# taz.de -- Pop-Gourmet Ed Motta: Advokat des Wohlklangs | |
> Der brasilianische Soulmusiker Ed Motta ist detailversessen, | |
> eigenbrötlerisch und schwer auszurechnen. Momentan ist er auf Tour. | |
Bild: Yachtrock total: Ed Motta. | |
Neulich gab es mal wieder Ärger: Auf seiner Facebook-Seite hatte Ed Motta | |
seine Europatournee angekündigt und sich ausgebeten, dass seine Landsleute | |
ihn bitte nicht nerven sollen mit Nachfragen nach seinem uralten Hit | |
„Manuel“ und mit der Aufforderung, Portugiesisch zu sprechen. Er habe ein | |
englischsprachiges Repertoire vorbereitet und würde auch die Ansagen auf | |
Englisch machen. | |
Etwas später legte er nach: Sein Publikum sei eigentlich kultiviert und | |
wüsste sich zu benehmen, das träfe auch auf die meisten Brasilianer in | |
Europa zu. Doch kämen immer wieder Gruppen von Hinterwäldlern, die in | |
Brasilien nie seine Konzerte besuchten, weil sie eher Pagode, Afoxé und | |
Música sertaneja hören. Die würden Fußballtrikots tragen, Billigbier saufen | |
und mit Zwischenrufen nerven. Als die ersten irritierten Kommentare | |
einliefen, rastete Motta völlig aus und fing an, erst einzelne Leute zu | |
beschimpfen, dann den Nordosten des Landes, und schließlich verunglimpfte | |
er das ganze Land: Brasilien sei ein „ignoranter und intoleranter Ort“. | |
Zu seiner Musik passen solche Eskapaden auf den ersten Blick kaum: Ed Motta | |
ist weder zorniger Punk noch finsterer Rapper, sondern eher Advokat des | |
handwerklich erlesen ausgearbeiteten Wohlklangs. Der 41-jährige Sänger, | |
Songschreiber und Keyboarder veröffentlichte sein Debütalbum 1988 und | |
besetzte schnell den von seinem Onkel Tim Maia verlassenen Königsthron des | |
brasilianischen Soul. | |
Nach einigen sehr erfolgreichen Jahren in diesem Segment fuhr Ed Motta | |
seine musikalischen zugunsten gastronomischer Aktivitäten zurück und | |
moderierte unter anderem sehr erfolgreich Weindegustationen. 2013 meldete | |
er sich mit dem Album „AOR“ zurück, das ihn in unerwarteter | |
Songwriting-Partnerschaft mit dem britischen Rapper und DJ Rob Gallagher | |
zeigte, den ältere Leser vielleicht noch als Earl Zinger und die steinalten | |
als Galliano kennen. | |
## Sinn für Kulinarik | |
Musikalisch ist das Album geprägt von Mottas Liebe zum kalifornischen | |
Soulpop der siebziger Jahre, jenem besonders verführerischen Segment des an | |
dieser Stelle unlängst porträtierten „Yacht Rock“. Dazu besorgte sich Mot… | |
nicht nur Vintage-Keyboards, all jene Instrumente, die so charakteristisch | |
für diesen Sound waren, sondern ließ sich auch von einigen legendären | |
Fachkräften helfen, etwa dem Gitarristen David T. Walker. Da das gesamte | |
Projekt von einer detailversessenen Leidenschaft geprägt ist, ist „AOR“ | |
strenggenommen keine Retro-Handwerksarbeit, sondern durchaus ein | |
berührendes Hörerlebnis. | |
Was letztlich den Musiker wie den Menschen Ed Motta prägt, ist die | |
Tatsache, dass er ein Gourmet ist – musikalisch nicht weniger als | |
kulinarisch. Gern lässt er sich im Kreise seiner 30.000 Schallplatten | |
fotografieren, und wenn für ein Reissue-Projekt aus der reichen Historie | |
brasilianischer Musik mal wieder ein möglichst gut erhaltenes Exemplar | |
einer ultraseltenen Kleinstauflage gesucht wird, ist es nicht selten am | |
Ende ein Exemplar aus Mottas Kollektion, das fürs Remastering genutzt wird. | |
Mit derselben Besessenheit, mit der er Musik sammelt, produziert er auch | |
seine eigenen Werke, auch hier muss jedes Detail stimmen, und wenn dann so | |
ein mit viel Liebe zusammengebautes Opus live präsentiert wird, tut es | |
natürlich weh, wenn im Publikum Desinteresse und Unverständnis zur Schau | |
gestellt wird, indem es eine olle Kamelle aus einer anderen Zeit verlangt. | |
Bei seinen Facebook-Fans hat sich Motta am nächsten Tag dennoch | |
entschuldigt – zumindest halb. Der Tonfall seiner Repliken auf ihre | |
Kommentare sei nicht in Ordnung gewesen. Er habe ein Problem mit den | |
Medikamenten, die er gegen Depressionen und Paranoia-Attacken verschrieben | |
bekommen habe, und verliere dadurch mitunter die Kontrolle. Andererseits | |
würden die Leute aber auch seine Ironie nicht verstehen, das sei ein | |
grundsätzliches Problem in Brasilien. Und eröffnete dann ganz ironisch sein | |
nächstes Konzert in São Paulo mit dem Hit „Manuel“. | |
3 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Detlef Diederichsen | |
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