# taz.de -- Blauhelme und Kriegsverbrechen: Wenn die Uniform sprechen könnte | |
> Was empfindet ein UN-Soldat, der beim Morden zusehen muss? In Ruanda oder | |
> in Srebrenica? Unserer Autorin haben sich viele Soldaten anvertraut. | |
Bild: Ein Blauhelmsoldat: „Wir sind Akteure zweiter oder dritter Klasse.“ | |
Noch nie habe ich so viele Militärs in einer Stadt gesehen wie hier in | |
Goma, im Kongo. Soldaten auf Patrouille, Militärbeobachter, Stabsoffiziere, | |
in Uniform, bewaffnet oder auch nicht, in fetten weißen Geländewagen. Im | |
Jahr 2010 machte ich ein Foto des Personals des UN-Hauptquartiers in Goma: | |
zwanzig Offiziere aus acht Ländern. Alle in unterschiedlichen | |
Tarnuniformen. Es einte sie nur das schlichte blaue UN-Abzeichen. Und auch, | |
wie ich entdeckte, Wünsche und Frust. | |
Krieg hat es immer gegeben. Meine Familie hat mir erzählt, wie die | |
Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu uns nach Belgien kamen, so als ob ihnen | |
alles gehören würde. Mit stummer Wut erduldeten die Leute den Übergriff, | |
die Anwesenheit auf den Feldern, in ihren Häusern. Dann der Jubel über die | |
Ankunft der Alliierten, der Befreier. | |
Seitdem hat sich das Vokabular geändert, die Realität auch. Militärs der UN | |
und regionaler Organisationen kommen für „Friedensschaffung“ oder | |
„Friedenswahrung“, für den „Schutz von Zivilisten“, für „Stabilisie… | |
Sie befreien nicht. Sie unterstützen eine überforderte oder gespaltene | |
Armee und einen bestenfalls versehrten Staat. Sie sind eines von vielen | |
Gliedern einer Kette, denn es gibt auch eine Armada von Hilfswerken und | |
Zivilisten. All diese Leute, die für Jahre oder gar Jahrzehnte eingeflogen | |
werden, gehen davon aus, dass sie alle eigentlich am gleichen Ziel arbeiten | |
sollten: der Verbesserung der Lage. Aber sie haben nicht den Eindruck, dass | |
sie das tun. | |
Wenn die Uniform sprechen könnte … man müsste ihr erst mal zuhören wollen. | |
Jemand hat mir einmal gesagt: „Eine UN-Mission wird von Zivilisten geführt. | |
Die Soldaten sind Diener.“ Aber die humanitären Helfer ziehen es vor, sich | |
von Uniformen fernzuhalten, aus Angst um ihr Selbstbild der Neutralität. | |
Die zivilen Mitarbeiter der UN blicken oft auf die Soldaten herab. | |
Zusammenarbeit erfolgt auf Grundlage von Informationen, die man teilt. Oder | |
auch nicht. Aber wenn es explodiert, wollen alle von den Uniformen | |
rausgeholt oder gerettet werden. | |
„Wir sind Akteure zweiter oder dritter Klasse“, sagte mir ein Offizier. | |
„Wir haben nicht alle sechs Wochen eine Woche Pause wie die zivilen | |
Mitarbeiter. Und während es ein weißes UN-Fahrzeug für zwei von ihnen gibt, | |
gibt es eines für viereinhalb Militärs.“ Er lachte. Man fragt sich, was für | |
halbe Militärs das sind, die sich in New York ein Funktionär ausgedacht | |
hat. Aber nicht über solche Dinge redet die Truppe, wenn sie einmal die | |
Uniform gegen Freizeitkleidung gewechselt hat, abends, nüchtern oder | |
betrunken. Wenn sie frustriert sind, dann nicht so sehr wegen ihrer | |
Arbeitsbedingungen: Sie sind dazu ausgebildet, viel Schlechteres zu kennen, | |
und für viele von ihnen ist eine Friedensmission eine große Chance, mehr zu | |
verdienen oder aufzusteigen. Frustriert sind sie, weil sie ihre Arbeit | |
nicht tun können. | |
„Wir sind dazu ausgebildet, eine Mission zu erfüllen“, sagte mir ein | |
Franzose. „Es gibt ein Problem? Man löst es und geht. Man hat kein | |
Interesse daran, zu bleiben. Einen Krieg gewinnt man. Man schaut nicht | |
hin.“ | |
Die Interessen können unterschiedlich sein. „Ich habe zu Hause Arbeit“, | |
