| # taz.de -- Gaza-Konflikt: Rauskommen, wann man will | |
| > Die Palästinenser im Gazastreifen fühlen sich eingesperrt. Sie wollen vor | |
| > allem eines: dauerhaft offene Grenzen. Wer dafür sorgt, ist ihnen egal. | |
| Bild: Der Hafen von Gaza-Stadt darf nur von kleinen Fischerbooten genutzt werden | |
| GAZA-STADT taz | Das mühsame Ringen um eine anhaltende | |
| Waffenstillstandsregelung versetzt die Menschen im Gazastreifen in ein | |
| zermürbendes Wechselbad zwischen Hoffen und Bangen. Israel und die | |
| Palästinenser gaben dem Druck der ägyptischen Vermittler nach und einigten | |
| sich auf eine neue Feuerpause, die diesmal fünf Tage andauern soll. | |
| Trotzdem kam es am Donnerstag zu einem kurzen Schlagabtausch. Jeden Moment | |
| könnte die Waffenruhe wieder vorbei sein. | |
| Die einzige Möglichkeit, Israel wie auch Ägypten zur einer Lockerung der | |
| Blockade zu bewegen, wie es die Hamas zur zentralen Bedingung machte, ist | |
| die Rückkehr der Fatah-nahen Sicherheitstruppen aus dem Westjordanland in | |
| den Gazastreifen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der als der | |
| Schwächere gegenüber der Hamas vor sieben Jahren aus dem Gazastreifen floh, | |
| würde auf den Trümmern, die Israels Armee hinterlässt, wieder Stellung | |
| beziehen. | |
| Abbas ist im Gazastreifen nicht beliebt. Viel zu spät habe er auf den Krieg | |
| reagiert, heißt es. Trotzdem ist es den meisten Menschen egal, wer dafür | |
| sorgt, dass die Grenzen geöffnet werden. Sobald die Fatah-nahen Truppen an | |
| den Übergängen stationiert sind, könnten Personen und Waren wieder leichter | |
| passieren. Der ägyptische Vorschlag sieht offenbar nicht explizit den | |
| Übergang in der geteilten Stadt Rafah vor, die zur Hälfte im Gazastreifen | |
| und zur anderen in Ägypten liegt. Dennoch signalisierte Kairo, die Grenze | |
| für drei Tage pro Woche zu öffnen. | |
| Tausenden Schwerverletzten wäre damit der Weg zu Therapien geebnet, die in | |
| Gaza nicht möglich sind. Dr. Hussein Einshomar, Chirurg im | |
| Schifa-Krankenhaus, ist in den letzten fünf Wochen kaum zum Schlafen | |
| gekommen. Zertrümmerte Arme und Beine zu amputieren, gehörte zu den | |
| Hauptaufgaben des 31-jährigen Arztes. „Die Leute brauchen eine | |
| Rehabilitation und Prothesen“, sagt er. In Gaza sei das genauso wenig | |
| möglich wie „Operationen an der Wirbelsäule und neurochirurgische | |
| Eingriffe“. Unabhängig vom Krieg seien außerdem zahlreiche Krebspatienten | |
| auf Stammzelltransplantationen angewiesen. Auch das geht in Gaza nicht. | |
| ## Dieselben Rechte wie alle anderen | |
| Via Rafah und Äypten könnten die Patienten „in ein Drittland, nach Europa | |
| und vor allem in die Türkei“ gebracht werden. Trotzdem wäre die sich | |
| abzeichnende Regelung dem Arzt nicht genug. „Niemand will drei Tage warten, | |
| bevor er ausreisen kann. Wir sind Menschen und fordern dieselben Rechte wie | |
| alle anderen.“ Ägypten müsse die Grenze permanent öffnen. „Man darf uns | |
| nicht einfach einsperren.“ | |
| Am Fischerhafen von Gaza herrscht Skepsis, ob Israel die Vereinbarungen | |
| einhalten wird. Den ägyptischen Kompromissen entsprechend, dürften die | |
| Fischer wieder bis zu 12 Meilen (gut 22 Kilometer) auf das Meer hinaus | |
| fahren. „Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt Ahmed Abu Sultan. | |
| Immer wieder habe die Armee entgegen vertraglicher Verpflichtungen die | |
| Fangregion für die Fischer begrenzt. „Sie lassen uns fast immer nur drei | |
| Meilen raus“, sagt der 24-Jährige, der mit seinem Vater und acht Brüdern | |
| zusammen ein Boot betreibt. Teure Fische, zum Beispiel Sardinen, gebe es | |
| nur in tieferen Regionen. | |
| „Wenn wir nur drei Meilen rausfahren, fangen wir vielleicht zehn Kisten | |
| Fisch pro Tag“, erklärt er. Schon sechs Meilen könnten den Fang | |
| verfünffachen. Für umgerechnet fünf bis 30 Euro handelt Abu Sultan den | |
| Fisch, je nach Sorte. So wie jetzt, könne es nicht weitergehen, mischt sich | |
| ein Freund Abu Sultans in das Gespräch. „Wir sind der Blockade leid“ sagt | |
| er. Der Kampf werde weitergehen, solange es keine Einigung über eine | |
| 12-Meilen-Zone gibt. | |
| ## Freiheit und Unabhängigkeit | |
| Für die überragende Mehrheit der Palästinenser im Gazastreifen würde die | |
| Öffnung der Grenze für den Personenverkehr praktisch nichts ändern. Die | |
| wenigsten haben das Geld, um ihre Kinder zum Studium ins Ausland zu | |
| schicken oder in Urlaub zu fahren. Trotzdem ist der Gedanke, dass Ägypten | |
| und Israel den gerade mal 360 Quadratmeter großen Landstreifen auf dem | |
| Boden, in der Luft und im Wasser absperren, bedrückend. „Es geht um die | |
| Idee, dass ich rauskomme, wann immer ich will“, sagt Abdel Salam Humaid, | |
| Leiter der UN-Grundschule im Al-Schati-Flüchtlingslager. „Wir wollen uns | |
| als Menschen fühlen, Freiheit und Unabhängigkeit haben, wie jede andere | |
| Nation.“ | |
| Humaids Team steckt in den letzten Vorbereitungen für eine Hochzeit, die | |
| noch am Abend stattfinden soll. Omar, der Bräutigam, kommt aus dem | |
| Flüchtlingslager Heba, seine Zukünftige aus Beit Lahiya. Das Haus, in das | |
| die beiden einziehen sollten, liegt in Trümmern. „Wir haben Spenden | |
| gesammelt“, sagt Humaid. Damit reichte es gerade für einen Anzug und das | |
| Brautkleid und zwei Nächte in einem Hotel. Auf dem Hof der Mädchenschule | |
| nebenan hängen Dutzende Luftballons und Palästinafähnchen. „Trotz der | |
| Verletzungen und des Schmerzes geht das Leben weiter“, steht auf einem | |
| Plakat über der provisorischen Bühne. | |
| 14 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Knaul | |
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