Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- U-Bahn-Fahren im Rollstuhl: Ach, da war ja noch etwas
> Öffentliche Verkehrsmittel sind die Pest – vor allem wenn man im
> Rollstuhl sitzt und ständig jemand oder etwas im Weg oder nicht zur
> Stelle ist.
Bild: Olfaktorisch eine Herausforderung: Aufzüge in U-Bahnen
Montag, 9.01 Uhr: U-Bahnhof Amrumer Straße, U 9 Richtung Rathaus Steglitz –
bis zur Haltestelle Kurfürstendamm. Auf dem Weg zur Universität der Künste
Berlin.
Ich steure den Aufzug an. Es riecht nach Cannabis, eine fast schon
willkommene Alternative zu dem sonstigen Geruchsgemisch aus Urin, Schweiß
und sonstigen menschlichen Ausdünstungen. Ich steige in den zweiten
Fahrstuhl zum Gleis und sehe, dass er hinter mir abgesperrt wird. „Super“,
denke ich. Vielleicht wird jetzt eine Grundreinigung durchgeführt. Nötig
hätte es der Fahrstuhl allemal.
9.17 Uhr: Ankunft U-Bahnhof Kurfürstendamm.
Eine Station früher als all meine Kommilitonen muss ich aussteigen, da an
der nächsten Haltestelle, an der die Universität liegt, U-Bahnhof
Spichernstraße, kein Fahrstuhl vorhanden ist. Einen Kilometer jeden Morgen
und Nachmittag extra. Um auf den Kurfürstendamm zu kommen, muss ich zwei
Aufzüge nehmen. Zwei Aufzüge sind es in den meisten U-Bahn-Stationen. Wenn
einer von ihnen kaputt ist, dann kann ich das Anfahren der Station
vergessen.
Die Haltestelle Kurfürstendamm tritt im Wettkampf um den beißendsten
Uringeruch in den Ring mit der Station Rathaus Steglitz. In dieser Woche
steht es unentschieden.
12.00 Uhr: Während eines Seminars bekomme ich eine E-Mail auf mein Handy.
„Neue Aufzugsstörung der Haltestelle U-Amrumer Straße“. Ich komme also
nicht wie und wann geplant nach Hause, muss von der Universität aus eine
Station weiter fahren, zum U-Bahnhof Leopoldplatz, und hoffen, dass dort
alle zwei Fahrstühle funktionieren. Anschließend dann 750 Meter extra nach
Hause rollen. Das ist eine sehr kurze Strecke in U-Bahn-Metern. Deshalb
werde ich von einigen Zugführern dafür kritisiert, diese kurze Distanz mit
der Bahn zurücklegen zu wollen, da sie für mich von ihrem Platz aufstehen
müssen und mir in den Zug helfen, wenn dieser einer der älteren ist. Ich
könne die Station ja laufen. Das mit dem Laufen ist ja so ein Problem an
sich …
Um über Aufzugsstörungen informiert zu werden, kann man sich auf der
Internetseite der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) [1][www.bvg.de]
registrieren. Ich habe dort die Stationen an meinem Wohnort, an der
Universität, zur Familie und Freund eingetragen. Ich müsste aber eigentlich
das gesamte U-Bahn-Netz anwählen. Man fährt ja nicht immer die gleiche
Strecke.
Samstag, U-Bahnhof Westhafen, 14 Uhr auf dem Weg zum Zentralen
Omnibusbahnhof Berlin
Im Aufzug zur S-Bahn-Linie Ringbahn mit Reisekoffer am Rollstuhl. In dem
Aufzug befindet sich: Scheiße. Menschliche Scheiße. Zum Glück platzierte
der Mensch sein Geschäft weit links, sodass ich mit Rollstuhl und Koffer
daran vorbeirollen kann. Wäre dem nicht so, hätte ich anders fahren müssen
und meinen Reisebus nach Hamburg verpasst. Da hat wohl jemand mitgedacht.
Dienstag, 10 Uhr im Fahrstuhl am U-Bahnhof Rathaus Steglitz:
Ich bin erkältet, ich rieche keinen Fahrstuhlgeruch und bin froh darüber.
Mittwoch, 16 Uhr, U-Bahnhof Zoologischer Garten, Linie U 9
Aufzug samt Geruch überstanden, auf dem Gleis liefere ich mir ein kleines
Rennen gegen die Mutter mit ihrem überbreiten Kinderwagen. Ich gewinne und
nehme den Platz am Bahnsteig ein, der gezwungenermaßen für Rollstuhlfahrer
vorgesehen ist. Ich darf nicht einfach irgendwo am Gleis auf den Zug warten
oder etwa bis zum anderen Ende des Gleises rollen, da sich dort der
Fahrstuhl am Zielbahnhof befindet. Nein, ich muss am Kopf bleiben und
warten, ob da etwas Hellgelbes oder Dunkelgelbes einfährt.
Hellgelb steht für die neuen Züge. Das sind diejenigen, die keine Abteile
mehr haben, und was das Wichtigste aus Rollstuhlfahrersicht ist: Sie sind
ebenerdig. Das heißt, man kann ganz einfach vom Gleis aus hereinrollen.
Alleine, ohne Hilfe. In den neuen, hellgelben Zügen gibt es in mehreren
Wagons auch für Rollstuhlfahrer vorgesehene Plätze.
