| # taz.de -- Opfer des NSU-Anschlags in Köln: „Als würden sie auf Lava laufe… | |
| > Der Psychotherapeut Ali Kemal Gün über die Folgen des NSU-Anschlags in | |
| > Köln: Die Haltung der Behörden habe das Trauma der Opfer verstärkt, sagt | |
| > er. | |
| Bild: Die Keupstraße in Köln. | |
| taz: Herr Gün, zehn Jahre nach dem Anschlag findet am Pfingstwochenende | |
| rund um die Keupstraße ein Kunst- und Kulturfestival statt. Selbst der | |
| Bundespräsident will kommen. Was haben die Opfer davon? | |
| Ali Kemal Gün: Die Veranstaltung ist wichtig für ihr Sicherheitsgefühl. | |
| Diesen Menschen ist großes Unrecht angetan worden. Jetzt bekommen sie die | |
| Wertschätzung von der Mehrheitsgesellschaft, die sie brauchen. Das ist ein | |
| Schritt in richtige Richtung, zur Vermittlung von verloren gegangener | |
| Sicherheit und Vertrauen. Diese Veranstaltung ist gut für die psychische | |
| Gesundung der Opfer. Die Erinnerung an den Anschlag ist da, aber sie wird | |
| teilweise kompensiert durch die Wertschätzung, die sie jetzt erfahren. | |
| Eine Art Wiedergutmachung? | |
| Was geschehen ist, lässt sich nicht wiedergutmachen. Das Verhalten der | |
| Ermittlungsbehörden hat in einem nicht zu unterschätzenden Maße das Trauma | |
| verstärkt, das die Opfer durch den Anschlag erlitten haben. Ein Anschlag | |
| verunsichert Menschen extrem. Der Staat hätte sich um ihre Sorgen und Nöte | |
| kümmern, ihnen Sicherheit zurückgeben müssen. Aber er hat versagt. Denn er | |
| machte Opfer zu Tätern. Da wurden Ehefrauen in Verhören stundenlang | |
| bedrängt: „Geben Sie zu, Ihr Mann ist doch ein Krimineller“, mussten sie | |
| sich anhören. Dadurch sind die Verletzten und deren Angehörige | |
| traumatisiert worden, zum Teil schlimmer als durch den Anschlag selbst. | |
| Leiden die Opfer noch immer unter den Folgen? | |
| Ja, das war schließlich eine existenzielle Bedrohung. Besonders diejenigen, | |
| die unmittelbar betroffen waren, leiden bis heute unter posttraumatischen | |
| Belastungsstörungen. Diejenigen, die traumatisiert sind, denken auch viele | |
| Jahre später: Das kann jederzeit wieder passieren. Es ist, als würden sie | |
| auf heißer Lava laufen. Sie sind in ständiger Angst und jedes Ereignis, das | |
| ähnlich erscheint, löst Panik aus. | |
| Sie gehörten dem Psychotherapeutenteam an, das nach dem Brandanschlag in | |
| Solingen 1993 gebildet wurde. Wie unterscheidet sich der Umgang mit den | |
| Tatbetroffenen? | |
| Das Verhalten der Behörden unterscheidet sich wie Tag und Nacht. Den Opfern | |
| in der Keupstraße ist jahrelang keine psychologische Hilfe angeboten | |
| worden. Das war in Solingen zum Glück ganz anders. Da wurde umgehend | |
| gehandelt. Zehn Jahre habe ich Mitglieder der Familie Genç betreut. Ich | |
| habe immer noch Kontakt zu ihnen. Die psychologische Unterstützung hat dazu | |
| geführt, dass die Familie den Anschlag verarbeiten konnte. Sie wird ihn | |
| nicht vergessen, aber sie ist in einer viel besseren psychologischen Lage | |
| als ohne die Unterstützung. | |
| Was sollte in der Keupstraße geschehen, um die Menschen bei der | |
| Verarbeitung des Anschlags zu unterstützen? | |
| Ich würde mir wünschen, dass dort ein Migrationsmuseum geschaffen wird. Die | |
| nachfolgenden Generationen könnten nachvollziehen, wie ihre Vorfahren | |
| gelebt haben. Auch für die Aufarbeitung der NSU-Anschläge wäre das ein | |
| idealer und angemessener Ort. | |
| 8 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
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