# taz.de -- Genozid von Srebrenica: Gedenken ohne Politikerreden | |
> Knapp 20 Jahre nach dem Genozid von Srebrenica haben drei Viertel der | |
> Opfer ein Begräbnis erhalten. Viele Serben interessiert das Gedenken | |
> wenig. | |
Bild: Begräbnis in Srebrenica am Freitag. | |
SPLIT taz | Schon seit Monaten ist klar, dass die Angehörigen der Opfer des | |
Genozids in Srebrenica am Gedenktag nicht mehr die Reden von Politikern | |
dulden wollen. Zu oft wurde der Gedenktag für parteipolitische Zwecke | |
missbraucht. Stundenlang mussten die Angehörigen in glühender Hitze | |
ausharren, bevor sie ihre Angehörigen begraben konnten. Diese zum Teil | |
entwürdigende Praxis wurde jetzt endlich beendet. | |
Am Freitag sollte es nur eine religiöse Begräbnisfeier für die weiteren 175 | |
Opfer geben, deren Überreste in Massengräbern gefunden worden waren und die | |
nach langwierigen DNA-Analysen nun zweifelsfrei mit einer Identität | |
ausgestattet sind. Sie werden neben den schon bestatteten 6.066 Opfern | |
begraben. Insgesamt gehen die Opferverbände von 8.372 Bosniaken aus, die in | |
der Woche ab dem 11. Juli 1995 von der damaligen serbischen Soldateska | |
ermordet wurden. | |
Nach wie vor gibt es nur wenige Anzeichen in der serbischen Gesellschaft, | |
den Genozid von Srebrenica und an anderen Orten in Bosnien und Herzegowina | |
zum Anlass zu nehmen, über die eigene Vergangenheit während des letzten | |
Krieges nachzudenken. Als dieser Tage Menschenrechtsaktivisten aus Belgrad | |
nach Srebrenica fahren wollten, wurde ihr Konvoi von Extremisten überfallen | |
und einige der Menschenrechtler verletzt. | |
Entlang der Straße, die nach Srebrenica führt, zeigten serbische | |
Jugendliche mit gespreizten drei Fingern den Tschetnikgruß, als der Konvoi | |
mit den jetzt identifizierten 175 Opfern passierte. Manche von ihnen trugen | |
T-Shirts mit dem Konterfei des in Den Haag wegen Kriegsverbrechens | |
angeklagten General Ratko Mladic. | |
## Der einzige Serbe, der erschüttert war | |
Wird dieses Verhalten in den Elternhäusern und in den Schulen thematisiert? | |
Alle Erfahrungen sprechen dagegen. Eine der Aufsichtspersonen am Denkmal | |
Potocari in Srebrenica berichtete kürzlich, dass nur ein junger Serbe aus | |
Srebrenica in den letzten Jahren heimlich an der Gedenkstätte vorbeikam, um | |
über das Geschehene zu sprechen. Er sei der einzige Serbe gewesen, der sich | |
menschlich erschüttert gezeigt habe. | |
In dem vor allem von Bosniaken und Kroaten bewohnten Teilstaat – der | |
bosniakisch-kroatischen Föderation – wurde dieser Tage immerhin im | |
Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den Aufruf zu ethnischem Hass, | |
rassistischer Diskriminierung und religiöser Intoleranz unter Strafe | |
stellen soll. Die Leugnung von Genozid und Massenmord sollte – ähnlich wie | |
in Deutschland – öffentlich gebrandmarkt werden, erklärte der Abgeordnete | |
Jasmin Duvnjak. Als Strafmaß ist eine Zeitspanne von drei Monaten bis drei | |
Jahren Gefängnis angesetzt. | |
„Den Genozid in Srebrenica und Kriegsverbrechen zu leugnen ist nicht nur | |
eine Meinung, es ist ein Verbrechen in sich selbst“, erklärte er. | |
Ob der von Serben beherrschte Teilstaat, die Republika Srpska, da mitzieht, | |
ist allerdings sehr fraglich. Nach Meinung von serbischen Intellektuellen | |
wie dem Erziehungswissenschaftler Srdjan Puhalo sind bosnisch-serbische | |
Politiker wie Ministerpräsident Milorad Dodik völlig verantwortungslos | |
gegenüber der jüngsten Geschichte: „Ist es normal, sich angesichts der | |
Tatsache, dass wir während des Heimatkrieges 1992-95 über 30.000 | |
bosniakische und kroatische Zivilisten ermordet haben, gut zu fühlen? | |
Können wir uns wirklich frei fühlen in einer wie auch immer gestalteten | |
Republika Srpska, .. wenn wir nicht akzeptieren wollen, was geschehen | |
ist... Können wir frei sein in einer Gesellschaft, in der Kriegsverbrecher | |
Helden und deren Kritiker Verräter sind?“ | |
## Zwischen Sensationshascherei und Anbiederung | |
Diese Frage richtet sich auch an Kroatien. Als am 6. Juni der vom | |
UN-Tribunal verurteilte bosnisch-kroatische Kriegsverbrecher Dario Kordic | |
durch nationalistische Extremisten und katholische Kirchenvertreter nach | |
Verbüßung seiner Haftstrafe auf dem Flughafen von Zagreb wie ein Held | |
empfangen wurde, protestierten kroatische Menschenrechtler. Auch sie wurden | |
wie ihre serbischen Kollegen durch Extremisten angegriffen, die Polizei | |
verhaftete jedoch nicht die Angreifer, sondern die Protestierenden. | |
Immerhin kommt es jetzt zu öffentlichen Diskussionen über den Primitivismus | |
der Nationalisten in Serbien, in Kroatien und auch in Bosnien. Doch die | |
meisten Medien schwanken zwischen Sensationshascherei und Anbiederung an | |
die jeweilige Macht. Nur in wenigen Medien und Internet-Foren wird | |
ernsthaft über Vergangenheitsbewältigung und die Erkenntnis diskutiert, | |
dass es ohne Bewältigung der Vergangenheit keine Zukunft gibt. | |
11 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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