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# taz.de -- Ausstellung der Kestnergesellschaft Hannover: Weder schwarz noch we…
> Zum 100-Jährigen Jubiläum zeigt die Kestnergesellschaft Hannover
> publikumsgefällige Kunst. Angetreten ist sie 1916, um das konservative
> Klima aufzuwirbeln.
Bild: Ein Zebra als Justitia: Christian Philipp Müllers Wandarbeit in der Kest…
HANNOVER taz | Ein Zebra ist weder schwarz noch weiß. Auch die präparierte
Zebrabüste, eine leicht angestaubte Jagdtrophäe aus Hannoveraner Besitz,
die der gebürtige Schweizer Christian Philipp Müller derzeit als Zentrum
einer großen Wandarbeit in der Kestnergesellschaft präsentiert, hat diese,
auch im abstrakten Sinne, wenig polarisierenden Eigenschaften.
Müller legte ihr eine Augenbinde an und erhob sie so zur skurrilen
Justitia. So richtet sie nun über Spezifik, Bedeutung oder Resonanz dieser
Kunstinstitution, die von ihren rund 4.000 Mitgliedern getragen wird. Mehr
oder weniger prominente unter ihnen gaben knappe Einschätzungen der
Kestnergesellschaft zu Protokoll, Müller hat sie zu einer psychedelischen
Spiralgrafik in schwarz-weiß-silber rund um das Zebrahaupt versammelt.
Besucher dürfen mit Klebepunkten noch ihre Vorliebe für die eine oder
andere Sentenz kenntlich machen.
Das moderate, ja etwas bräsige Zebra also das Sinnbild der
Kestnergesellschaft? Die Affirmation der Mitglieder als Gradmesser ihrer
Selbstvergewisserung, die publikumsgefällige Partizipation ihr Schlüssel
zur Kunstrezeption? So ganz vermag diese defensive Haltung ja nicht zu
überzeugen, die die Kestnergesellschaft da in ihrer Schau zum 100-jährigen
Jubiläum nun anklingen lässt.
Angetreten war sie 1916 immerhin mit dem Anspruch, im konservativen
Kulturklima Hannovers, vertreten etwa durch Bürgermeister Heinrich Tramm
und einen seit 1832 existierenden Kunstverein zur Förderung lokaler
Künstler, den frischen Wind der internationalen Moderne in die Provinz
einziehen zu lassen. Wobei der frische Wind bereits in der ersten
Ausstellung gleich wieder etwas abflaute: Der deutsche Altmeister Max
Liebermann war es, den man daheim beim Gründungsdirektor, dem
Kunsthistoriker Paul Erich Küppers, zeigte. Man wollte dann also lieber
doch nicht provozieren, sondern erst einmal umarmen, weiß Direktorin
Christina Végh die damalige Strategie des Hauses zu umreißen.
## Zehn männliche Direktoren in 99 Jahren
Die Schweizerin Végh ist seit einem Jahr im Amt, in den 99 Jahren vor ihr
gab es, auch das wenig aufrührerisch, zehn männliche Direktoren, die
insgesamt rund 700 Ausstellungen verantworteten. Strategisches Operieren
zieht sich als Handlungsschema durch die Geschichte der
Kestnergesellschaft, mitunter durchaus beharrlich, meist erfolgreich. So
konnte man bis Ende 1936 den jüdischen Direktor Justus Bier halten und zog
dann die zwangsweise Schließung der ideologischen Gleichschaltung vor.
Justus Bier wurde weiterhin auch finanziell unterstützt, bis ihm 1937 die
Flucht über die Schweiz in die USA gelang.
Die wirtschaftliche Basis der Kestnergesellschaft hatten örtliche
Industrielle wie Keksfabrikant Hermann Bahlsen und Fritz Beindorff, Inhaber
der Pelikanwerke, oder auch der Verleger August Madsack gelegt. Sie standen
ab 1945 erneut bereit, in ihrem Renommee jedoch nun etwas angeschlagen als
Profiteure der NS-Zwangsarbeit.
Nach der Wiedereröffnung 1948 wirkten dann durchaus prominente Namen in
Hannover, etwa Werner Schmalenbach oder Wieland Schmied, beide auch für die
Documenta in Kassel tätig. Und es gab wegweisende Ausstellungen
internationalen Kalibers: gleich zu Beginn Pablo Picasso, später Marcel
Duchamp, mehrmals Joseph Beuys oder Andy Warhol. 2005 flutete der spanische
Provokationskünstler Santiago Sierra das Erdgeschoss des 1997 bezogenen
schicken neuen Hauses mit moorigem Schlamm. Er wollte so die
NS-Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zum Aushub des Maschsees exemplarisch für
die politischen Verstrickungen in Erinnerung rufen.
Derartige Zeiten spektakulärer künstlerischer Kritik aber scheinen vorbei.
Was nicht der Kestnergesellschaft anzulasten ist. Zudem hat der alte
Kunstverein sich schon lange gemausert, ist international orientiert und
zeigt relevante Themen wie überraschende Positionen, hat mit seinem schön
verlotterten Haus das anregendere Ambiente parat.
## Profil etwas blass und diffus
Die programmatische Abgrenzung der beiden Häuser ist somit schwierig, das
Profil der Kestnergesellschaft scheint derzeit etwas blass, diffus – auch
die Jubiläumsschau „Stellung nehmen“. Den Titel bezieht Végh auf
Philosophen wie Kant oder Latour, die im (künstlerischen) „Ding“ eine
Herausforderung zum Urteil sahen. Aber auch auf Gründungsdirektor Küppers,
der die Rolle der Kunst als Anreger, wenn nicht gar Erreger, definierte.
Die Schau wird durch eine Dokumentation zur Geschichte des Hauses
begleitet.
Was ist also über die Selbstreflektionen hinaus zu sehen – oder auch zu
hören? Natürlich der einstündige Klassiker von Joseph Beuys „Ja Ja Ja Nee
Nee Nee“, die repetitive Rezitation grundlegender Bekundungen von
Zustimmung oder Ablehnung.
Martin Kippenbergers mit Synthesizerklängen untermalte ironische Reprisen
erfreuen im Stockwerk darüber. Altmeister Franz Erhard Walter fordert zur
Interaktion mit seinen textilen Grundelementen auf. Sie lassen sich
physisch ergänzen oder als kognitive Projektionsräume interpretieren.
Lässige Gleichgültigkeit im subversiven Unterlaufen jeglicher Erwartung
demonstriert die Frauengruppe in Marlene Dumas großer Ölmalerei: Die
zentrierende, dunkelhäutige Figur weist dem Betrachter den Rücken zu.
Zustimmend vollführen, aber auch explizit verweigern darf der täglich erste
Besucher seine manipulative Instrumentalisierung durch den jungen dänischen
Künstler Christian Falsnaes – nur so viel sei zu dieser Arbeit verraten.
29 Jun 2016
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
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Hannover
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