# taz.de -- Kunst kritisiert Discounter: Alles raus, alles weg | |
> Das Künstlerinnenduo Fort hat eine leere ehemalige Filiale der | |
> Drogeriekette Schlecker reinszeniert. Die Kälte der Regalgerippe und | |
> Drahtkäfige wirkt. | |
Bild: In diesem traurigen Verkaufsgestell saßen die Angestellten. | |
HANNOVER taz | Ein letzter Kassenzettel liegt noch, wellig, auf der | |
Tastatur, Belegnummer 000647, Datum: 29.06.2012, in lila | |
Nadeldruckerschrift. An jenem Junitag debattierte der Bundestag über den | |
Eurorettungsschirm, nachmittags hatte es eine letzte zornige | |
Mitarbeiterinnenversammlung gegeben. | |
Der Beleg zeigt aber die Uhrzeit 21:03:13, sekundengenau, und statt Ware | |
und Gegenwert weist er nur „POWER FAILED“ aus, fünfmal untereinander: POWER | |
FAILED, kein Netz. In der hannoverschen Kestnergesellschaft ist eine | |
ehemalige Filiale des Drogeriediscounters Schlecker aufgebaut, mit | |
Außenwänden als Raum im Raum. Es ist eine Berliner Filiale gewesen. | |
Aber das spiele letztlich „für unsere Arbeit keine Rolle“, sagt Jenny | |
Kropp, die mit Alberta Niemann das Künstlerinnenduo mit dem vieldeutigen | |
Namen Fort bildet. Sie haben für ihr Projekt halt das genommen, was | |
nahelag. Und in Berlin hatten die zwei als Kundinnen und Zeuginnen, die | |
Insolvenz der Drogeriekette erlebt. Dabei konnten sie beobachten, „wie | |
während des totalen Räumungsverkaufs die Massen dort reindrängten und die | |
Regale als Gerippe zurückließen“, erzählt Niemann. | |
Den ganzen Juni über ging das so, während der Insolvenzverwalter die zweite | |
Kündigungswelle auf die 23.000 Mitarbeiterinnen losließ, ein paar Männer | |
waren auch dabei. Oft genug hatten die alleine in den Läden hocken müssen, | |
ein Rundspiegel an der Decke erinnert daran, dass von der Kasse aus auch | |
die Überwachung des kompletten Shops zu erledigen war. | |
Hier und jetzt aber gibt es weniger als nichts zu stehlen: verödete Regale, | |
entkernte Aufsteller für Sonderangebote, leere Drahtkäfige, direkt am im | |
Dauerlauf dröhnenden Fließband: Da waren früher immer die Zigaretten drin | |
gewesen. | |
Die Logik des Konsumierens und Verkaufens unter Bedingungen einer | |
neoliberalen Gesellschaft untersuchen Fort in der Ausstellung „Shift“ – u… | |
die Schlecker-Installation ist zweifellos deren wuchtigstes Werk: Es trägt | |
den Titel „Leck“ und das lässt sich einerseits als Namensamputat und | |
direkteste Referenz auf die verschwundene Firma lesen, aber eben | |
andererseits genauso gut auch als Loch, das zum Sinken des Boots führt. | |
Und auch als obszöne Aufforderung: Unvergessen ist ja, dass es populär | |
wurde, den Namen der Firma mithilfe des Präfixes „Ar-“ der Wirklichkeit | |
anzupassen – zumal als im Laufe des Insolvenzverfahrens die Versuche der | |
Unternehmerfamilie publik wurden, ihr Privatvermögen mittels | |
Grundbuchtricks aus der Pleite rauszuhalten. | |
## Witzchen auf der Palette | |
Mit der Entkernung jedoch sind solche symbolischen Racheakte verschwunden. | |
Selbst die rudimentäre Individualität der Geschäftsmöblierung ist raus, | |
alles weg. | |
Der Laden ist unbehaust, nichts mildert mehr seinen antimenschlichen | |
Eindruck, am wenigsten sicher das trübe Neonlicht, das bald schon in den | |
Augen schmerzt: Licht ist dem Philosophen Gernot Böhme zufolge „geradezu | |
ein Prototyp einer Erzeugenden von Atmosphären“. Und tatsächlich bezieht | |
sich Fort laut Kuratorin Lotte Dinse auf die Ästhetikessays des Darmstädter | |
Philosophen, die eben den Akzent auf die primäre Wahrnehmung verlagern, auf | |
die Atmosphäre als das, was im Konzert der Sinne sich mitteilt, sobald man | |
einen Raum betritt. | |
Forts Räume sind deshalb weniger dokumentarische Ready-mades als | |
Inszenierungen. Sie werden sicherlich auch durch Wände bestimmt, aber | |
entscheidender doch durch Bewegung, Wärme, geprägt. Und durch ihr soziales | |
Moment: Fort gestaltet diese Wahrnehmungen kritisch, aber nirgends | |
agitatorisch, sondern eher schon mal mit ’nem Witzchen auf der Palette. | |
## Erlösung in der Fiktion | |
Da ist zum Beispiel der Süßigkeitenapparat – er ist funktionstüchtig und | |
betriebsbereit – in dem nichts ist, außer einem einzelnen Raider. Diese | |
lang etablierten Schokoriegel hatten ja mithilfe einer der beklopptesten, | |
aber auch einprägsamsten je ersonnenen Werbekampagnen auch in Deutschland | |
ihren britischen Namen Twix erhalten, 1991 war das, vor 24 Jahren. Die | |
Umbenennung brachte auch ins Bewusstsein, dass der bisherige deutsche Name | |
Raider – Plünderer, Räuber, aggressiver Aktienaufkäufer – in der | |
anglophonen Welt nie einen süßen Beiklang hätte entfalten können. | |
Fort hat seine Installation nun fast schon kalauernd „The Lonesome Raider“ | |
genannt: Mit ihr können Betrachter sich freudig dem moralischen Dilemma | |
aussetzen, ob sich dies durch Einwurf von 80 Cent, sich der | |
Verführungskraft, die jeder präsentierten Ware, mag sie auch noch so | |
beschissen sein, ergibt, und zum Plünderer des Kunstwerks werden soll. | |
Oder, Magen und Kestnergesellschaft werden’s ihm danken – lieber doch | |
nicht. | |
Aus der Hölle des Neoliberalismus gibt es kein Entrinnen. Seine Sieger | |
triumphieren noch in Krise und Untergang, dafür war die Schlecker-Pleite | |
ein Symbol, und seine Opfer sind auch die Opfer seiner Niederlagen. | |
Erlösung finden sie nur in der Fiktion, etwa der des Video „The Calling“: | |
In der Werkhalle einer alten Fabrik befindet sich ein Callcenter. | |
Großraumbüro, grauer Nadelfilz, zwei Computerschirme je Arbeitsplatz und an | |
jedem ein Mensch. | |
Sie alle sind seiner Hektik und den ständigen Anrufen entflohen: Ein | |
kollektiver Schlaf hat sie überfallen. Langsam, nicht zärtlich, nicht | |
entblößend, fährt das Kameraauge über die in Keyboards gesunkenen Körper, | |
tastet Rücken ab, Gürtel, Ohrschmuck, Haare und verharrt auf den | |
Gesichtern. Die atmen Ruhe, während über sie der Schatten eines Traumes | |
flackert aus heimlicher Wollust. | |
5 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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