# taz.de -- Zeugin Mashia M. beim NSU-Prozess: „Ich werde mein Leben fortfüh… | |
> Schwerverletzt hat sie den Anschlag überlebt. Jetzt sitzt Mashia M. im | |
> Zeugenstand einer mutmaßlichen Täterin gegenüber: Beate Zschäpe. | |
Bild: Die Hauptangeklagte Zschäpe und Verteidiger im Gerichtssaal in München. | |
MÜNCHEN taz | Mashia M. war neugierig, was sich in dieser roten Dose mit | |
den weißen Sternchen verbarg, die seit Weihnachten im hinteren Zimmer des | |
Ladens ihrer Eltern lag. Sie zu öffnen war ihr und ihren Geschwistern | |
verboten. Am Morgen des 19. Januar 2001 hob die 19-Jährige den Blechdeckel | |
doch einen Spalt – und sah eine blaue Gasflasche. „Ein seltsames | |
Weihnachtsgeschenk“, dachte sie. Ein lauter Knall, helles Licht. Dann | |
Dunkelheit. „Ich konnte nichts sehen, nicht reden, nicht schreien“, sagt | |
sie. Fast 5 Prozent ihrer Haut waren verbrannt. Im Rettungswagen bettelte | |
sie um Schmerzmittel. | |
Jetzt, 13 Jahre später, sitzt die Deutschiranerin im Zeugenstand des | |
Oberlandesgerichts München. Sie ist eine schöne Frau: hohe Wangenknochen, | |
langes braunes Haar bis zur Hüfte, eleganter hellgrauer Hosenanzug. Doch | |
unter dem Make-up sind die Narben geblieben. Noch immer schmerzen | |
Holzsplitter im Kiefer. Fachkundig listet M. die Folgen der Explosion auf – | |
sie ist selbst Chirurgin. | |
Drei Meter entfernt sitzt Beate Zschäpe. Die meiste Zeit blickt das einzige | |
lebende Mitglied des NSU, der für den Anschlag verantwortlich gemacht wird, | |
in ihren Laptop, spielt ab und zu mit ihrem rosa Brillenetui. Ihre | |
mutmaßlichen Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos haben sich umgebracht. | |
Einer der beiden soll einen Tag vor Weihnachten in das Lebensmittelgeschäft | |
der M.s gegangen sein, in der Hand einen Präsentkorb mit der roten | |
Blechdose. An der Kasse meinte er, er habe seinen Geldbeutel vergessen, | |
wolle schnell los, um ihn zu holen. Er kam nie wieder, den Korb ließ er da. | |
Mutter M. stellte ihn in den Raum hinten im Laden, wo die die Bombe später | |
explodierte. | |
## Der teilnahmslose Blick | |
Beate Zschäpe könnte aktiv an dem Anschlag beteiligt gewesen sein. Mutter | |
M. erzählte der Tochter, dass ein paar Wochen bevor die Dose abgegeben | |
wurde, eine Frau in ihrem Laden stand, die Zschäpe ähnlich sehe und | |
vehement darauf bestanden hatte, die Toilette zu benutzen. Von dort aus | |
hätte man den Laden perfekt überblicken können. | |
Hatte Zschäpe das Geschäft also ausgekundschaftet? Kurz blickt sie auf, als | |
es um sie geht, dann versinkt sie wieder in die gewohnte | |
Teilnahmslosigkeit, die sie auch zur Schau trägt, als Mashia M. von dem | |
Leid erzählt, das sie und ihre Familie erlitten haben. | |
Der erste Blick in den Spiegel, als sie nach eineinhalb Monaten aus dem | |
künstlichen Koma erwachte. „Ich hatte keine Haare, ich war blau und grün, | |
ich war verbrannt.“ Einem Kriminalbeamten, der auch am Mittwoch aussagte, | |
hat sich das Bild der entstellten Mashia M. „in die Seele gebrannt“. Er | |
habe viel Blut gesehen, viele Leichen, doch das war an der | |
„Spitzenposition“, ein „Bild des Grauens“. Entstellt zu sein, jeden Tag, | |
noch 13 Jahre danach die Fragen – Was ist dir denn passiert? –, das sei | |
„das Schlimmste“, sagt Mashia M. | |
## Name auf dem Bekennervideo | |
Doch sie machte weiter. Noch im November des gleichen Jahres bestand sie | |
ihr Abitur, studierte erst in Aachen Physik und Chemie, zog dann nach | |
Bayern, um dort ihr Medizinstudium zu beginnen, alles hinter sich zu | |
lassen. Sie war nicht in psychologischer Behandlung, die Familie, ihre | |
Freunde gaben ihr Halt. Auch die Aussagen der Ermittler halfen ihr. Dass | |
der Anschlag ohne Bezug zu ihr oder ihrer Familie von irgendeinem | |
Einzeltäter begangen worden sei. „Deshalb konnte ich gut damit abschießen�… | |
erinnert sie sich. | |
Doch dann kam das Bekennervideo des NSU mit einer direkten Nachricht an | |
sie: „Mashia M. weiß nun, wie ernst uns der Erhalt der deutschen Nation | |
ist“, heißt es dort. Jetzt, drei Jahre nach der Botschaft des NSU an sie, | |
gibt Mashia M. ihre Antwort. Sie zeigt auf die Anklagebank zu Beate | |
Zschäpe, versucht ihre Augen zu finden, die teilnahmslos auf den | |
Laptopbildschirm gerichtet sind, zum ersten Mal wird ihre Stimme lauter: | |
„Wir sind alle hier aufgewachsen, haben alle eine akademische Laufbahn | |
hinter uns, haben einen deutschen Freundeskreis und am Ende sieht man im | |
Video: Na, wie ernst ist es euch mit der deutschen Nation.“ | |
## Schweigen im Gerichtssaal | |
Keine Reaktion von Zschäpe. Etwas leiser fügt Mashia M. hinzu: „Das ist | |
traurig für mich, traurig für meine Familie.“ Und traurig für dieses Land. | |
Sie sagt es nicht, doch im betretenen Schweigen des Gerichtssaals meint der | |
betroffene Zuhörer die Worte zu hören. | |
Unglaublich ist für Mashia M. auch, wie die Behörden mit ihrer Familie | |
umgingen, als das NSU-Trio aufgeflogen war. „Die meisten Informationen | |
musste ich mir aus den Medien zusammen suchen.“ Ob sie nicht überlegt | |
hätte, Deutschland zu verlassen? Es sei ihr erster Gedanke gewesen, als das | |
Video rauskam. „Wenn man Leute wie mich so bekämpft, was soll ich hier?“ | |
Schweigen im Gerichtssaal. | |
Mashia M. beantwortet ihre Frage: „Jetzt erst recht. Ich werde hier mein | |
Leben fortführen, ich werde kämpfen.“ Ein Zuhörer klatscht. Am Ende werden | |
es fast alle tun, wenn die Anwältin von Mashia M. sich das letzte Wort | |
nimmt: „Ich fänd’s gut, wenn hier in Deutschland mehr Leute leben würden | |
wie Frau M.“ | |
4 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schnell | |
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