Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Band Bixiga 70 aus São Paulo: Fruchtbarer Austausch
> Die brasilianische Instrumentalband Bixiga 70 greift auf ihrem neuen
> Album „III“ den Afrobeat auf – und macht daraus etwas Neues.
Bild: Typisch Brasilianisch: Das zehnköpfige Bixiga 70-Ensemble mischt den Afr…
Energetisch und treibend, vertrackt und polyrhythmisch: Auf ihrem dritten
Album mit dem schlichten Titel „III“ setzt die brasilianische
Instrumentalband Bixiga 70 ihre Suche nach einem eigenen, zeitgenössischen
Ausdruck fort. Stand ihr Debütalbum noch ganz im Zeichen von Afrobeat,
kamen beim zweiten bereits weitere Einflüsse hinzu, Ethio Jazz eines Mulatu
Astatke etwa oder Carimbó aus der Amazonas-Region.
Das Album „III“ ist noch vielschichtiger. Es ist gelungen, auch wenn es
nicht immer leicht zu konsumieren ist. Zu Afrobeat kommen wie beim Song
„Lembe“ orientalische Klänge, perlende Gitarren des Guitarrada aus Pará
oder Trommeln der Candomblé- und Umbanda-Religion wie beim Auftaktsong
„Ventania“.
Ihr Sound ist psychedelischer geworden. Genau wie Fela Kuti klingen wollten
sie nie, sagt Cuca Feirreira, Flötist und Saxofonist des zehnköpfigen
Ensembles, der taz. Der von Kuti und seinem Drummer Tony Allen gestaltete
Afrobeat sei aber weiter „wichtiger Einfluss“. Wie beim Stück „Machado�…
die tighten Bläser im ständigen Wechselspiel mit der sich austobenden
Rhythmussektion stehen.
Erstaunlicherweise hat Afrobeat dabei in Brasilien, trotz starker
afrikanischer Prägung der Musik, lange Zeit keine Rolle gespielt. Ein Grund
wird sein, dass afrikanische Perkussion in einem Land mit
„Straßenköter-Komplex“ (Nelson Rodrigues) noch in den Fünfzigern als
„barbarisch“ galt, Piano und Saxofon dagegen als „zivilisierte“
Instrumente. Und seit Ende der Sechziger richtete sich der Blick –
abgesehen von Ausnahmen wie Gilberto Gil und später Chico Science – mehr
nach Europa und in die USA als in Richtung „Mama Afrika“.
Doch inzwischen ist das Afrobeat-Revival in Brasilien angekommen. Man kann
das als Zeichen dafür sehen, dass die Retrowelle längst auch ins
südamerikanische Land geschwappt ist. Womöglich ist sie auch Ausdruck jener
typischen Brasilidade zu sehen, die alles vereinnahmt, was von außen kommt,
und daraus etwas eigenständiges Neues formt. Denn Bixiga 70 haben
zweifellos mehr vom Tropicália, der Ende der 1960er traditionelle Rhythmen
mit Rock mischte, oder dem Mangue Beat Recifes, der in den 80ern globale
Sounds aufgriff, als von der Black-Rio-Bewegung. Letztere wollte im
Wesentlichen nur die US-Originale kopieren – was wie beim betörenden Soul
eines Tim Maia allerdings manchmal umwerfend klang.
## São Paulo als Katalysator
Dass Bixiga 70 aus dem Schmelztiegel São Paulo kommen, wundert nicht. Die
Megalopolis ist ein Katalysator, eine Stadt, in der sich ständig Altes mit
Neuem mischt. Es gehe ihnen um die Verbindung „traditioneller Rhythmen mit
einem urbanen Sound“, sagt Cuca Ferreira, darum, „Instrumentalmusik auf die
Straße zu bringen, Körper und Geist zu befreien“. Tatsächlich gelten Bixiga
70 als eine der besten Live-Bands São Paulos. Auch beim Hören von „III“
kommt man irgendwann an den Punkt zu denken, es wäre passender, die Songs
tanzend bei einem ihrer Konzerte zu erleben.
Das neue Bixiga-70-Album besticht mit seiner Durchlässigkeit. Die Band
bezieht sich dabei auf afrobrasilianische Traditionen, vornehmlich aus dem
Nordosten des Landes. „Sete Pancadas“ etwa, der Abschlusssong, wird von
drei Ilú-Trommeln getragen, die aus dem Candomblé Nagô im Bundesstaat
Pernambuco kommen.
Afrobrasilianische Musik zu spielen, sei nicht nur „eine Form, sich vor den
großen Meistern Brasiliens zu verneigen“, sagt Cuca Ferreira, sondern auch
probates Mittel, um „sich gegen Intoleranz und Rassismus auszusprechen“.
Denn zunehmend werde von Konservativen Stimmung gegen die
afrobrasilianische Kultur gemacht, besonders von den evangelikalen Kirchen
und Sekten, die überall im Land auf dem Vormarsch sind.
Dass das politische Klima in Brasilien sich immer mehr aufgeheizt hat,
haben die Bixiga 70-Mitglieder bereits am eigenen Leib erfahren: Bei einem
Auftritt wurden sie attackiert, als sie sich dagegen aussprachen, das
Militär gegen die von einem Korruptionsskandal angeschlagene
Regierungspartei PT einzusetzen. Statt „Desinformation und Hassdiskurs“
fordern sie einen „friedfertigen Dialog“. Musikalisch haben Bixiga 70 mit
„III“ vorgemacht, wie fruchtbar ein solcher Austausch sein kann.
Mehr zu Bixiga 70 gibt es [1][auf ByteFM].
18 Sep 2015
## LINKS
[1] https://byte.fm/sendungen/tazmixtape/2015-09-18/bassfetisch-brasilidade-btn…
## AUTOREN
Ole Schulz
## TAGS
São Paulo
Afrobeat
Brasilien
Radio
Brasilien
Brasilien
Rapper
## ARTIKEL ZUM THEMA
Online-Musikradio ByteFM: Die Freiheit am Mikrofon
ByteFM wird 10 Jahre alt. Mit seinem anspruchsvollen Musikjournalismus
setzt der Hamburger Sender Standards für die Öffentlich-Rechtlichen.
Hermeto Pascoal über Musik: „Spiele so, wie du dich fühlst“
Der brasilianische Künstler Hermeto Pascoal über Zwänge notierter Musik,
Stimmen in der Wildnis und seinen Obststand in Rio.
Pop-Gourmet Ed Motta: Advokat des Wohlklangs
Der brasilianische Soulmusiker Ed Motta ist detailversessen,
eigenbrötlerisch und schwer auszurechnen. Momentan ist er auf Tour.
Rapper über Proteste gegen die WM: „Brasilien darf nicht verlieren“
Der brasiliansche Rapper Emicida über die WM als tolles Fußballfest, die
faschistische Militärpolizei und seine Hoffnung auf ein Brasilien ohne
Rassismus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.