Dies sind aber leider keine einfachen, schönen Plätze ohne Sitze. Dort, wo
ich mich mit meinem Rollstuhl hinstellen soll, gibt es aufklappbare Sitze,
vor die ich mich stellen kann. Diese sind für Schwangere und Ältere
gedacht. Theoretisch könnte ich die dort sitzenden Gesunden gemäß deutscher
Rentnermentalität auffordern, den Platz freizumachen. Aber so auf Krawall
bin ich dann doch nicht gebürstet und stelle mich in irgendeine Tür,
gegenüber der Fahrtrichtung, damit ich nicht störe.
Dunkelgelb bedeutet, dass ein alter Zug einfährt, mit einer etwa 20 cm
hohen Stufe, die ich nicht alleine mit Rollstuhl hochkomme. Der Zugführer
muss aussteigen und mir helfen. Und sich natürlich merken, wann ich wieder
aussteigen möchte, um mir abermals zu helfen. In den dunkelgelben Zügen
habe ich einen festen Platz, vorne im Zug. Dieser ist aber auch nicht
sonderlich gut gekennzeichnet. Ich muss mich zwischen Fußgängern und ihren
Rucksäcken und ihre Tiere zwängen. Mit dem Rollstuhl schlank machen.
Besonders lieb sind mir die Rucksackträger. Sie benehmen sich wie träge
Schildkröten, die vergessen, dass sie einen Panzer auf dem Rücken haben und
mir damit regelmäßig ins Gesicht schlagen.
In U-Bahnen gibt es leider keine Haltewunschknöpfe, deshalb muss der Fahrer
es sich einfach merken. Durchschnittlich mehrmals pro Woche merkt er es
sich nicht und ich muss an seine Tür klopfen, wenn ich schon das
„Zurückbleiben, bitte“ höre, aber immer noch im Zug stecke. Oft kommt er
oder sie dann doch und hilft mir raus. Überwiegend höre ich dann ein
freundliches „Entschuldigung“. Ein anderer beliebter Satz ist „Da war ja
noch etwas“.
Nicht eingeplant bei den dunkelgelben Fahrzeugen ist, dass man seine
Meinung bezüglich des Haltewunsches ändert, wenn man einen kurzfristigen
Termin hat oder jemanden in der U-Bahn trifft. Dann ist man aufgeschmissen.
Ich wünschte, Berlin würde nur noch mit hellgelben Zügen ausgestattet sein,
damit ich aussteigen kann, wann und wo ich möchte. Ganz alleine. Außerdem
würde ich der BVG einige Hochdruckreiniger für die Fahrstühle spendieren,
wenn ich ein reicher Mensch wäre. Oder ein Auto kaufen.
Zu jeder Zeit Störfaktor
In jeder U-Bahn habe ich das Gefühl, zu stören. Entweder störe ich die
Mutter mit Kinderwagen oder den großen Hund. Ich störe auch den Zugführer,
der mir beim Ein- und Aussteigen helfen muss. Außerdem jeden Menschen, der
sich meinetwegen nicht mehr in den Zug quetschen kann. Da ich mit meinem
Rollstuhl Platz für zwei brauche. Doch dann sind da auch die Momente mit
Zugführern und Passagiere, die mir beim Aussteigen helfen. Auf meinen Dank
entgegnen einige von ihnen: „Nichts zu danken.“
13 Jul 2014
## LINKS
[1] http://www.bvg.de
## AUTOREN
Judyta Smykowski
## TAGS
Berlin
Behinderung
Barrierefreiheit
U-Bahn
Leben mit Behinderung
Rollstuhl
Kinder
Frühchen
Fußgänger
WM 2014
Inklusion
## ARTIKEL ZUM THEMA
geht's noch: Mehr! Fahrstühle!
Unsere Autorin verlangt doch gar nicht so viel: Einen funktionierenden
Aufzug, der sie ohne Umwege über andere Bahnhöfe zum S-Bahn-Gleis bringt
Kolumne Rollt bei mir: Experten in meiner Sache
Mir war es lange herzlich egal, dass ich meine Füße nicht bewegen konnte.
Leider ging es allen um mich herum anders.
Städtevergleich zur Fußgängersicherheit: Mehr Ampeln, Streifen und Inseln
In vielen Städten verunglücken mehr Menschen zu Fuß. Der Verkehrsclub
Deutschland fordert, die Gemeinden müssten mehr für die Sicherheit tun.
Gelebte Inklusion: Das Supertrio
Der Bremer Film „Apostel & Partner“ wurde von Menschen mit und ohne
Behinderung gemacht. Entstanden ist ein schräger Krimi mit eindrucksvollen
Figuren.
Public Viewing für Blinde: „Erst mal sacken lassen“
Fußball kann tief gehen, wenn das Geschrei, Geschimpfe und die
Besserwisserei wegfallen. Das zeigt sich beim Public Viewing des Hamburger
Blindenvereins.
Grenzen der Integration: Nicht mal geschenkt
Seit Ursula Michalski querschnittsgelähmt ist, will die Uni Bremen, für die
sie einst arbeitete, sie nicht mehr beschäftigen. Obwohl die Uni das
kostenlos tun könnte.
Inklusion unerwünscht: Keine Unterstützung für Henri
Auch der SPD-Kultusminister hilft dem behinderten Henri nicht, weiter mit
seinen Freunden zur Schule zu gehen. Er sei dort nicht willkommen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.