| # taz.de -- Rapper über Proteste gegen die WM: „Brasilien darf nicht verlier… | |
| > Der brasiliansche Rapper Emicida über die WM als tolles Fußballfest, die | |
| > faschistische Militärpolizei und seine Hoffnung auf ein Brasilien ohne | |
| > Rassismus. | |
| Bild: Emicida: „Es gibt Proteste, aber sie werden von einem massiven Polizeia… | |
| taz: Emicida, die „Seleção“ hat sich als Gruppenerster für das Achtelfin… | |
| qualifiziert. Freut Sie das? | |
| Emicida: Klar, sehr sogar. Und ich denke, Brasilien hat gut gespielt. Auf | |
| der anderen Seite mag ich aber auch die afrikanischen Teams, darum hat ein | |
| Teil meines Herzens Kamerun beim Spiel gegen Brasilien unterstützt. | |
| Im Achtelfinale geht es jetzt gegen Chile, eine auch körperlich starke | |
| Mannschaft. Es ist ein Spiel, das die Brasilianer zweifellos verlieren | |
| können … | |
| Nein, stopp. Sie können vielleicht verlieren, sie dürfen aber nicht. Das | |
| Land würde in Traurigkeit verfallen. | |
| Sie mögen also den Event der Fußballweltmeisterschaft, trotz aller Kritik? | |
| Ja, als Veranstaltung, bei der viele Länder aus der ganzen Welt zu uns | |
| kommen, finde ich sie wunderbar. Aber es würde mich freuen, wenn die | |
| sozialen Probleme Brasiliens währenddessen nicht in Vergessenheit gerieten. | |
| Vor der WM hatten viele ja vermutet, dass es auch nach dem Anpfiff größere | |
| Demonstrationen geben würde. | |
| Es gibt auch Proteste, aber sie werden von einem massiven Polizeiaufgebot | |
| unterdrückt. In Recife zum Beispiel hat ein Sondereinsatzkommando das von | |
| vielen jungen Menschen besetzte „Estelita“-Gelände gewaltsam geräumt, wo | |
| ein umstrittenes Immobilienprojekt errichtet werden soll. Das größte | |
| Problem ist meines Erachtens, dass unsere Polizei generell völlig | |
| unvorbereitet ist, angemessen mit Demonstrationen umzugehen. | |
| Inwiefern? | |
| Sie ist nicht darin geschult, anzuerkennen, dass es ein Grundrecht eines | |
| jeden Bürgers ist, auf die Straße friedlich für sein Anliegen zu | |
| demonstrieren. Es liegt in der Regel am aggressiven Verhalten der Polizei, | |
| wenn es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Wenig hilfreich sind in | |
| diesem Zusammenhang auch die großen Medien, welche die sozialen Bewegungen | |
| ohnehin nicht wertschätzen und oft ganz bewusst manipulieren. | |
| Mit welchem Ziel? | |
| Die konservativen Medien versuchen die WM-Organisation als Katastrophe | |
| hinzustellen, um vor den Wahlen im November die Regierung der | |
| PT-Arbeiterpartei zu diskreditieren. Darum bin ich auch froh, dass so weit | |
| alles gut funktioniert. Außerdem sollte man sich auch gut überlegen, wofür | |
| man wann demonstrieren geht. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Wir müssen aufpassen, dass bei all den unterschiedlichen Forderungen, die | |
| seit den Massenprotesten im Juni 2013 aufgeworfen wurden, nicht der Fokus | |
| auf das Wesentliche verloren geht. Und außerdem ist es eben gerade während | |
| der WM schwierig, viele Menschen auf die Straße zu holen. Darunter leidet | |
| die Schlagkraft der sozialen Bewegungen. | |
| Emicida, Sie kommen aus armen Verhältnissen in São Paulo … | |
| Das stimmt, ich bin in einer „quebrada“ aufgewachsen. | |
| Wo bitte? | |
| „Quebrada“ – Abhang –, so nennt man in São Paulo die Favelas, während… | |
| in Rio eher von „comunidades“ – Gemeinschaften – spricht. | |
| Zur WM hört man im Ausland viel über die „Befriedung“ der Favelas in Rio, | |
| aber kaum etwas über die Armenviertel São Paulos, der größten Stadt | |
| Brasiliens. | |
| Ein Unterschied ist, dass viele Favelas in Rio sich als Postkartenmotiv | |
| eignen, die in São Paulo dagegen nicht. Darum sind sie in brasilianischen | |
| Filmen und Telenovelas auch kaum ein Thema. Das ist schade, denn in São | |