sagte mir ein Rumäne. „Mein Staat hat mich an die UN nur ausgeliehen. Wenn | |
ich zum Vertragsende nach Hause gehe, kehre ich in meine Einheit zurück. | |
Die Einheimischen hier, die werden wohl arbeitslos, wenn sich die Lage | |
verbessert. Und unser Gastgeberstaat hat auch kein Interesse daran, uns so | |
agieren zu lassen, wie wir es verstehen, denn das wäre ein Beweis der | |
Ineffizienz seiner eigenen Armee. Und wenn wir gehen, verschwindet auch das | |
Geld …“ | |
Wenn die Uniform spricht, gibt es keine politische Korrektheit. | |
Eines äußerst feuchtfröhlichen Abends begannen einige Freunde, auf einem | |
Papiertuch einen Kriegsplan gegen die bewaffneten Gruppen in Nord-Kivu | |
aufzuschreiben, die Provinz Kongos, in der auch Goma liegt. Sie würden nur | |
hundert erfahrene Männer benötigen. Die nannten sie „Kivu Rangers“. Man | |
sollte uns Kommunikations-, Informations-, Transport- und logistische | |
Mittel zur Verfügung stellen, sagten sie. Die Ziele endlich festlegen. Und | |
uns machen lassen. Und nach ein paar Monaten gäbe es keine bewaffneten | |
Gruppen mehr. | |
„Ähm“, sagte ich. „Und die Menschenrechte? Und die Genfer Konventionen? | |
Sind Offiziere nicht auch darin ausgebildet?“ | |
Klar, in vielen Ländern. An der Brüsseler Ecole Royale Militaire, im | |
französischen Saint-Cyr, in West Point in den USA und vielen anderen Orten. | |
Man lehrt dort Krieg, Geschichte, Recht, Überleben – und Werte. | |
„Offizier sein heißt Ehre haben“, sagte mir ein Niederländer. „Man lern… | |
einen feindlichen Offizier zu respektieren, so wie ein Feuerwehrmann das | |
Feuer respektiert, das er zu löschen versucht. Idealerweise erkennt man an, | |
dass er genau so eine Ausbildung genossen hat wie wir. Er ist nur in einem | |
bestimmten Moment auf der Gegenseite. Nach dem Gefecht grüßt man sich, | |
nicht aus Sympathie, sondern aus Respekt.“ | |
Aber in den neuen Kriegen, in die man heutzutage geschickt wird, ist es | |
anders, fuhr er fort. „Die Chefs der bewaffneten Gruppen haben sich | |
meistens selbst zu Generälen oder Obersten ernannt. Sie sind keine dreißig | |
Jahre alt. Sie sind nicht durch Ausbildung aufgestiegen, sondern weil sie | |
die Schlechtesten waren. Aber das System ist unklar. Man erkennt sie als | |
Kriegspartei an, mit der man verhandeln muss – und man stellt gegen sie | |
internationale Haftbefehle aus, die niemand ausführt. Diese Leute sind | |
Banditen, Verbrecher, aber werden nicht als solche behandelt.“ Eines Tages | |
schrieb der niederländische Offizier seiner Frau aus einer Versammlung eine | |
SMS: „Ich sitze an einem Tisch, um den sich mindestens tausend Jahre Haft | |
versammeln. Wir trinken Kaffee.“ | |
Er meinte das nicht als Witz, er war betroffen. Als ich ihn fragte, warum, | |
erzählte er mir von den vergewaltigten Frauen, von den getöteten oder | |
terrorisierten Menschen, von den geplünderten, verlassenen Dörfern, und | |
davon, dass diese Chefs, wenn sie vom Tisch zu ihren Gruppen zurückgehen, | |
wahrscheinlich den Befehl geben: Weitermachen! „Ich hätte gern eine Granate | |
gehabt oder ihnen eine Kugel in den Kopf gejagt“, fügte er hinzu. „Nicht | |
ihretwegen. Sondern wegen der vielen Leben, die ich vielleicht gerettet | |
hätte.“ | |
In den Uniformen, die nicht sprechen, stecken Menschen. Und diese Menschen | |
verstehen nicht, was man ihnen manchmal aufzwingt. | |
Einmal gab ich bei der UN-Mission im Kongo eine Fortbildung über „Schutz | |
von Zivilisten: Militärische Perspektiven“. Ein südafrikanischer Major | |
sprach mich an, weil man ihm gesagt hatte: Wenn er während einer Patrouille | |
