# taz.de -- Mollath-Skandal in Bayern: Kaum auszuhalten | |
> Wieder kämpft Gustl Mollath – diesmal um seinen Ruf. Sieben Jahre war er | |
> in der Psychiatrie eingesperrt. Der neue Prozess reißt alte Wunden auf. | |
Bild: Am Montag beginnt Gustl Mollaths Wiederaufnahmeverfahren. | |
MÜNCHEN taz | „Gepflegt sieht er aus“, flüstert ein Zuschauer seinem | |
Nachbarn zu. Gustl Mollath hat sich unauffällig auf einen Stuhl neben dem | |
Podium gesetzt. Er trägt eine schwarze Anzughose und ein weißes Hemd. Er | |
ist rundlicher geworden, das Haar ein bisschen grauer, seine Gesichtsfarbe | |
verrät, dass er viel in der Sonne war. Um die 250 Menschen sind zu einer | |
Diskussionsrunde der FDP gekommen, um ihn zu hören. | |
Die Hände im Schoß, den Kopf gesenkt, blickt Mollath auf den Boden. So | |
verharrt er, während ein FDP-Mann über den „Fall Mollath“ referiert, den | |
Justizskandal, der Deutschland letztes Jahr erschütterte. | |
Sieben Jahre lang war Mollath in der Psychiatrie gefangen. Wegen eines | |
Urteils, das voller Widersprüche ist. Seine Frau hatte ihn angezeigt, weil | |
er sie angeblich bewusstlos gewürgt hat. In Mollaths Version ein Racheakt. | |
Er hatte Strafanzeige gestellt, wegen Schwarzgeldschiebereien in | |
Millionenhöhe, in die auch seine Frau verwickelt sein sollte. | |
Doch die Richter erklärten ihn für verrückt, glaubten Gutachtern, von denen | |
die meisten Mollath weder gesprochen noch gesehen hatten. Als | |
gemeingefährlich schickten sie ihn in die Psychiatrie, bis sich | |
herausstellte, dass „alle nachprüfbaren Behauptungen“ Mollaths stimmten. | |
Seit knapp einem Jahr ist er frei. Doch wie frei ist er wirklich? Was hat | |
die Psychiatrie mit ihm gemacht und wie erlebt er die Tage, kurz bevor sein | |
Fall am Montag in Regensburg neu verhandelt wird? | |
Am 6. August 2013 öffnet sich die Tür seiner Zelle in Bayreuth. „Herr | |
Mollath, Sie müssen gehen“, sagt der Anwalt des Bezirkskrankenhauses. | |
Jahrelang musste die Allgemeinheit vor ihm geschützt werden, jetzt hat er | |
drei Stunden, um seine Sachen zu packen. | |
Mollath sagt, er müsse organisieren, wo er unterkommen kann, bittet um ein | |
paar Tage Aufschub, aber „nein, ich musste sofort vor die Tür“. Fieberhaft | |
packt er seine Sachen und hetzt raus in die Arme von Fotografen und | |
Journalisten. Viel mehr als die Topfpflanze unter dem Arm, die er sich aus | |
Dattelkernen gezüchtet hat, besitzt er nicht, keine Wohnung, kaum Kleidung, | |
dafür die Aufmerksamkeit einer ganzen Nation. | |
## Freunde und Spenden | |
Mollath finanziert sich über Spenden, die Unterstützer für ihn gesammelt | |
haben. Außerdem helfen ihm Freunde. Bei ihnen schläft er auch, eine eigene | |
Wohnung hat er nicht. Seit seiner Entlassung tourt er durch Deutschland und | |
erzählt, was er erlebt hat in der Psychiatrie. | |
Wie er tagelang in Isolationshaft gehalten wurde in einem Raum, „knallhart | |
weiß“. Auch nachts brannte das Licht, die Zeitung, mit der er versuchte, es | |
zu dimmen, wurde ihm weggenommen. Vor den Fenstern, „das Einzige, wo sie | |