| Paulo gibt es eine große Underground-Kulturszene in den Favelas. Und was | |
| die angebliche „Befriedung“ angeht: Wenn der Staat in diesen Vierteln nur | |
| mit Polizei in Erscheinung tritt, dann geht es allein um territoriale | |
| Kontrolle und nicht um eine echte Pazifikation – darum, dass sich in den | |
| bürgerlichen Vierteln auf dem „asfalto“ nichts ändert. | |
| In São Paulo gibt es keine „Befriedungspolizei“? | |
| Nein, aber die Militärpolizei, die hier in den Favelas zum Einsatz kommt, | |
| ist in meinen Augen ähnlich schlimm. Es ist eine faschistische Polizei. | |
| Ändert sich auf der anderen Seite nicht das Leben in vielen Favelas | |
| allmählich, weil es dort inzwischen mehr Menschen ökonomisch besser geht | |
| und auch das Bildungsniveau steigt, zum Beispiel durch Studienstipendien? | |
| Natürlich ist es gut, wenn sich die Leute jetzt einen Kühlschrank oder | |
| Fernseher kaufen können. Das Wichtigste, was sich durch die PT-Regierungen | |
| seit Lula geändert hat, ist aber etwas anderes: Die Menschen haben | |
| begriffen, dass sie mitbestimmen, Brasilien mitgestalten können. Als ich | |
| zur Schule gegangen bin, hat keiner von uns nur einen Gedanken daran | |
| verschwendet, zu studieren. Das war nur für Reiche. Heute können auch | |
| andere diesen Traum verwirklichen. | |
| Es heißt, dass Sie früh zur Musik gekommen sind, weil Ihre Eltern „Black | |
| Music“-Partys in der Peripherie São Paulos organisiert haben. Ist das | |
| wirklich wahr? | |
| Ja. Das waren eine Art „Block Parties“ mit Soundsystem bei uns im Viertel. | |
| Noch Anfang der 90er Jahre waren solche „Bailes“ mit schwarzer US-Musik in | |
| den Favelas São Paulos sehr beliebt – mein Vater hat als DJ Marvin Gaye, | |
| James Brown oder George Clinton gespielt und dazu auch immer ein bisschen | |
| Samba. Der Samba spielt bis heute in meiner Musik eine wichtige Rolle. | |
| Sie sind inzwischen einer der bekanntesten Rapper Brasiliens. Warum ist der | |
| HipHop in Ihrer Heimat so wichtig? | |
| Weil er bei uns zur Stimme der Favela geworden ist. Was meine Generation | |
| politisiert hat, war der HipHop. Er hat geholfen, unser Selbstbewusstsein | |
| und ein linkes Bewusstsein zu entwickeln – lange bevor die Arbeiterpartei | |
| PT 2003 an die Macht kam. Wir haben durch den Rap zum ersten Mal von Martin | |
| Luther King gehört, aber auch von Zumbi und anderen Ikonen des schwarzen | |
| Widerstands in Brasilien. | |
| Von diesen Themen handelt auch Ihre Musik? | |
| Ich rappe aus der Perspektive der Schwarzen in den Armenvierteln | |
| Lateinamerikas. Und es ist ein ganz schön chaotisches Panorama, das man | |
| dort vorfindet: Es gibt schon Menschen, die progressiv sind, aber viele | |
| haben auch sehr konservative Ansichten. Mit meiner Rap-Poesie versuche ich, | |
| diese verschiedenen Menschen anzusprechen und sie miteinander in Kontakt | |
| treten zu lassen. Mir geht es um Kommunikation und Menschlichkeit. | |
| Und welchen Traum haben Sie für die Zukunft Brasiliens? | |
| Zunächst müssen die Brasilianer verstehen, was die Essenz des Landes | |
| ausmacht. Sie müssen unsere „miscigenação“, die Verschmelzung verschiede… | |
| Rassen und Ethnien, als etwas Wundervolles akzeptieren, bevor sie die | |
| Schönheit und Kraft erkennen können, die sich aus der Mischung der Kulturen | |
| ergibt. Erst dann können wir ein größeres Projekt für die Zukunft angehen. | |
| Ich kämpfe mit meiner Musik täglich dafür, dass sich die Dinge bei uns | |
| ändern – auch damit meine Tochter in einem besseren Land aufwächst: einem | |
| weniger rassistischen, segregierten Brasilien, in dem es weniger | |
| Ungleichheit gibt als heute noch. | |
| 28 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ole Schulz | |
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