# taz.de -- Kommentar Antisemitismus: Im Zweifel für die Meinungsfreiheit | |
> Es muss in einem freien Land möglich sein, straflos das Existenzrecht | |
> Isreals infrage zu stellen. Solche Meinungen muss eine offene | |
> Gesellschaft ertragen. | |
Bild: Radikale Darstellung von Israels Präsident Netanjahu am Montag auf einem… | |
Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sieht | |
eine „Explosion von gewaltbereitem Judenhass“ in Deutschland. Den | |
israelischen Botschafter erinnert Berlin derzeit an 1938, als Nazis | |
Synagogen anzündeten. Das ist übertrieben, undifferenziert und Teil einer | |
Rhetorik des Maßlosen, die um sich greift. Es mag naheliegend sein, auf die | |
rüde Rabulistik der antiisraelischen Demonstrationen von Arabischstämmigen | |
ebenso rüde zu antworten. Es liegt auch nahe, nach Polizei, Staat und | |
hartem Durchgreifen zu rufen. Aber es ist besser, genauer hinzuschauen. | |
Wenn Juden, egal welcher Staatsangehörigkeit, hierzulande im Alltag | |
angepöbelt, antisemitisch diffamiert oder körperlich attackiert werden, | |
geht uns das alle an. Staat und Zivilgesellschaft dürfen es nicht dulden, | |
dass No-go-Areas entstehen für Menschen mit Kippa. Oder mit Kopftuch. Oder | |
mit nichtweißer Hautfarbe. Das mag banal klingen, ist es aber nicht. Es ist | |
ein in der Verfassung verbrieftes Grundrecht, auf das alle Bürger Anspruch | |
haben. | |
Die Zahl der antisemitischen Vorfälle ist, verglichen mit Frankreich, zwar | |
überschaubar, aber wenn Juden im Alltag Diskriminierung oder Schlimmeres | |
fürchten müssen, ist das ein Alarmsignal, auf das die Mehrheitsgesellschaft | |
reagieren muss. Mit Solidarität. Ohne jede Relativierung. Und, vor allem wo | |
es um gewaltsame Attacken geht, mit klaren Urteilen der Justiz. | |
Etwas anders sieht die Sache bei Demonstrationen aus. Wenn Juden als „feige | |
Schweine“ beschimpft werden, ist die Grenze zur Volksverhetzung wohl | |
überschritten. Wo es nötig ist, sollte die Polizei einschreiten, | |
verhältnismäßig und ohne voreilig Eskalationen zu forcieren. | |
Aber es gibt Töne in dieser Debatte, die ziemlich altdeutsch klingen. | |
Innenminister de Maizière (CDU) hat verlauten lassen, dass harte Kritik an | |
Israel zulässig sei, auch wenn sie nicht der Linie der Bundesregierung | |
entspreche. Es ist beruhigend, zu wissen, dass man auf Demonstrationen auch | |
andere Meinungen als die des Innenministers vertreten darf. Was aber unter | |
„keinen Umständen infrage gestellt werden darf“, so de Maizière, sei das | |
Existenzrecht Israels. Muss, wo dies passiert, die Kundgebung verboten | |
werden, Polizei aufmarschieren, muss ermittelt und verhaftet werden? | |
Hier liegt eine Verwechslung vor, die an die autoritären Traditionen des | |
deutschen Staates erinnert. Angela Merkel hat das Existenzrecht Israels zur | |
deutschen Staatsräson erklärt. Es gibt gute Gründe dafür, dass die | |
Anerkennung und der aktive Schutz Israels eine Leitlinie der deutschen | |
Außenpolitik bleibt. Aber: Regierungspolitik ist kein Maßstab für | |
Meinungsfreiheit. Es muss in einem freien Land möglich sein, straflos das | |
Existenzrecht Israels infrage zu stellen. Im Zweifel für die | |
Meinungsfreiheit. | |
Warum? Weil es eine Stärke von liberalen, offenen Gesellschaften ist, dass | |
sie missliebige, politisch abwegige, konfliktverschärfende Meinungen | |
ertragen. Radikale Subkulturen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen und | |
damit das Problem irgendwie für gelöst zu halten ist selten eine gute Idee. | |
## Die Spirale wird beschleunigt | |
Auch die antiisraelische Al-Quds-Demonstration, die in Berlin für Freitag | |
ansteht, wird wohl hässlich und aggressiv. Doch es ist billig, diese | |
Gelegenheit zu nutzen, um mal wieder (zum wievielten Mal eigentlich?) das | |
Ende von Multikulti zu verkünden. In Frankreich kam es zu erschreckenden | |
gewalttätigen Attacken gegen Juden und jüdische Geschäfte. Das ist auch ein | |
Echo des gescheiterten Versuchs, das Ganze mit Verboten in den Griff zu | |
bekommen. Und es zeigt: Wo Migranten gettoisiert sind, wächst die | |
Versuchung, mit Gewalt, Tabuverletzungen und Militanz den öffentlichen Raum | |
zu besetzen, von dem sie sonst ausgeschlossen sind. | |
Es ist eine dumme Illusion, dass wir den latenten Antisemitismus in manchen | |
migrantischen Milieus einfach loswerden können wie ein Paket, das man | |
zurückschickt. Wer generellen Ausweisungsdrohungen das Wort redet, schadet | |
nur. Damit wird die Spirale von Ausgrenzung und Selbstgettoisierung, die es | |
zu stoppen gilt, beschleunigt. | |
23 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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