eine Frau antrifft, die vom Mitglied einer bewaffneten Gruppe vergewaltigt | |
oder verstümmelt worden ist, darf er sie nicht in seinem Auto mitnehmen, um | |
sie versorgen zu lassen. New Yorker Regel. Im Sinne der Verantwortung. | |
Der Major wollte das nicht hinnehmen. Er war Militärbeobachter und lebte | |
mehrere Wochen nicht weit von den Dörfern, wo die Verbrechen geschahen. | |
Ohne Waffe, ohne Schutz. Mit einem Notizbuch, um Vorfälle zu notieren. | |
Daraus sollten dann Berichte entstehen, die ein paar Dutzend Leute von | |
Kinshasa bis New York kopieren und analysieren würden. Vielleicht. | |
Er war vor Ort und konnte sich nicht entscheiden, ob er nicht lieber immer | |
erst dann kommen sollte, wenn alles schon passiert war. Denn seine Hände | |
waren gebunden. Angesichts von Kämpfern einer bewaffneten Gruppe war sein | |
Befehl, die Herausgabe zumindest der Kinder auszuhandeln und die | |
Freilassung der Frauen, von denen er fürchtete, dass sie seit Langem die | |
Hölle durchmachten. Für alles andere war er nicht zuständig. Die Rebellen | |
hatten ihn nie bedroht. Wieso auch? Wenn sein Bericht herauskommen würde, | |
wären sie schon weit weg. | |
Wenn die Uniform spricht, weint sie manchmal. Aus Wut. Aus Scham. Aus | |
Machtlosigkeit. | |
Wie die Soldaten des UN-Bataillons in der kongolesischen Stadt Goma, die | |
untätig bleiben mussten, als die M23 einrückte. Haben sie nichts gefühlt, | |
als die Menschen sie voller Angst und Hoffnung anblickten? „Ich habe die | |
Männer losgeschickt, ihre Ausrüstung zu prüfen und vorzubereiten, immer | |
wieder und immer wieder, in vollem Bewusstsein, dass wir sie nicht | |
einsetzen würden“, erzählte mir ein Offizier. „Aber das musste sein, damit | |
die Truppe beschäftigt ist, damit sie wegbleibt von den Wachtürmen, wo sie | |
hinaufsteigen wollten, um zu sehen, was passiert. Es musste sein, weil wir | |
nicht dazu ausgebildet sind, zu warten und uns Sachen auszudenken. Wir sind | |
dazu ausgebildet, bereit zu sein, uns zu bewegen, zu handeln. Auf das hier | |
waren sie nicht vorbereitet. Mir fiel keine andere Antwort auf ihre | |
Verwirrung ein.“ | |
„Das hier“, das ist die Pflicht, nichts zu tun. Weil man die Mittel nicht | |
hat. Oder auch: obwohl man sie hat. | |
Wie dieser Kapitän der Afrikanischen Union in der Zentralafrikanischen | |
Republik, der erklärt: „Wir werden gerufen, weil Menschen mitten in der | |
Straße massakriert werden, mit Stangen und Macheten. Es ist nicht das erste | |
Mal. Wir stellen die Patrouille zusammen und gehen los. Aber man darf sich | |
nicht beeilen. Denn wenn ja, was dann? Schießt man in die Luft? Die | |
Bewaffneten sind nicht davon beeindruckt, dass es Zeugen gibt. Aber wenn | |
wir auf diejenigen schießen, die töten, werden wir Mörder genannt. Die | |
Opfer und die Täter sind Zivilisten. Da sind Leute, die die Gräueltaten | |
filmen, aber sie werden ihre Bilder nicht verbreiten. Aber wenn einer | |
meiner Männer jemanden kaltblütig erschießt, wird die ganze Welt das in den | |
Medien sehen. Also kommen wir und sichern den Ort. Hinterher. Wir zählen | |
die Leichen. Wir versuchen, nicht nachzudenken.“ | |
Ein Soldat hat mir seine Geschichte erzählt: „Ich habe in meiner Laufbahn | |
viele Menschen getötet. In Ruanda nur einen. Seinetwegen hätte ich alles | |
verlieren können. Der Befehl während des Völkermords war, nicht | |
einzugreifen. Zu kompliziert. Manche Truppen wurden absichtlich schwer | |
bewaffnet stationiert, aber fast ohne Munition: Die Männer sollten nicht in | |
Versuchung geraten, solange die Bürokraten noch keine Entscheidung | |
