# taz.de -- Filme über Schlecker-Pleite: Zum Lachen und Heulen | |
> Anfang 2012 meldete die Drogeriekette Insolvenz an, jetzt folgt die | |
> zweifache Verfilmung: Sat.1 versucht es mit Humor, das ZDF mit Drama. | |
Bild: Katharina Thalbach (li.) und Annette Frier posieren am Rande der Dreharbe… | |
Als die Drogeriekette Schlecker Anfang 2012 Insolvenz anmeldete, wurden | |
27.000 Mitarbeiter entlassen. Betroffen waren überwiegend Frauen, viele von | |
ihnen schon älter, angelernt, alleinerziehend. Der damals zuständige und | |
heute längst vergessene Wirtschaftsminister empfahl ihnen, schnellstmöglich | |
selbst eine „Anschlussverwendung“ zu finden. Was für ein Rat, was für eine | |
Sprache! | |
„Die Politik und Anton Schlecker haben sich über diese Frauen überhaupt | |
keine Gedanken gemacht, die gingen ihnen schlichtweg am Arsch vorbei“, sagt | |
Drehbuchautor und Regisseur Uwe Janson. Ihn dagegen ließ das Thema nicht | |
los, gemeinsam mit dem Autor David Ungureit verarbeitete er es in einem | |
Drehbuch. Der daraus entstandene Film „Die Schlikkerfrauen“ – bei dem | |
Janson auch Regie führte – läuft in der kommenden Woche bei Sat.1. | |
Erzählt wird die Geschichte von vier Berliner Frauen (Katharina Thalbach, | |
Annette Frier u. a.), die ohne Abfindung auf die Straße gesetzt werden | |
sollen. Anfangs mögen sich die Kolleginnen nicht, dann raufen sie sich | |
zusammen: Erst besetzen sie ihre Drogeriefiliale, dann nehmen sie den | |
Firmengründer (Sky du Mont) als Geisel. Damit der nicht fliehen kann, | |
ziehen sie ihm die Hose aus, denn ohne Hose geht ja niemand auf die Straße. | |
## Schmerz und Freude | |
„Es war mein Ziel, aus dem Stoff eine Dramedy in der Tradition britischer | |
Sozialkomödien wie ’Ganz oder gar nicht‘ zu machen“, sagt Janson. „Ich | |
nehme die Schicksale der Frauen ernst und möchte nichts verharmlosen – aber | |
einfach nur zu erzählen, wie schlimm das alles gelaufen ist, wäre | |
langweilig und würde auch der Komplexität des Themas nicht gerecht werden.“ | |
In der Wirklichkeit lägen Schmerz und Freude ja ebenfalls dicht | |
beieinander, deshalb habe sich dieses Genre angeboten. | |
Mit seinem 90-Minüter will er Debatten anstoßen: „Mich interessiert die | |
Frage: Was ist eigentlich ein Unternehmer und welche Verantwortung hat er | |
seinen Mitarbeitern gegenüber?“ Außerdem sei es lohnenswert, sich zu | |
wehren. „Man wird nicht immer Erfolg haben, aber die eigene Meinung kund zu | |
tun, stärkt die Persönlichkeit – und nur mit starken Persönlichkeiten | |
können wir eine mündige Gesellschaft sein. Ich hoffe, dass dieser Film den | |
einen oder anderen Zuschauer ermuntert, sich nicht alles gefallen zu | |
lassen.“ Ein geradezu klassenkämpferischer Film bei Sat.1 – wer hätte dam… | |
gerechnet? | |
Sieht man einmal von dem etwas bemühten Titel ab, hat „Die Schlikkerfrauen“ | |
durchaus seine Stärken. Die Figuren sind glaubwürdig, vor allem Katharina | |
Thalbach überzeugt einmal mehr als proletarische Rampensau mit Herz und | |
Schnauze und spielt alle an die Wand. Auch die Geiselnahme ist eine gute | |
Story-Idee, die für ein absurdes Aufeinandertreffen der Gegenspieler sorgt. | |
Leider, und das ist die ganz große Schwäche des Films, der eigentlich eine | |
Satire sein will, gibt es nur wenige komische Momente. Und die sind selten | |
gelungen. Der Grundton ist beinahe unangenehm pädagogisch und verkrampft, | |
in manchen Szenen geradezu predigend. Mag sein, dass sich die Macher zu | |
viel vorgenommen haben mit einem Film, der einerseits von Ungerechtigkeiten | |
erzählen und Diskussionen auslösen will – und andererseits auch noch lustig | |
sein will. | |
## Familiengeschichte im ZDF | |
Zwei Wochen nach Sat.1 bringt auch das ZDF einen Fernsehfilm, dem die | |
