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# taz.de -- Indígenas in Brasilien: Protest in der Unterhose
> Im Fernsehen war die Politaktion eines indigenen Jungen bei der
> WM-Eröffnung nicht zu sehen. Die indigenen Guaraní fordern mehr Achtung.
Bild: Während der WM-Eröffnung zückt Werá Jeguaka Mirim im Mittelkreis sein…
SAO PAULO taz | Fast hätte die Fifa-Zensur funktioniert. Milliarden in
aller Welt sahen letzten Donnerstag Minuten vor dem WM-Anpfiff jene Szene,
als drei Kinder vom Mittelkreis des Itaquerão-Stadions in São Paulo weiße
Friedenstauben in die Luft warfen. Nebenbei sollten der weiße Junge, das
Mulattenmädchen und der junge Indígeno die Botschaft eines harmonischen
Miteinanders im Vielvölkerstaat Brasilien unterstreichen.
Doch es kam anders. Auf dem Rückweg hielt der 13-jährige, mit einer bunten
Federkrone geschmückte Guaraní-Indianer Werá Jeguaka Mirim ein rotes
Spruchband in die Höhe. „Demarcação já!“ (Landausweisung jetzt!), stand
darauf in schwarzen Lettern geschrieben. So protestierte der Junge aus dem
Dorf Krukutu ganz im Süden von São Paulo gegen die Indígenas-Politik des
brasilianischen Staates. Das Transparent habe er in seiner Unterhose
hereingeschmuggelt, bekannte er hinterher.
Im Fernsehen war diese Szene nicht zu sehen – zur großen Enttäuschung der
„Stadtindianer“ aus Krukutu, die sich vor den Fernsehern versammelt hatten.
„Er hat das geschafft, worauf wir gehofft hatten“, sagte Marcos Tupã, der
Leiter der Aktivistengruppe Comissão Guarani Yvyrupa, „aber es wurde nichts
gezeigt, weder weltweit noch in Brasilien, nichts.“
Auch tags darauf berichtete keine Zeitung über die kurze, nach
Fifa-Kriterien streng untersagte Politdemonstration. Dann veröffentlichte
der Fotograf Luiz Pires seine Fotos auf der Facebook-Seite der Comissão
Guaraní Yvyrupa. Das linke Wochenmagazin Carta Capital brachte wenig später
auf seinem Webportal die erste Meldung darüber. Und auf G1, der wichtigsten
Onlinenachrichtensite des Globo-Konzerns, erschien ein weiterer Bericht –
fast 26 Stunden nach dem Protest.
Vor einem Monat waren die WM-Organisatoren auf die Guaraní zugegangen, um
einen telegenen Ureinwohner für die Szene mit den Friedenstauben zu
gewinnen. „Wir haben die Einladung angenommen und haben dann überlegt, wie
wir das nutzen könnten“, berichtete Dorfsprecher Fabio Jekupé.
## Neue Indianerterritorien werden nicht ausgewiesen
Mehr denn je stehen die Indígenas, die nicht einmal 0,5 Prozent der über
200 Millionen BrasilianerInnen ausmachen, unter dem Druck von Agrobusiness
und Bergbaukonzernen, auch Holzfäller und Goldschürfer machen ihnen das
Leben schwer. Im Kongress von Brasilia stellen die Großgrundbesitzer und
Agroindustriellen eine der größten, fraktionsübergreifend organisierten
Gruppen.
Der katholische Indígenas-Missionsrat Cimi, noch immer das unverzichtbare
logistische und publizistische Rückgrat der politisch und regional
fragmentierten Bewegung, verbreitet täglich Nachrichten über die Offensive
gegen die Ureinwohner. Regelmäßig werden Indígenas ermordet, zwischen 2003
und 2012 waren es nach Cimi-Angaben 563. Und neues Indianerland, wie in der
Verfassung von 1988 vorgesehen, wird schon lange keines mehr ausgewiesen.
Dies bekräftigte Justizminister José Eduardo Cordozo von der regierenden
Arbeiterpartei erst Ende Mai in Brasilia. „Es war das schlechteste Treffen,
das wir je mit der Bundesregierung hatten“, sagte Uilton Tuxá, ein Mitglied
der 18-köpfigen Indígenas-Delegation. Die Regierung setze auf
Hinhaltetaktik und Dialogrunden mit Vertretern des Agrobusiness.
In den dreieinhalb Jahren ihrer Amtszeit hat Präsidentin Dilma Rousseff
gerade einmal zehn Indianerterritorien ausgewiesen, unter ihrem Vorgänger
Lula da Silva waren es in acht Jahren immerhin noch 79. Rechte
Agroparlamentarier, von denen viele zur Regierungskoalition gehören,
drängen nun darauf, dass dieses Vorrecht von der Exekutive auf die
Legislative übertragen und damit völlig begraben wird.
Und was sagt Werá Jeguaka Mirim selbst? „Ich wollte, dass Präsidentin Dilma
das liest. Und mehr Leute, damit sie mit uns kämpfen. Damit wir in unserem
Kampf nicht allein bleiben und damit Dilma sieht, dass wir nicht alleine
sind.“
22 Jun 2014
## AUTOREN
Gerhard Dilger
## TAGS
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