getroffen hatten. Wir wurden als Marionetten geschickt. Zum Warten. Für uns | |
bestand keine Gefahr: Wir waren nicht das Ziel. Die Schlächter schauten uns | |
nicht einmal an, die anderen flehten uns an: Nehmt wenigstens unsere Kinder | |
… Auch nach Jahren an der Front hatte ich so etwas noch nie gesehen. Eines | |
Tages stürzte sich ein Mann auf eine schwangere Frau. Dem Baby, das sie auf | |
dem Rücken trug, hatte er schon den Kopf abgeschlagen. Er schnitt ihr den | |
Bauch auf, riss den ungeborenen Fötus heraus und warf ihn weg, als würde er | |
einen Fisch ausnehmen. Ich folgte ihm in sicherer Entfernung bis zu seinem | |
Camp. Am nächsten Morgen fanden ihn seine Kameraden, mit durchschnittener | |
Kehle. Sauber, wortlos.“ | |
Der Mann schwieg. Sein feuchter Blick war auf mich gerichtet, aber er sah | |
mich nicht wirklich an, auch nicht, als er hinzufügte: „Wenn ich das nicht | |
getan hätte – ich weiß nicht, wie ich zu Hause meinen Kindern in die Augen | |
hätte blicken können.“ | |
Wenn die Uniform spricht, muss sie manchmal schreien. | |
Glaubt man wirklich, dass diese Soldaten immer zufrieden sind? Dass sie | |
sich freuen über das, was sie sehen? Man kritisiert ihre Gleichgültigkeit | |
oder ihre Untätigkeit oder ihre Unfähigkeit. Das ist so einfach. Sie wehren | |
sich ja nicht. Sie antworten nicht auf Beschimpfungen, Fragen, | |
Anschuldigungen. Politikern gegenüber schweigt der Soldat. Er kommuniziert | |
zwar. Aber er kann nichts tun, wenn ihm niemand zuhört. | |
In Exjugoslawien stand ein niederländisches Bataillon an einer Straße. Sie | |
hatten Informationen, dass die Serben einen Lastwagenkonvoi | |
zusammenstellten, wohl um Bosniaken zu transportieren. Aber wohin? | |
Ein Offizier sagte mir, man habe diese Information nach oben gegeben und um | |
mehr Munition sowie Luftunterstützung gebeten. Alles wurde ihnen | |
verweigert. Also sahen sie zu, wie die Lastwagen voller Männer, Frauen und | |
Kinder vorbeifuhren. Sie baten erneut um die Erlaubnis, einzugreifen. Es | |
hieß: Wenn sie nicht selbst angegriffen würden, seien sie dazu nicht | |
befugt. | |
Später hat sich die Welt darüber aufgeregt, dass wenige Kilometer weiter | |
ein gigantisches Massengrab gefunden wurde, voller Leichen von Opfern von | |
Massenhinrichtungen. | |
Die Lastwagen waren tatsächlich wieder in der Gegenrichtung vorbeigefahren. | |
Leer. Die Kommandeure und die zivile Führung wussten Bescheid. Sie | |
schwiegen, als die Medien die niederländischen Soldaten der Untätigkeit | |
bezichtigten. | |
Es ist leicht, sich unter solchen Bedingungen über Truppen aufzuregen, die | |
unweit von Massakerorten stationiert sind, wie es in Walikale im Kongo der | |
Fall gewesen ist. | |
Ein Offizier erklärt mir: „Wenn eine Sektion über Übergriffe informiert | |
wird oder Zeuge davon wird, muss sie in einer internationalen Mission den | |
Gruppenführer informieren, der die Kompanie informiert, von wo aus die | |
Information an das Bataillon geht, das sie der Brigade weiterleitet, die | |
sie ans Hauptquartier schickt. Das muss sich an die UN-Zivilisten wenden, | |
die ihre Kollegen in New York um Stellungnahme bitten und dann vermutlich | |
mit den lokalen Behörden des Gastgeberlands verhandeln oder sie informieren | |
müssen.“ | |
Die Zivilisten können da nur hoffen, dass alle Englisch können und dass es | |
nicht gerade irgendwo Nacht oder Feiertag ist. | |
Und wenn der Befehl zum Eingreifen kommt? Wie 1993. In Somalia. | |
Ausländische Truppen sind unter Kapitel 6 der UN-Charta stationiert. Sie | |
können höchstens Dörfer sichern. Wenn sie zu spät kommen, Pech. Dann wird | |
