| # taz.de -- Geschäfte an den WM-Stadien: Suche nach dem Schlupfloch | |
| > Rund um Brasiliens Fußballstadien bieten normalerweise mobile | |
| > Kleinhändler Essen und Getränke an. Doch die Fifa lässt das nicht zu. | |
| Bild: Eigentlich verkauft Emanuel Caon Cocktails – aber das darf er nicht. Er… | |
| RIO DE JANEIRO taz | Eins klappt immer noch und das ist Gott. Tony Jackson | |
| steht ganz still in der Menge. Direkt vor ihm kommen sie alle die breite | |
| Treppe hinab, Tausende Menschen, viele von ihnen sind aus Chile angereist | |
| und jetzt wollen sie in Brasiliens wohl legendärstem Stadion Fußball | |
| schauen, im Maracanã. Tony Jackson ist aus San Diego gekommen, aus | |
| Kalifornien, USA, und bevor im Stadion hinter ihm gleich die Mannschaft aus | |
| Chile den amtierenden Weltmeister Spanien aus dem Wettbewerb kegeln wird, | |
| erfüllt Jackson wieder seine Mission. | |
| Mit seiner großen orangefarbenen Sonnenbrille, dem weißen Anzug mit den | |
| großen roten Streifen an den Ärmeln und dem Einstecktuch in der Sakkotasche | |
| sieht er aus wie ein Karibik-Kapitän. Aber er sammelt hier Spenden ein, für | |
| Drogenabhängige, in Not geratene, für seine Gospel-Kirche halt, die auch in | |
| Rio de Janeiro eine Zweigstelle hat. Auf seinem laminierten Papierschild | |
| steht „Caring is loving“. Kümmern ist Liebe. Nur dass sich um ihn hier | |
| heute kaum jemand kümmert. | |
| Er steht hier schon eine Weile und hat umgerechnet noch nicht mal 3 Euro in | |
| seiner riesigen weißen Sammelbüchse. Aber dafür hat er einen großen | |
| Vorteil: Er darf hier wenigstens stehen. Ein paar Meter weiter, dort wo die | |
| Fußballfans zu Tausenden direkt aus der U-Bahn drängen, drücken sich links | |
| und rechts von der Menge, wo auch die Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt | |
| gehandelt werden, aufmerksam die Straßenhändler hin und her, die hier ihre | |
| Getränke verkaufen wollen. | |
| Anders als sonst, wenn sie ihre großen Wägen vor sich herschieben – mit | |
| Popcorn, Churros, mit gekochten Maiskolben oder Getränken –, weist heute | |
| nur wenig auf sie hin. Sie schauen unbeteiligt, aber immer wieder zischt es | |
| ihnen aus den Mundwinkeln: „Cerveja, Cerveja“ – „Bier, Bier.“ | |
| In den dunklen Plastikmülltüten zwischen ihren Füßen haben sie ein paar | |
| kalte Bierdosen gelagert, und wer ihr Treiben eine Weile beobachtet, könnte | |
| denken, dass hier gerade kiloweise harte Drogen umgeschlagen werden. Alexis | |
| da Souza, 31, wird gerade zwei Bierdosen los, dann schaut er sich wieder | |
| um, ob auch ja keine Polizisten von der Guarda Civil in ihren braunen | |
| Uniformen in der Nähe sind. | |
| ## Da kommt die Guarda Civil | |
| Cinthia Ferreira, 22, und ihre Schwester Simone, 28, stehen nur ein paar | |
| Meter hinter ihm. Sie lehnen entspannt an einem Geländer und versuchen, | |
| sich nichts anmerken zu lassen. Nur manchmal hauchen auch sie leise die | |
| vorbeikommenden Fans an. „Cerveja, Cerveja.“ | |
| Ein Freund von ihnen sei schon festgenommen worden, erzählen die beiden | |
| Frauen, die gleich nebenan in der Comunidade – das ist ein schöneres Wort | |
| für Favela – Mangueira wohnen. Ihnen sei die Polizei bislang erspart | |
| geblieben. Aber jetzt müssen sie auch schon weiter, es gibt Ärger um ein | |
| Ticket, das neben ihnen gerade den Besitzer wechseln sollte – und da vorne | |
| kommt bereits die Guarda Civil. Cinthia und Simone Ferreira schleichen sich | |
| davon, Alexis de Souza ist schon weg. | |
| Weil die Fifa rund um die WM-Stadien in Brasilien Bannmeilen errichtet hat | |
| und dort für alles, was verkauft wird, die Exklusivrechte besitzt, haben es | |
| die Straßenhändler heute schwer. Wer erwischt wird, kann bestraft und | |
| festgehalten werden; dann ist auch die Ware weg. Und so hat sich vor dem | |
| Maracanã-Stadion ein interessantes Szenario entwickelt, bei dem die Händler | |
| von Getränken und Naschereien so gut wie unsichtbar geworden sind – und | |
| stattdessen der Handel mit Dingen boomt, die außer Konkurrenz laufen. | |
| Schminke zum Beispiel. | |
| Emanuel Caon hat jetzt auf Schminke umgesattelt. Normalerweiser verkauft | |
| der 27-jährige Argentinier, Typ Hippie, an den Stränden Rio de Janeiros | |
| Cocktails oder Schmuck, um sein Reiseleben zu finanzieren. Aber auch dort | |
| geht die Guarda Civil während der WM hart gegen die Händler vor. Zweimal | |
| haben sie seine Waren in den Tagen seit Beginn der WM schon beschlagnahmt. | |
| Er kann sich das so nicht weiter leisten. | |
| Und so steht er nun stattdessen mit vielen Farbtöpfchen und einem kleinen | |
| Pinsel vor dem Stadion und malt Chilenen ihre Nationalflagge ins Gesicht. | |
| Erst ein Querstreifen weiß, dann eine Ecke rot, dann einen weißen Stern | |
| übers Auge, umrahmt von Blau. „Damit habe ich weniger Ärger. Das hat einen | |
| einfachen Grund: Weder die Fifa noch ihre Sponsoren betreiben | |
| Schminkstände.“ Wenn gleich das Spiel beginnt, hat Caon schon Dutzende | |
| Chilenen angemalt, von jedem gibt es knapp 2 Euro. Sein Kollege neben ihm | |
| macht die Spanier. | |
| Und während am Biertresen im Stadion also 473 Milliliter eines recht laff | |
| geratenen Budweiser-Bieres über 4 Euro kostet, ist draußen vor dem Stadion | |
| nur ein kleines Nischengeschäft übrig geblieben, das denjenigen ein paar | |
| brasilianische Reais einbringt, die früh genug umsatteln konnten. Früher | |
| war das anders: Da wimmelte es hier nur so von Straßenverkäufern. Und die | |
| Fans freuten sich, dass sie für wenig Geld hier bekommen konnten, was sie | |
| gerade brauchten. Aber das war nicht Fifa-Standard. | |
| 19 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Kaul | |
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