# taz.de -- Jubliäum bei „Spiegel Online“: Entschleunigung der Besserwisser | |
> Der Nachrichtendienst ist seit 20 Jahren am Netz. Dem Alter angemessen | |
> will „Spiegel Online“ jetzt auf Qualität statt Geschwindigkeit setzen. | |
Bild: Sieht so die entsprechende Technik zur zukünftig entschleunigten Produkt… | |
Montagvormittag auf der Hamburger Ericusspitze. Florian Harms sitzt im | |
obersten Stockwerk des gläsernen Spiegel-Baus. Von seinem Eckbüro aus hat | |
der stellvertretende Chef der Onlineredaktion einen unverbaubaren Blick | |
über die Hansestadt. Harms gibt sich beim Interview überlegt. Etwa wenn er | |
an die Zeit zurückdenkt, als Spiegel Online noch mit dem Spruch „Schneller | |
wissen, was wichtig ist“ für sich geworben hat: „Schnelligkeit hatte einen | |
enorm hohen Wert.“ | |
Das mit dem Tempo habe sich zuletzt aber deutlich gewandelt. Heute stünden | |
„Relevanz und Stimmigkeit“ an erster Stelle. „Be first, but first be right | |
– das ist jetzt ganz klar unsere Maxime“, sagt Harms und betont, die | |
Redaktion habe dafür auch ihre „Workflows“ angepasst, also Abläufe und | |
Technik. Doch dann demonstrieren seine Leute, wie gut das wirklich | |
funktioniert. Keine 24 Stunden nach dem Gespräch schickt Spiegel Online | |
eine allzu eilige Eilmeldung raus: „Oscar Pistorius zu XXX verurteilt.“ | |
Stimmig ist das nicht. | |
Spiegel Online ist am 25. Oktober 1994 ans Netz gegangen. Damals war das | |
Internet für viele nicht mal Neuland – wie soll man auch etwas betreten, | |
von dem man gar nicht weiß, dass es existiert. In Parteizentralen und | |
Redaktionen hingen Bildschirme, auf denen permanent der Videotext der ARD | |
lief. Was wichtig war, stand hier. Doch spätestens nach den | |
Terroranschlägen auf das World Trade Center war der Ansturm auf Spiegel | |
Online so groß, dass die Redaktion eine Sonderseite schalten musste, die | |
9/11-Interessierte vom übrigen Angebot weglotste, damit der Server nicht | |
kollabierte. | |
Der Erfolg kam nicht zuletzt dadurch, dass kluge Menschen im Spiegel-Verlag | |
sehr früh sehr viel ins Digitale investierten. Heute arbeiten für Spiegel | |
Online gut 150 Redakteure, die meisten im Hamburger Newsroom, einige am | |
Pariser Platz in Berlin, wenige fest im Ausland. Viele große Zeitungen | |
haben weniger Journalisten unter Vertrag. | |
## Bloß keine Panik! | |
In dieser Woche haben die Heftkollegen vom Spiegel ein Porträt ihres | |
„schnellen Bruders“ im Blatt. Es fällt wohlwollend aus. Da ist von einem | |
Medium mit „Macht und Einfluss“ die Rede, das „den Takt der Republik“ | |
bestimmt. Aber ist das noch so? Die Konkurrenz, die von ihren Verlegern und | |
Intendanten lange klein gehalten wurde, hat aufgeholt. Auch sie sind bis in | |
die Hosentaschen der Nutzer hinein präsent. Wer mit Bus oder Bahn unterwegs | |
ist, hört mindestens genauso oft den Tagesschau-Gong wie die | |
Push-Mitteilungen von Spiegel Online. Und auch in den Redaktionen löst ein | |
Aufmacher von Spiegel Online keine Panik mehr aus. | |
Tagesschau-Chef Kai Gniffke sagt, Journalisten würden bei Spiegel Online | |
immerhin „von Zeit zu Zeit vorbeischauen, um nach interessanten Themen zu | |
suchen“. Es gebe eben „nicht mehr den einen großen Taktgeber in der | |
