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# taz.de -- Online-Redaktionen in Deutschland: Nachtschichten in Übersee
> Auch „Spiegel Online“ reagiert auf das wachsende Bedürfnis der Nutzer
> nach frühen Nachrichten. Und richtet dafür eine Schicht in Sydney ein.
Bild: Arbeiten, wenn andere schlafen – in Sydney geht das.
BERLIN taz | Für den Nutzer ist es praktisch: Er lässt sich inzwischen
ohnehin immer häufiger von seinem Smartphone wecken, also wirft er auch
gleich einen Blick auf das Weltgeschehen. Für die Redaktionen ist das ein
Problem, denn viele sind nicht darauf eingestellt, schon um 6 Uhr eine ganz
frische Seite liefern zu müssen. Doch das ändert sich jetzt, denn auch
Journalisten haben gelernt, dass Nutzer mobil und dabei auch sehr früh
unterwegs sind.
„Diese Zäsur ist vergleichbar mit dem Beginn der massenhaften
Internetnutzung vor 20 Jahren: Millionen Menschen verändern ihre Ansprüche
und ihre Gewohnheiten, wann und wie sie Medien nutzen“, sagt Florian Harms,
stellvertretender Chefredakteur von Spiegel Online, dem Leitmedium der
digitalen Zeit.
Spiegel Online hat früh auf- und ausgebaut, betreibt heute einen gewaltigen
Apparat von 130 Redakteuren, dazu Grafik, Technik, Verwaltung. Und dennoch:
Es bleiben Lücken im Angebot, vor allem nachts.
## News nur, wenn’s knallt
„Nachtschwester“ nennen sie in der Hamburger Redaktion die Kollegen, die
bis etwa 0.30 Uhr die Seite frisch halten. Dann schläft der Newsroom für
ein paar Stunden. Auf spiegel.de tut sich bis zum Morgen nur etwas, wenn es
auf der Welt wirklich knallt. Dann bekommen die Korrespondenten in den USA
ein Alarmsignal.
Nun will aber auch Spiegel Online einem Trend folgen und einen Nachtdienst
einführen – in Sydney, wo die Zeitverschiebung dafür sorgt, dass es zur
deutschen Nachtzeit hell ist.
„Viele Menschen leisten nachts bis zu 50 Prozent weniger als tagsüber“,
sagt Harms, der nicht zuletzt auf Produktivität aus ist. „Andere Medien
haben in Sydney gute Erfahrungen gemacht. Das probieren wir jetzt auch aus,
zunächst mit einem Kollegen.“
Neue Redakteure sucht die Chefredaktion dafür allerdings nicht. Die Schicht
soll aus dem Bestand besetzt werden – im Rotationsprinzip: Wer sich gut
macht, soll auf Redaktionskosten für ein halbes Jahr in die Ferne fliegen
dürfen, Neudeutsch: ein Incentive, also eine Prämie.
Spiegel Online quartiert sich bei AAP ein, der Australischen
Nachrichtenagentur. Die hat sich in den vergangenen Monaten zu einem Mekka
für europäische Nachtarbeiter entwickelt. AAP vermietet Tische an
ausländische Journalisten. Schweizer arbeiten dort ebenso wie Deutsche.
## Klub der deutschen Nachteulen in Sydney
Als Erstes hatte eine Spezialredaktion der Deutschen Presse-Agentur (dpa)
dort zwei Plätze gebucht. Die Journalisten übersetzen in Sydney Nachrichten
aus dem Englischen. Als nächstes kam Springers Welt, die ebenfalls alle
paar Monate ein bis zwei Kollegen aus der Heimatredaktion schickt. In
Sydney hat sich also so etwas wie ein Klub der deutschen Nachteulen
gegründet. Dass sich die Redakteure, die auf der anderen Seite des Globus
Tisch an Tisch sitzen, nicht die aktuelle Lage zurufen – undenkbar.
Von einem Kartell der Nachtarbeiter kann trotzdem keine Rede sein: Radio-
und Fernsehjournalisten müssen natürlich weiterhin in den Funkhäusern
sitzen. ZeitOnline und Sueddeutsche.de beschäftigen Überseenachtarbeiter
schichtweise. Außerdem haben sich einige schreibende Redaktionen zwar auch
dafür entschieden, ihre Nachtschichten in die Ferne auszulagern, aber an
ganz andere Standorte: Bild betreibt ein Büro in Los Angeles, das
Handelsblatt sitzt in der Nähe des Börsenparketts der Wall Street in
Manhattan.
Und viele andere werden sich einen Dauerausflug nicht leisten können, auch
wenn es aus allen beteiligten Häusern heißt, dass zumindest die
Personalkosten in der Ferne ja günstiger seien. Manch einer bezahlt einfach
grundsätzlich weniger, weil das Ambiente stimme. Und dann fallen natürlich
keine Zuschläge an. In Sydney scheint ja schließlich die Sonne.
10 Jul 2014
## AUTOREN
Daniel Bouhs
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