auf Kapitel 7 umgestellt, Gewaltanwendung. Drei Tage später greifen | |
Rebellen an. Trotz der üblichen mehrfachen Warnungen machen sie weiter. In | |
wenigen Minuten gibt es 243 Tote. | |
„Ich habe den Befehl gegeben“, erzählt mir ein Offizier. „Manchmal sehe … | |
vor mir immer noch ihre erstaunten Blicke, als wir das Feuer eröffneten. | |
Dann verzog sich der Staub, es blieben nur Leichen zurück. Ich spürte keine | |
Freude, nur das Gefühl, einen Job erledigt zu haben. Diesmal wenigstens | |
konnten die Dorfbewohner sich sicher fühlen. Dann zählten wir unsere | |
Munition. Und ich schloss mich in meinem Quartier ein. Wenn man zulässt, | |
dass ein Dorf ausradiert wird, reichen unseren Autoritäten ein paar Zeilen | |
in einem Bericht. Aber wenn wir töten, brauchen wir tonnenweise Papier, | |
Anhörungen vor internationalen und nationalen Instanzen. Als ob man | |
plötzlich nachprüfen müsste, dass wir diese ganzen Leute, die uns nichts | |
getan hatten, nicht grundlos getötet hätten. Als ob man sich versichern | |
müsste, dass es wirklich nötig war, uns dort zu stationieren. Und dann, | |
wenn die Mission zum Misserfolg erklärt wird, tun die Autoritäten, als | |
würden sie sich entschuldigen – oder vergessen.“ | |
Manchmal, wenn die Uniform spricht, nimmt sie Dinge unterschiedlich wahr. | |
Im Militärkrankenhaus von Kinshasa stieß ich auf einen tunesischen Freund. | |
Er besuchte einen schwer an Malaria erkrankten Kollegen. Es war mitten im | |
Arabischen Frühling, und mein Freund ärgerte sich: „Ich bin bloß dafür gu… | |
ihn hier verrecken zu sehen. Während sein kleiner Bruder zu Hause für seine | |
Familie kämpft. Ich warte auch auf Neuigkeiten von meinen Angehörigen. Und | |
wenn mein Kamerad hier stirbt, wird sich kein Kongolese bei ihm bedanken.“ | |
Im Kongo sterben statistisch gesehen jeden Monat 2,5 ausländische Soldaten | |
– an Krankheit, bei Unfällen, im Kampf. Das scheint wenig. Aber es sind | |
jedes Jahr Dutzende Särge, die nach Hause geschickt werden, während die | |
Welt kaum hinsieht. Man versteckt sich hinter dem Gedanken: War ja ihr Job, | |
kann passieren, Einheimischen sterben doch auch. Manche, noch zynischer, | |
sagen: Ein Toter UN-Soldat bringt seiner Familie viel Geld. | |
Sogar diejenigen, die bei der Rettung von Menschenleben gefallen sind, | |
werden nicht zu Helden erklärt. Weder im Kongo noch in der Heimat, aus | |
Angst, dass die Bevölkerung fragt, warum ihre Söhne in der Ferne für | |
Menschen sterben, die ihre Probleme nicht selber lösen können, während man | |
selbst manchmal die gleichen Probleme hat. | |
Ein pakistanischer Kapitän musste in den Einsatz, als er gerade erfahren | |
hatte, dass sein Heimatdorf angegriffen worden war. Als er zurückkam, | |
erzählte er, dass er einfach nur registrieren konnte, was die | |
kongolesischen Mai-Mai-Milizen angerichtet hatten. | |
„Wir waren auf Patrouille, bewaffnet. Wir kamen einen Augenblick zu spät. | |
Ich erinnere mich, wie ich mir sagte: Zum Glück sind es Schwarze … Wenn sie | |
meiner Schwester ähnlich gesehen hätten, meinem Vater oder meinem Nachbarn, | |
hätte ich mich vielleicht nicht zurückhalten können und trotz der Befehle | |
alle gejagt und erschossen, die das getan hatten.“ | |
Und er fügte hinzu: „Dann habe ich die Augen geschlossen. Und wenn man das | |
tut, sind die Schreie und das Weinen der Frauen nicht anders. Der Geruch | |
des Blutes und des Todes auch nicht. Im Grunde sind wir alle gleich.“ | |
## Aus dem Französichen von Dominic Johnson | |
12 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Maryse Grari | |
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