# taz.de -- Justizopfer Gustl Mollath: Die Angst sitzt im Gerichtssaal | |
> Gustl Mollath will sein Recht. Doch im Gerichtssaal dominieren bei ihm | |
> „Beklemmungen und Angstzustände“. | |
Bild: Gustl Mollath vor Gericht: Kann er sich diesmal auf die Richter verlassen? | |
REGENSBURG taz | Für Gustl Mollath muss es gewesen sein, als würde ihn der | |
Teufel selbst begrüßen wollen. In einem schwarzen Anzug mit roter Krawatte | |
steht Mollath vor dem Landgericht Regensburg. Routiniert hat er das | |
Blitzlichtgewitter der Fotografen über sich ergehen lassen. Dass sie seit | |
seiner Freilassung vor knapp einem Jahr seine ständigen Beobachter sind, | |
daran hat er sich gewöhnt. | |
Doch dann kommt ein braungebrannter kleiner Mann mit weißem Backenbart auf | |
ihn zu und hält ihm die Hand hin. Es ist Norbert Nedopil, einer der | |
renommiertesten Gutachter Deutschland. Er soll Mollath den ganzen Prozess | |
über beobachten. Später wird Mollath ihm ins Gesicht sagen, was seine | |
Anwesenheit für ihn bedeutet: „Beklemmungen und Angstzustände“. Jetzt | |
zögert er kurz, nimmt dann aber doch die Hand und verbeugt sich tief in | |
seiner ihm eigenen, etwas übertriebenen Höflichkeit. | |
Es ist der erste Tag seines Wiederaufnahmeverfahrens. Seine Chance, zu | |
beweisen, dass er zu unrecht über sieben Jahre in der geschlossenen | |
Psychiatrie leiden musste, dass er seine Frau nicht misshandelt, keine | |
Autoreifen zerstochen und vor allem nicht von Wahnvorstellungen besessen | |
ist. Es ist die letzte Schlacht in seinem Kampf gegen die Justiz. Seine | |
Freiheit hat er sich erfochten, jetzt geht es um die „Rehabilitation für | |
Mollath“. So steht es auf einem Plakat, das sich ein älterer Herr in | |
weiß-blauem Hemd um den Hals gehängt hat. | |
Etliche sind gekommen, um Mollath beizustehen. Schon in der Nacht zuvor | |
kampierten die ersten Fans auf Klappstühlen vor dem Gerichtsgebäude. Einer | |
von ihnen trägt ein T-Shirt, auf dem steht: „Ich bin Gustl Mollath“. Für | |
seine Unterstützer steht Mollath für ein System, das Unrecht statt Recht | |
spricht. Viele haben es selbst erlebt. An eine „Klagemauer“ pinnen sie ihre | |
eigene Geschichte als „Justizopfer“. Während Demonstranten draußen | |
trommeln, steht Mollath wieder vor Gericht. | |
Diesmal wurde er nicht in Handschellen in den Gerichtssaal geführt, doch | |
die Verhandlung läuft auch jetzt nicht so, wie er es sich wünscht. Mollath | |
will sich verteidigen, doch nicht, solange jedes Zucken seiner Augenbraue | |
von einem Gutachter beurteilt wird. Zuerst bleibt er dabei. Doch dann hebt | |
Mollath die Hand. Er will doch reden. Er holt ein Glas und eine | |
Wasserflasche aus seiner Tasche, schenkt sich ein und stürzt es runter. | |
Dass Nedopil ihn beobachte, löse in ihm Reaktionen aus wie bei einem | |
„Kriegstrauma“. Er befürchtet am Schluss wieder eine „Wundertüte von ei… | |
Gutachten“ zu bekommen, „das völlig Normales als verrückt erklärt“. Vo… | |
liegt die Kopie eines Zeitungsartikels: „Gutachter liegen mit ihren | |
Prognosen meist daneben.“ Mollath zitiert Nedopil: Er schätzt die | |
Fehlerprognose seiner eigenen Zunft bei 60 Prozent ein und würde selbst nie | |