die Freiheit, was Positives sehen“, war ein Lochblech, durch das „nicht mal | |
eine Zigarette“ passt. Oft schreckt er nachts schweißgebadet auf, doch an | |
seine Träume erinnert er sich nicht. Dass sich der Mensch „nicht permanent | |
erinnert, hat seinen Sinn“, sagt er. | |
## „Wer schreibt, der bleibt“ | |
Am schlimmsten aber war für ihn, dass er nicht helfen konnte. „Sie hören | |
die Hilfeschreie, klägliche, und Sie sind in Ihrer Zelle eingesperrt und | |
können nichts tun“, sagt er. Seine unzähligen Beschwerdebriefe kommentierte | |
das Personal mit dem Spruch: „Wer schreibt, der bleibt.“ – „Die haben d… | |
Wissen, dass ihnen nie etwas passiert“, sagt Mollath. Er hat es zu seiner | |
Mission gemacht, das zu ändern. | |
Ruhig und in klaren Worten schildert er auf dem Podium die „Hölle“, durch | |
die er gegangen ist. Doch dann wird seine Stimme lauter: „Erst wenn wir so | |
weit sind, dass der erste Gutachter sein Haus durch einen | |
Gerichtsvollzieher versilbern muss, erst dann werden sich einige am Riemen | |
reißen!“ Tobender Applaus. Neben ihm steht Strafrechtsprofessor Heinz | |
Schöch. Er lobt „das bayerische Justizministerium ausdrücklich“. Buhrufe. | |
Ein Mann aus der letzten Reihe springt auf. „Sollen Sie mal das | |
durchmachen, was der Mollath durchgemacht hat!“ | |
Für viele ist Mollath zum Erlöser geworden, weil er gegen ein System | |
kämpft, das auch sie als ungerecht empfinden. Manche von ihnen reden wirr, | |
doch die meisten sind gut gekleidet mit anständigen Frisuren. Mollath tupft | |
sich den Schweiß mit einer Papierserviette von der Stirn, seine Backen sind | |
gerötet, die Haare zerzaust. Er hört allen geduldig zu. Auch jetzt tut es | |
ihm weh, nicht sofort helfen zu können, aber „das Wichtigste ist jetzt der | |
Prozess“. | |
## Seine Ex-Frau ist Nebenklägerin | |
Seit Monaten wühlt er sich durch Akten. Immer wieder sagt er sein | |
fränkisches „Momentele“ und geht noch einen Ordner holen. Der Prozess wird | |
„kein Wohlfühlprogramm“. Norbert Nedopil, einer der bekanntesten Gutachter | |
Deutschlands, wird ihn beobachten. Für Mollath ist das „unerträglich“. �… | |
machen Sie in Ihrer Verzweiflung? Wenn Sie über Jahre erlebt haben, wie | |
solche Fachleute über Sie Lügen verbreitet haben“, sagt er. Auch seine | |
Exfrau wird er wiedersehen. Sie tritt als Nebenklägerin auf. | |
Das letzte Mal hörte er sie 2008: Mollath ist im Bezirkskrankenhaus | |
Straubing, sein Name wird über die Lautsprecher ausgerufen, ein Anruf für | |
ihn. „Na, was sagst du jetzt?“, sagt sie scharf. – „Es war so unmöglic… | |
der Triumph, die Häme in ihrer Stimme“, sagt er. Sie hatte wohl gerade | |
erfahren, dass gegen sie nicht ermittelt wird. Er legt sofort auf. | |
Die Frau, mit der er 24 Jahre zusammen war, nennt er nur noch Frau M. „Für | |
mich ist das wie Jekyll und Hyde“, sagt er. Er werde lange grübeln: „Hast | |
du jahrelang eine rosarote Brille aufgehabt?“ Jetzt steht vor Gericht seine | |
Version gegen ihre. Dass seine Exfrau als vermeintlich Geschädigte keine | |
Aussage machen will, spreche ja für sich. „Was ist denn, wenn Frau M. | |