Schlecker-Pleite zugrunde liegt. Der Zweiteiler „Alles muss raus. Eine | |
Familie rechnet ab“ entstand auf Initiative des Produzenten Oliver Berben, | |
das Drehbuch schrieb Kai Hafemeister, Regie führte Dror Zahavi. „Ich hatte | |
schon länger nach einen Stoff gesucht, bei dem ich eine Art | |
Gesellschaftsroman auf verschiedenen, miteinander verzahnten Ebenen | |
erzählen kann – dafür war das Thema ideal“, sagt Hafemeister. Und so geht | |
es im Unterschied zur Sat.1-Produktion beim ZDF-Drama nicht vor allem um | |
die Verkäuferinnen, sondern um eine ganze Reihe von Menschen, die von der | |
Insolvenz eines Drogerieimperiums betroffen sind. | |
Da ist auf der einen Seite der Firmengründer Max Faber (Robert Atzorn), auf | |
der anderen die Berliner Verkäuferin Janine Krause (Josefine Preuß). | |
Patriarch Faber hat keine Idee, wie er sein Unternehmen retten soll, und | |
findet sich in einem Duell mit seiner Tochter (Lisa Martinek) wieder, die | |
das Unternehmen modernisieren will. Verkäuferin Janine muss sich nicht nur | |
Sorgen um ihren Job machen, sondern auch um ihren gewalttätigen Freund | |
(grandios: Florian Lukas), der nach seiner Haftentlassung nicht allzu viel | |
Lust auf ein bürgerliches Leben verspürt. | |
## Kein Gut und kein Böse | |
Von Beginn an springt der Film gekonnt zwischen den Ebenen hin und her, | |
stellt überzeugend die unterschiedlichen Lebenswelten und Motivationen dar. | |
„In der Geschichte treffen ganz verschiedene Bereiche der Gesellschaft | |
aufeinander“, sagt Hafemeister. „Es war mir wichtig zu zeigen, dass es da | |
kein Gut und kein Böse gibt, sondern einfach nur grundlegend | |
unterschiedliche Interessen. Was richtig für den Firmeninhaber ist, ist | |
nicht richtig für die Belegschaft. Gewerkschaften und Medien haben dann | |
auch wieder ihre ganz eigenen Werte.“ | |
Erzählt wird das alles überraschend locker und immer wieder humorvoll. | |
Regisseur Zahavi bringt die Figuren in manchen Szenen bis an die Grenze zur | |
Überzeichnung, geht aber nie darüber hinaus. Und genau wie die | |
„Schlikkerfrauen“ sind auch die Mitarbeiterinnen in „Alles muss raus“ k… | |
weinerlichen Opfer der Umstände. „In der Geschichte der Berliner Arbeiter | |
ist eine gewisse Härte entstanden. Und die findet sich in der Rolle der | |
Janine wieder“, sagt Hafemeister. „Ihre Haltung ist: ’Klar ist das alles | |
scheiße, aber wir müssen da jetzt irgendwie durch und lassen uns dabei | |
nicht die Laune verderben.‘“ Josefine Preuß, die für die weiblichen | |
Hauptrollen in ZDF-Mehrteilern jetzt fest gebucht zu sein scheint, spielt | |
das sehr überzeugend. | |
„Alles muss raus“ wartet zu Beginn mit zahlreichen Parallelen zum | |
Schlecker-Fall auf, entwickelt sich dann aber mehr und mehr zu einer davon | |
unabhängigen Geschichte irgendwo zwischen Wirtschaftskrimi, Romanze, | |
Gesellschaftsporträt und Familiendrama. Die Politik taucht als Akteur | |
leider gar nicht auf. Außerdem stören einige Klischees das Vergnügen: Will | |
man wirklich noch mal einen koksenden, durchgeknallten Banker und einen | |
diabolischen Investor im dicken Sportwagen sehen? Mit der Darstellung von | |
Akteuren des Finanzwesens macht man es sich im deutschen Fernsehen ohnehin | |
in den meisten Fällen recht einfach. Aber immerhin laufen die Unternehmer | |
hier nicht mit Monokel, Melone und Zigarre herum. | |
Dass sich zwei so unterschiedliche Programme wie Sat.1 und das ZDF – wenn | |
auch mit etwas Verspätung – mit einem relevanten gesellschaftspolitischen | |
Thema auseinandersetzen, darf gern nachgeahmt werden. Belanglose Krimis und | |
romantische Komödien gibt es mehr als genug. | |
30 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Sven Sakowitz | |
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