seine Seele vor Gericht „entblättern“. Warum sollte es also Mollath tun? | |
## Er hofft, dass er der Justiz diesmal trauen kann | |
Weil es so Vorschrift ist, entgegnet die Richterin Elke Escher und wendet | |
sich direkt an Mollath. Sie könne ihn verstehen, „so ein Prozess ist für | |
niemand wirklich angenehm.“ Ein Zucken geht durch Mollaths Gesicht. Escher | |
findet nicht immer die richtigen Worte. Sie verhaspelt sich öfters, aber | |
ihre Stimme ist ruhig und freundlich. Auch sie weiß, wie Mollath bei seinem | |
ersten Verfahren von seinem Richter zusammengebrüllt wurde. Trotzdem kann | |
sie Mollath auch seinen zweiten großen Wunsch nicht erfüllen. | |
Mollath wollte seiner Exfrau, deren Anklage ihn in die Psychiatrie brachte, | |
in die Augen sehen. Doch Petra M. ist nicht erschienen, sie verweigert die | |
Aussage. Das sei „juristisch in Ordnung, aber moralisch ist es das nicht“, | |
sagt Mollaths Anwalt Strate. Die Unannehmlichkeit, sich als Zeugin dem | |
Medienrummel auszusetzen, habe ein „Gewicht von Schwanenflaum“ im Gegensatz | |
zu dem, was Mollath durchgemacht habe. Der hat seine Augen gesenkt, es | |
sieht fast so aus, als wären sie geschlossen. | |
In der Psychiatrie hatte er nur eine Stunde Hofgang am Tag, Anfangs nur mit | |
Handschellen. Dort wurde er dreimal in der Nacht aus dem Schlaf gerissen, | |
für die Körperkontrollen musste er sich nackt ausziehen. | |
Mollath hebt den Kopf erst wieder, als der Anwalt seiner Frau spricht. Mit | |
gerecktem Kinn in Angriffshaltung hört er durch ihn ihre Rechtfertigungen. | |
Sie habe nach langer Überlegung zugestimmt, dass alle ihre Aussagen vor | |
Gericht verwendet werden könnten. Das Leiden Mollaths könne mit ihrem | |
Unbehagen, als Zeugin auszusagen, nicht verglichen werden, sagt ihr Anwalt. | |
Mollath rückt sein Sakko zurecht und senkt wieder den Blick. | |
Vor der Verhandlung hatte er gesagt, er „hoffe, wünsche“, dass er sich | |
heute auf die Justiz „verlassen“ könne, doch schon am ersten Tag muss er | |
erleben, dass die Richterin seiner Argumentation nicht folgt. Auch ob die | |
Zeugen, die Mollath vorladen wollte, gehört werden, ist noch nicht klar. Er | |
wollte Mitarbeiter der Hypo-Vereinsbank aussagen lassen, die die | |
Schwarzgeldschiebereien seiner Frau bestätigen könnten. | |
Mollath bleibt ruhig, die Hände im Schoß gefaltet folgt er der Verhandlung. | |
In den Pausen bekräftigen ihn seine Unterstützer, empören sich darüber, | |
dass er wieder der „Folter“ ausgesetzt sei, sich einem Gutachter zu | |
stellen. Ihnen wirft Mollath immer wieder einen süffisanten Blick zu, wenn | |
er ab und zu seine Scherze macht. Als er seine Personalien angeben muss, | |
holt er aus der Sakkoinnentasche seinen Reisepass. Dort sei verzeichnet, | |
dass er keinen festen Wohnsitz habe. „Wenn es Probleme gibt, müssen sie | |
mich verhaften“, sagt er. „Das haben wir nicht vor“, sagt die Richterin. | |
Mollath schmunzelt unter seinem Schnurrbart. Er hat das schon anders | |
erlebt. | |
7 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schnell | |
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