deutschen Medienlandschaft“. Auch Spiegel-Online-Mann Harms sieht seine | |
Redaktion heute lediglich noch „ein Stück weit“ als „Kompass durch den | |
Informationsdschungel“ für Medien und Politik. | |
Allerdings: „Wenn wir Geschichten prominent auf die Seite stellen, die noch | |
nicht in aller Munde sind, dann stehen sie zwei Tage später in der | |
Süddeutschen oder der FAZ. Die greifen das auf.“ Das wiederum lässt sich | |
schwerlich leugnen. Spiegel Online ist immer noch ein Treiber. Bloß nicht | |
mehr der einzige. | |
Das Setting der politischen Agenda spielt für den Erfolg von | |
Nachrichtenportalen ohnehin eine immer geringere Rolle. Nicht die Zahl der | |
Zitate in anderen Medien oder der Reaktionen von Politikern bildet die | |
Währung der Zukunft, sondern die Häufigkeit, mit der Nutzer bei Facebook | |
und anderen sozialen Netzwerken einzelne Geschichten an Freunde | |
weiterreichen. | |
## Die Experten von | |
„Da wird in Zukunft noch viel mehr von Spiegel Online kommen“, sagt Harms. | |
Tatsächlich hat der Spiegel erst kürzlich Bild einen Experten weggeschnappt | |
– einen, der die Logik sozialer Netzwerke verstanden hat. Und bald soll | |
auch Spiegel Online einen Social-Media-Chef haben. | |
Harms arbeitet außerdem schon seit Monaten intensiv daran, Informationen | |
geschickt für mobile Geräte aufzubereiten: „Wir haben jetzt eine | |
vergleichbare Situation wie vor 20 Jahren, als die massenhafte Nutzung des | |
Internets begann.“ Nur dass sich die Mehrheit heute bereits von ihren | |
Smartphones wecken lässt und noch vor dem Frühstück das erste Mal online | |
geht. „All das hat große Auswirkungen auf unsere Arbeit“, sagt Harms. | |
Etwa das Format „Der Morgen“, bei dem Nachrichtenhäppchen, von jeweils | |
einem Autor persönlich kommentiert, die Nutzer in den Tag begleiten – eine | |
Art Morgenfernsehen im Netz, Kuratieren fremder Quellen inklusive. | |
Gleichzeitig ist Storytelling ein Thema, sprich: das intelligente Erzählen | |
einer Geschichte in einer ausgewogenen Mischung aus Text, Foto, Audio und | |
Video. Hier sind andere stärker, etwa Zeit Online, die dafür aber auch | |
bewusst auf Aktualität verzichten. | |
Vor diesen Herausforderungen steht Spiegel Online natürlich nicht allein. | |
Auch andere etablierte Portale kämpfen damit, dass sich Ableger junger | |
US-Dienste in Deutschland breitmachen, die sich nicht erst vom klassischen | |
Onlinejournalismus lösen müssen. Vor einem Jahr kam die Huffington Post, | |
vor ein paar Tagen BuzzFeed. Für sie ist die Website schon seit dem Start | |
nur ein Nebenprodukt. | |
Aber die Fallhöhe ist bei den Hamburgern besonders hoch. Wer über zwei | |
Jahrzehnte die Nase vorn hatte und einen opulenten Apparat unterhält, hat | |
viel zu verlieren. Gerade die schiere Größe ist es aber wiederum, die | |
helfen kann, schneller als andere Antworten zu finden und so Vorreiter zu | |
bleiben. „In Wahrheit fangen wir gerade erst an“, sagt Harms, der mit dem | |
mobilen Zeitalter wieder eine Medienrevolution wittert. „Jetzt wird es erst | |
richtig spannend.“ Zumindest wenn alles glattgeht – und nicht wieder ein | |
„XXX“ die Strategie durchkreuzt. | |
25 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
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