psychisch krank ist?“, fragt Mollath. | |
Er selbst ist nach knapp einem Jahr in Freiheit im Kopf wieder in der | |
Psychiatrie. Durch die Vorbereitung auf den Prozess durchlebt er alles aufs | |
Neue. „Jede Minute ist furchtbar“, sagt er. An eine umfassende Aufklärung | |
glaubt er nicht. „Die werden versuchen, dass an den Institutionen möglichst | |
nichts hängen bleibt.“ Manchmal stellt er sich vor abzuhauen, Deutschland | |
zu verlassen. Aber er ist kein „Nestflüchter“, er muss dafür sorgen, „d… | |
der Wahrheit wenigstens ein Fitzelchen gelassen wird“. | |
6 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schnell | |
## TAGS | |
Gustl Mollath | |
Justizskandal | |
Landgericht | |
Gustl Mollath | |
Gustl Mollath | |
Gustl Mollath | |
Mollath | |
Gustl Mollath | |
Psychiatrie | |
Mollath | |
Gustl Mollath | |
Gustl Mollath | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wiederaufnahme im Mollath-Prozess: Stur, aber nicht allgemeingefährlich | |
Der psychiatrische Gutachter meint, Gustl Mollath stelle keine Gefahr für | |
die Allgemeinheit dar. Doch der hatte sich der Begutachtung verweigert. | |
Wiederaufnahme Mollath-Prozess: Fehler? Welche Fehler? | |
Gustl Mollaths ehemaliger Richter erinnert sich an nichts Genaues. Der | |
Gutachter meint, der Verurteilte sei eben schwierig gewesen. | |
Mollath-Prozess in Regensburg: Richter vor Gericht | |
Am fünften Tag des Wiederaufnahmeverfahrens wurden diejenigen befragt, die | |
Mollath 2006 verurteilt haben. Sie zeigen deutliche Gedächtnislücken. | |
Prozess um Gustl Mollath: Beim Gegenangriff verzettelt | |
Ein Freund von Gustl Mollath bezichtigt dessen Exfrau, ein Komplott geplant | |
zu haben. Doch dabei verstrickt er sich in Widersprüche. | |
Justizopfer Gustl Mollath: Die Angst sitzt im Gerichtssaal | |
Gustl Mollath will sein Recht. Doch im Gerichtssaal dominieren bei ihm | |
„Beklemmungen und Angstzustände“. | |
Rüffel für bayerische Justiz: Mollath siegt auch in Karlsruhe | |
Die Verfassungsbeschwerde gegen Verlängerung der Psychiatrie-Unterbringung | |
im Jahr 2011 hat Erfolg. Das ist eine Niederlage für Justizministerin Merk. | |
Fall Mollath: Verfassungsbeschwerde erfolgreich | |
Noch ein Sieg für Mollath: Das Bundesverfassungsgericht gab seiner | |
Beschwerde gegen die Entscheidung zweier Gerichte statt. Bayerns | |
Justizministerin Merk erntet Kritik. | |
Mollath bei „Beckmann“: Einblicke ins Gutachtersystem | |
Gustl Mollath darf bei „Beckmann“ noch einmal seine Geschichte erzählen. | |
Ungeheuerlich aber sind die Aussagen der Psychiaterin, die auch geladen | |
ist. | |
Strafrechtler über den Fall Mollath: „Fehler müssen zugegeben werden“ | |
Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller wünscht sich, dass die Justiz aus | |
ihren Versäumnissen lernt. Und sie sollte ihre Gutachter öfter wechseln. | |
Kommentar Freilassung von Mollath: Ein politisches Urteil | |
Die Entscheidung, den Fall Gustl Mollath neu aufzurollen, ist für Bayerns | |
Regierung praktisch. Das Thema wird so aus dem Wahlkampf gehalten. |