# taz.de -- Debatte Israelkritik: Feigheit vor dem Freund | |
> Wenn in Deutschland über die israelische Politik gestritten wird, geht es | |
> immer auch darum, wer ein guter Deutscher ist. Leider. | |
Bild: Fähnchen als Solidaritätszeichen. Argumente könnten auch welche sein. | |
Bei jedem Krieg in Nahost setzt in Deutschland verlässlich ein | |
Reiz-Reflex-Schema ein. Für oder gegen Israel. Die Argumente, die man sich | |
um die Ohren schlägt, sind seit Jahrzehnten relativ gleich. Trotz | |
Wiederholungsschleifen ist keine Ermüdung in Sicht, der Affektpegel hoch. | |
Das Ganze ähnelt einem Ehestreit, bei dem ein, zwei Signalworte reichen, um | |
den Krach in Schwung zu halten. Denn es geht nicht nur um Gaza. | |
In Deutschland wird auch immer darum gekämpft, wer ein guter Deutscher ist. | |
Bei Israel und Palästina steht zwanghaft das eigene Selbstverständnis auf | |
dem Spiel. Dabei wäre weniger identitätspolitische Aufladung nötig. Und | |
mehr Differenzierung. Zum Beispiel zwischen Antisemitismus und | |
Israelkritik. | |
Der Präsident des Zentralrates der Juden Dieter Graumann hat die Situation | |
von Juden in Europa, auch in Deutschland, mit 1938 assoziiert. Das ist | |
falsch. Es schließt den Beginn der staatlich organisierten | |
Ausrottungspolitik der Nazis mit Pöbeleien und Bösartigkeiten kurz. | |
Man sollte Graumanns Maßlosigkeit widersprechen. Aber das darf nicht | |
bedeuten, leichterhand Antisemitismus wegzublenden oder als | |
Überempfindlichkeit abzutun. Der Chef der Linkspartei in NRW hält die | |
„hysterischen Warnungen vor einem neuen Antisemitismus in Deutschland“ für | |
einen taktischen Versuch, vom Gazakrieg abzulenken. Das ist politisch | |
töricht. Genau diese Verbindung sollte man nicht ziehen. | |
## Unterstützung und Karikatur | |
Dass Juden mit Kippa sich nicht überall in Deutschland selbstverständlich | |
sicher fühlen können, ist ein Skandal – unser Skandal. Es ist der Job der | |
Biodeutschen, der Mehrheitsgesellschaft, Antisemitismus radikal zu ächten. | |
Deshalb ist es gut, dass die politische Klasse Juden Unterstützung | |
signalisiert, auch wenn das oft wie Lippengebet klingen mag. | |
Zumal es eine Mär ist, dass der Antisemitismus hierzulande nur von | |
arabischen Jungmännern stammt. Laut Polizei gab es – allerdings vor den | |
Gaza-Demos – in diesem Jahr 350 antisemitische Straftaten, zum Glück nur 3 | |
gewalttätige. Von den 90 Tätern waren 86 deutsche Rechte. | |
Anders verhält es sich mit Israel, das sich nach 47 Jahren Besatzung in | |
eine Karikatur zu verwandeln droht. Ja, es ist die einzige Demokratie in | |
der Region. Aber das Illiberale, Hetzerische, Rechtsradikale dort wächst. | |
Der Siedlungsbau geht ungebremst voran. Der Gazakrieg diente nicht nur der | |
Verteidigung gegen Hamas-Raketen, sondern auch dazu, die gerade | |
entstandene, fragile Einheit von Fatah und Hamas in Schutt und Asche zu | |
legen. Und damit jede Aussicht auf Friedensverhandlungen. | |
## Was können wir beisteuern? | |
Deutschland ist, neben den USA, der verlässlichste, wichtigste Verbündete | |
Israels. Berlin versorgt Tel Aviv mit Waffen, mit einem privilegierten | |
Zugang zur EU und bremst in Europa Versuche, Produkte aus den besetzten | |
Gebieten zu kennzeichnen. | |
Ist es angesichts der Halsstarrigkeit, mit der Israel die Zweistaatenlösung | |
und das Ende der Besatzung verhindert, nicht geboten, zu den Mitteln | |
praktischer Kritik zu greifen? Also stetigen Druck aufzubauen und Waffen | |
und Marktzugänge an Bedingungen zu knüpfen. Das darf nicht hastig | |
geschehen, aber mit klaren Signalen. Wenn der Siedlungsbau weitergeht, wird | |
der Waffenexport gedrosselt. Erst mal. Dieser Druckaufbau hat nicht das | |
Ziel, Israel zu schaden. Es ist der Versuch, die fatale Fehlentwicklung der | |
Besatzung korrigieren zu helfen. Es gibt auch Feigheit vor dem Freund. | |
Abraham Goldstein, ein jüdischer US-Amerikaner, hat kürzlich bemerkt, dass | |
es Deutschen ungeheuer schwer fällt, „sachliche Kritik an Israel mit | |
sachlichen Argumenten auf sachliche Art“ vorzutragen. So ist es. Entweder | |
die Kritik hat einen triumphierenden Unterton. Oder: Es gibt sie nicht. Das | |
müssen wir ändern. Die Frage, ob und wie Deutsche Israel kritisieren | |
dürfen, hat dabei etwas sehr Selbstbezogenes. Die bessere, erwachsenere | |
Frage lautet: Was können wir beisteuern, um eine friedliche Lösung etwas | |
wahrscheinlicher zu machen. Und das ganz sachlich. | |
16 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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