohner. Jetzt soll ein Kulturfest
> versöhnen.
Bild: Muharrem Kaya, Zeuge des Nagelbomben-Anschlags, in der Keupstraße
KÖLN taz | Längst sind die sichtbaren Zerstörungen beseitigt. In der
Keupstraße erinnert an normalen Tagen kaum mehr etwas an jene grauenhafte
Explosion vor zehn Jahren. Bis auf das kleine Schild im Schaufenster des
Friseursalon Özcan. „Gegen Hass und Gewalt“ steht auf Deutsch und Türkisch
darauf. „Eigentlich sollte es schon längst einen Gedenkstein für den
Anschlag geben“, sagt Yilmaz Toprak, der in dem Geschäft arbeitet, „bis es
so was gibt, haben wir das Schild zur Erinnerung.“
Vor dem Ladenlokal detonierte am 9. Juni 2004 eine mit 5,5 Kilogramm
Schwarzpulver und etwa 800 Zimmermannsnägeln gefüllte Drei-Kilo-Gasflasche.
Die selbstgebastelte Bombe verletzte 22 Menschen, vier davon schwer. Der
Friseursalon Özcan wurde völlig verwüstet. Nur durch ein Wunder gab es
keine Toten auf der belebten Multikultimeile im rechtsrheinischen Kölner
Stadtteil Mülheim.
Wer hinter der Bluttat steckte, blieb lange ungeklärt. Die Behörden
ermittelten in „alle Richtungen“, nur nicht in die richtige. Inzwischen
steht fest, dass das Attentat auf das Konto des rechtsterroristischen
Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) geht.
An diesem Pfingstwochenende gedenkt Köln des Anschlags mit einem großen
Kulturfest rund um die Keupstraße. „Ich finde das ganz okay“, sagt Yilmaz
Toprak. Im Aufruf zu dem Fest heißt es: „Wir möchten ein sichtbares Zeichen
der Solidarität setzen.“ Und weiter: „Wir, die wir nicht für möglich
gehalten haben, dass in unserem Land wieder rechtsradikale Mörderbanden
unterwegs sind, stehen in der Verantwortung.“
Bundespräsident Joachim Gauck hat sich angesagt, ebenso Vizekanzler Sigmar
Gabriel. Und unter dem Motto „Birlikte – Zusammenstehen“ haben das
Schauspiel Köln, die Interessengemeinschaft Keupstraße und die
Künstlerinitiative „AG Arsch huh, Zäng ussenander!“ gemeinsam rund 250
Einzelveranstaltungen auf die Beine gestellt.
## Niemand hat gefragt, wie es ihnen geht
Auf der sechsstündigen Kundgebung am Pfingstmontag werden unter anderem Udo
Lindenberg, Peter Maffay, BAP, Brings und Zülfü Livaneli auftreten. Auch
WDR-Intendant Tom Buhrow, Senta Berger, Günter Wallraff und der 86-jährige
Hardy Krüger sind mit dabei. „Das Besondere hier ist, dass viele Leute
etwas zusammen machen, die sonst nichts zusammen machen“, sagt Organisator
Roland Temme.
Ein „Birlikte“-Plakat hängt auch in dem Juweliergeschäft von Fatma Tunc.
Dank dicker Panzerglasscheiben wurde ihr Laden vor zehn Jahren nicht
beschädigt, niemand aus der Familie wurde verletzt. „Aber psychisch hat uns
das sehr belastet“, sagt sie. „Doch niemand hat uns gefragt, wie es uns
geht.“ Zumal seit dem Anschlag die Geschäfte sehr viel schlechter laufen.
Fatma Tunc freut sich auf das Fest: „Ich hoffe, dass in Zukunft wieder mehr
Kunden kommen.“
Aynur Ince arbeitet in einer orientalischen Feinbäckerei. „Angsttechnisch“
sei die Straße für sie kein Problem, auch für ihre türkeistämmigen Freunde
nicht, sagt die junge Frau. „Aber die Deutschen, die haben Angst, in die
Keupstraße zu gehen.“
Die Leute in der Keupstraße haben schlimme Jahre hinter sich. Auf dem
rechten Auge blind, nahmen die Fahnder die überwiegend türkeistämmigen
Anwohner ins Visier. Sie überprüften per Rasterfahndung alle 25- bis
35-jährigen Männer im Viertel, hörten Telefone ab und platzierten verdeckte
Ermittler. Geschäftsleute bekamen nun verstärkt die Finanzprüfung ins Haus
geschickt.
## Politiker kommen und reden
In den Medien wurde wild über vermeintlich mafiöse Zusammenhänge, einen
Bandenkrieg, Auseinandersetzungen im Drogenmilieu, Schutzgelderpressung
oder einen „Streit zwischen Türken und Kurden“ spekuliert. Kaum ein
rassistisches Klischee blieb unbedient. „Viele Geschäfte sind nach dem
Anschlag kaputtgegangen“, sagt ein türkischer Getränkehändler, der seinen
Namen nicht in der Zeitung lesen will. Seitdem im Herbst 2011 herauskam,
wer wirklich hinter dem Anschlag steckt, hat er schon viele deutsche
Politiker durch die Straße ziehen sehen.
Der türkeistämmige Mann glaubt ihnen nicht, wenn sie Verbesserungen
versprechen. „Würde es hier so aussehen, wenn die Politiker wirklich etwas
verbessern wollen würden?“, fragt er und zeigt auf Schlaglöcher. „Wenn die
wirklich was ändern wollten, dann wäre diese Straße ja wohl in einem
besseren Zustand.“ Auch Juwelierin Fatma Tunc hat von ihnen keine hohe
Meinung: „Die kommen und reden, aber sie machen nichts.“
Ein großes Fest alleine wird nicht reichen, um die Wunden zu schließen.
6 Jun 2014
## AUTOREN
Pascal Beucker
Anja Krüger
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Keupstraße
Köln
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Nagelbombenanschlag
Schwerpunkt AfD
Joachim Gauck
Schwerpunkt Rassismus
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
NSU-Prozess
Verfassungsschutz
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