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# taz.de -- Muslimische Jugendliche in Deutschland: Vom Straßenlärm übertönt
> Seit dem Gazakrieg wird über Antisemitismus diskutiert. Muslimische
> Jugendliche klagen, dabei werde viel über sie, aber wenig mit ihnen
> geredet.
Bild: Slam-Poetin und Politologie-Studentin: Faten Al-Dabbas, 24, Deutschpaläs…
BERLIN taz | Faten El-Dabbas ist als Tochter palästinensischer Flüchtlinge
in Berlin aufgewachsen, in Potsdam studiert sie Politikwissenschaften. Seit
zwei Jahren macht die zierliche, schüchtern wirkende junge Frau außerdem
beim muslimischen Poetry-Slam-Format i,Slam mit. Anfang Juli, als der Krieg
in Gaza begann, organisierte sie mit ihren Slam-Kollegen auf dem Berliner
Alexanderplatz ein öffentliches Poetry Slam, bei dem sie ein Gedicht mit
dem Titel „Wir Palästinenser sind Menschen“ vortrug.
Im Internet findet sich eine Aufnahme. „Seit über 65 Jahren versuche ich
dich, Deutschland, zu wecken. Doch du stellst eher Fragen, ob ich zu dir
gehöre oder nicht“, deklamiert die 24-jährige da, mit einem
Palästinensertuch um den Hals, vor rund hundert Zuhörern, während ihre
Stimme gegen den Straßenlärm ankämpft: „Ob ich Muslim wäre oder ein
versteckter Terrorist, ob ich Deutsche sein darf oder für immer ein
Ausländer, nur weil meine Eltern aus Ländern kamen, die du nicht kennst.“
Seit dem jüngsten Gazakrieg wird in Deutschland über Antisemitismus
debattiert. Dabei geht es vor allem um Jugendliche mit arabischem oder
türkischem Background, die sich mit den Palästinensern solidarisieren.
Viele von ihnen weisen den Vorwurf des Antisemitismus jedoch von sich – und
klagen, dass zwar viel über sie, aber wenig mit ihnen gesprochen werde.
Auch Faten El-Dabbas hat im Sommer an Demonstrationen gegen den Gazakrieg
teilgenommen. Wie in den Medien darüber berichtet wurde, macht sie wütend.
„Es ist, als würde man uns als eine Masse von Menschen wahrnehmen, die
nicht im 21. Jahrhundert lebt, nie die Schule besucht hat und nichts von
der deutschen Geschichte weiß“, ärgert sie sich. „Da fühle ich mich einf…
nur blöd.“
Sie könne sehr gut zwischen israelischer Politik und Judentum
unterscheiden, stellt sie klar. Zwar habe es bei einigen dieser
Kundgebungen auch judenfeindliche Parolen gegeben, räumt sie ein, aber die
seien klar in der Minderheit gewesen. Die meisten Medien hätten sich jedoch
allein auf diese Ausfälle gestürzt.
## Nicht gehört werden
Schon an der Schule habe sie das Gefühl gehabt, nicht gehört zu werden. Vom
Leid der Juden während der Nazizeit habe sie dort das erste Mal gehört. Das
habe sie sehr berührt – und Fragen aufgeworfen: „Wie kann man das Leid der
Palästinenser in Kauf nehmen, wenn man selbst einmal so großes Leid
erfahren hat?“ Doch ihre Versuche, auch ihre eigene Familiengeschichte in
den Unterricht einzubringen, hätten nicht nicht weit geführt, sagt sie: Was
nach 1945 kam, wurde in der Schule nicht besprochen. Und wenn es um
aktuelle Konflikte wie in Gaza ging, sei das dortige Leid stets relativiert
worden. Das habe sie frustriert.
Die Debatte über einen spezifisch muslimischen Antisemitismus habe sich in
den letzten zehn Jahren zugespitzt, findet die 31-jährige Wissenschaftlerin
Anna Esther Younes. Antisemitismus würde dabei immer mehr als ein rein
muslimisches Problem beschrieben. Das füge sich „zum Bild des nicht
integrierbaren Muslims, der zudem als sexistisch, homophob und kriminell
markiert wird.“ Das ginge so weit, dass die Vergabe der deutschen
Staatsbürgerschaft daran geknüpft werde, sich von diesem Zerrbild zu
distanzieren. Im Einbürgerungstest Hessens etwa bezögen sich gleich mehrere
Fragen darauf, ob der Holocaust und das Existenzrecht Israels anerkannt
werden.
Anna Younes ist als Tochter eines Palästinensers im Osten Berlins
aufgewachsen. Beim Treffen in einem Café in Berlin-Kreuzberg krault sie
ihren Hund Toni, der sie überallhin begleitet. Sie promoviert an der
Universität Genf über Rassismus und Antisemitismus in Deutschland, die
US-amerikanische Philosophin Judith Butler unterstützt sie.
## Kriminalisierung für Parteinahme
In der deutschen Erinnerungskultur werde die deutsche Zeit zwischen 1933
und 1945 als Zivilisationsbruch und Ausnahme von der Regel gesehen, sagt
Younes. Darum sei es verpönt, zwischen dem Rassismus der Nazizeit, dem
Kolonialrassismus, der ihm vorausging, und dem strukturellem Rassismus von
heute Verbindungen zu ziehen. Und darum sei es in Deutschland beinahe
unmöglich, am Kampf der Palästinenser gegen die israelische Besatzung deren
antikoloniale und antirassistische Anteile zu sehen. Ein Grund, warum sich
hierzulande fast nur Einwanderer aus muslimischen Ländern offen mit den
Palästinensern solidarisieren würden.
Der Rapper Kaveh ist seit gut 15 Jahren in der politischen HipHop-Szene
Berlins aktiv und arbeitet in der Jugendbildung. Antijüdische Ressentiments
bei Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund führt er auch auf deren
eigene Ausgrenzungserfahrungen zurück, ein ideologisch gefestigter
Antisemitismus sei das meist nicht. „Sie können durch Bildungsarbeit leicht
ausgehebelt werden“, ist er deshalb überzeugt. „Und das ist, was ich zu tun
versuche.“ Viele dieser Jugendlichen fühlten sich unverstanden. Auf sie
würde in der Schule zu selten eingegangen, oder es werde einseitig für
Israel Partei ergriffen. „Dann suchen sie sich eben andere Plattformen. Das
kann dann in eine Art Radikalisierung oder Parallelgesellschaften führen.
Eine Entwicklung, die vermeidbar wäre.“
Wie schnell man für seine Parteinahme für Palästina kriminalisiert werden
kann, hat der im Iran geborene Rapper kürzlich selbst erlebt. Nach einem
Auftritt bei einer Demonstration nahm die Polizei seine Personalien auf,
weil er in einem seiner Songs von einem „Genozid in Gaza“ gesprochen hatte.
Das wurde ihm als Volksverhetzung ausgelegt, später zog die Polizei diese
Anschuldigung zurück.
Kaveh lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. „Sogar die Polizei ist
verunsichert“, glaubt er. Auch weil ihr vorgeworfen wurde, nicht hart genug
gegen antisemitische Parolen vorgegangen zu sein, habe sie hier
überreagiert.
13 Sep 2014
## AUTOREN
Sybille Biermann
## TAGS
Palästinenser
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Jugendliche
Gaza-Krieg
Schwerpunkt Rassismus
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