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# taz.de -- NSU-Prozess in München: Die letzte Tat
> In München geht es um den letzten Banküberfall der Rechtsterroristen in
> Eisenach – und um den Todestag von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Bild: Das durch eine Explosion zerstörte Haus der Terrorzelle in Zwickau.
MÜNCHEN taz | Beate Zschäpe verzieht keine Miene. Nicht als Reinhard
Heiderstädt, der Gerichtsmediziner, schildert, wie er die Schädel von Uwe
Mundlos und Uwe Böhnhardt „völlig zerstört“ vorfand. Wie die Köpfe „g…
Aufreißungen“ zeigten, die Knochen bei der Präparation zerfielen.
Dreizehn Jahre lebte Zschäpe mit Mundlos und Böhnhardt im Untergrund. Am
Mittwoch aber, als Heiderstädt seinen Obduktionsbericht vorträgt, zeigt die
Frau mit dem schwarzen Blazer im Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichts
keine Regung. Wie immer seit dem ersten Prozesstag.
Seit einem Jahr verhandelt das Gericht über Zschäpe und ihre einstigen
Weggefährten Böhnhardt und Mundlos, über die Verbrechen des
Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Bisher ging es fast nur um die
zehn Morde der Rechtsterroristen. Jetzt schlug das Gericht ein neues
Kapitel auf: die 15 Banküberfälle des NSU. Es ist der 4. November 2011, der
im Saal A101 rekonstruiert wird. Der letzte Überfall des NSU – und
gleichzeitig der Tag, der das Ende der Gruppe bedeutete.
Die Sparkasse im Thüringer Eisenach ist damals erst wenige Minuten
geöffnet, da stürmen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit Sturmmasken und
Pistolen ins Foyer. Sie verlangen von den Angestellten den Inhalt der
Kassen und des Tresors. Das gehe nicht, habe er gesagt, erinnert sich vor
Gericht Stefan C., der damalige Filialleiter. Er habe auf das Zeitschloss
verwiesen. „Lüge“, habe einer der Maskierten geschrien und ihm mit seinem
Revolver an den Kopf geschlagen. C.s Kollegin sagt, noch immer den Tränen
nah, sie habe den Mann dann in den Tresorraum geführt, das Geld
ausgehändigt. „Außer Kleingeld war da nichts mehr übrig.“ Keine sieben
Minuten dauerte der Überfall, dann rannten Böhnhardt und Mundlos aus der
Sparkasse, sprangen auf zwei Fahrräder. In ihren Beuteln: 71.920 Euro.
## Töteten sie sich wirklich selbst?
Was danach folgte, ist bis heute mythenumrankt. Die beiden flüchteten sich
in einen Wohnwagen. Da hatte die Polizei bereits alle Ausfahrtstraßen
gesperrt. Als Beamte den Wagen entdeckten, habe Mundlos Böhnhardt
erschossen, Feuer gelegt und sich selbst gerichtet.
Warum aber gaben die schwer bewaffneten Männer so schnell auf? Töteten sie
sich wirklich selbst? Und woher wusste Zschäpe von dem Tod ihrer Gefährten?
Zündete wenig später die gemeinsame Wohnung in Zwickau an und floh. Gab es
eine vierte Person?
Fragen, auf die auch Richter Manfred Götzl in München Antworten sucht. Es
ist Egon S., ein 78-jähriger Rentner, früherer Schuhmacher, der dabei
helfen soll. Der Eisenacher läutete das Ende des NSU ein. Er sei gerade auf
dem Weg zum Lidl gewesen, da habe er zwei Radfahrer gesehen, sagt er. „Die
kamen förmlich angeflogen.“ Dann hätten sie ihre Räder in einen weißen
Wohnwagen gehoben und wären mit durchdrehenden Reifen davongerast.
Er sei dann erst mal einkaufen gegangen, erzählt Egon S. Danach habe er
einen Polizisten getroffen, der nach zwei Radfahrern fragte. S. hatte sich
auch den ersten Buchstaben des Kennzeichens gemerkt: ein „V“, für das
sächsische Vogtland. Zweieinhalb Stunden später entdecken zwei Polizisten
den Wohnwagen.
## Polizisten sagen aus
Die Beamten schildern am Mittwoch, wie ein Schuss fiel, als sie sich dem
Gefährt näherten. Hinter einem geparkten Pkw und Müllcontainer seien sie in
Deckung gegangen. Dann seien im Inneren des Mobils zwei weitere Schüsse
gefallen und Rauch aufgestiegen.
Sie selbst hätten nicht geschossen, beteuern die Polizisten. Auch hätte
sich in der Nähe nur ein Anwohner aufgehalten und eine Frau, die ihren Hund
ausführte. Am Wohnwagen sei niemand gewesen. „Können Sie das
ausschließen?“, fragt ein Bundesanwalt einen der Polizisten. Der nickt.
„Auf jeden Fall.“
Richter Götzl hatte zuvor auch bei Rentner Egon S. nachgehakt. Ob er eine
dritte Person gesehen habe? „Nein“, antwortete auch S. bestimmt.
Gerichtsmediziner Reinhard Heiderstädt entkräftet dann auch noch eine
weitere Theorie. Warum seien in Böhnhardts und Mundlos’ Lunge keine
Rußpartikel gefunden worden, fragten Skeptiker. Hatte jemand anderes sie
erschossen und den Brand im Wohnwagen gelegt? Es sei durchaus möglich, sagt
Heiderstädt, dass die beiden vor ihrem Tod Rauchgase ein- und dann wieder
ausgeatmet hätten. Die Todesursache jedenfalls seien „Kopfdurchschüsse“ m…
großkalibrigen Waffen gewesen. Waffen, die im Wohnwagen gefunden wurden.
## Zschäpe zündete das Haus an
Es bleibt nicht viel übrig von den Mythen im Saal A101. Die Ermittler
benennen für Selbstmord auch ein Motiv. Böhnhardt und Mundlos hätten bei
ihren Überfällen stets den Polizeifunk abgehört. Sie wussten also, dass sie
diesmal umzingelt waren. „In diesem Moment wurde ihnen klar, dass ein
Entkommen nicht mehr möglich sein würde“, heißt es in der Anklageschrift.
„Sie entschlossen sich, lieber zu sterben, als sich verhaften zu lassen.“
Wie aber erfuhr Zschäpe von dem Tod? Ein Anruf von Mundlos und Böhnhardt
ist nicht dokumentiert. War verabredet, das Ende des NSU zu besiegeln, wenn
die beiden nach einer gewissen Frist nicht zurückkehren?
Klar ist: Drei Stunden nach dem Tod der beiden verschüttete Zschäpe im
NSU-Unterschlupf im 180 Kilometer entfernten Zwickau zehn Liter Benzin und
zündete dieses an. Polizisten fanden später im Brandschutt die Waffen, mit
denen neun migrantische Geschäftsleute und eine Polizistin ermordet wurden.
DVDs tauchten auf, in denen sich der NSU zu den Taten bekennt. Wenig später
stellte sich Zschäpe. Woher sie vom Ende ihrer Gefährten erfuhr – diese
Frage bleibt auch am Mittwoch offen. Die Information, heißt es, habe
Zschäpe „auf nicht bekanntem Weg“ erreicht.
Es gäbe eine, die diese Frage beantworten könnte. Aber Beate Zschäpe
schweigt.
21 May 2014
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
NSU-Prozess
Beate Zschäpe
Zwickau
Rechtsextremismus
Uwe Mundlos
Uwe Böhnhardt
Schwerpunkt Rechter Terror
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Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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Beate Zschäpe
Hannah Arendt
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