# taz.de -- Abgang im Guten: Ein begründeter Abschied | |
> Der Direktor der Kestnergesellschaft Hannover geht mit nur 61 Jahren in | |
> den Ruhestand. Er könne kein Scout mehr sein für die „Generation | |
> Whats-App“, sagt Veit Görner. | |
Bild: Geht in den Ruhestand: Veit Görner, Direktor der Kestnergesellschaft Han… | |
HANNOVER taz | Das Protokoll zur Mitgliederversammlung der | |
Kestnergesellschaft Hannover notierte kürzlich zwischen dem Bericht der | |
Kassenprüfung und der Ausstellungsvorschau, dass ihr Direktor Veit Görner | |
zum Jahresende seinen Dienst beenden und in den Ruhestand treten wird. | |
Nun ist der 1953 in München geborene Görner gerade mal 61 Jahre alt – | |
weshalb also der Abschied? „Ab 60 ist man in der Kunst ein alter Sack“, | |
stellt Görner klar. Als Direktor oder Kurator eines Ausstellungshauses | |
müsse man Scout sein für aufkommende Tendenzen, die künstlerischen | |
Versprechungen der Zukunft. Die Nähe und Affinität zum Neuen, die aktiv | |
mitfühlende Zeitgenossenschaft bräuchte ein verlässliches System | |
kultureller Konnotationen: Was liest man, welche Musik ist wichtig, welche | |
Themen bewegen? Diese Grundstimmung nun könne er nicht mehr glaubwürdig für | |
die „Generation Whats-App“ herstellen, so Görner, seine Sozialisierung | |
erfolgte in ganz anderen Zeiten, auch unter politisch abweichenden | |
Wertesystemen. „Ich schmeck’s nimmer“, soweit zu seinem Entschluss. | |
Mit diesem Fremdeln sei er aber nicht allein. Görner erzählt die Anekdote, | |
wie er mit seinem niederländischen Kollegen Rudi Fuchs – dieser Jahrgang | |
1942, unter anderem verantwortlich für die 7. Documenta 1982 in Kassel – | |
über die Biennale in Venedig ging. „Veit, du tust mir so leid“, sagte Fuchs | |
nur angesichts der dort dargebotenen Kunst, Görner müsse sich ja noch | |
einige Jahre mit ihr rumschlagen. Tut er aber bald nicht mehr, und das | |
konsequent: kein Gastkuratieren, kein Publizieren und auch kein privates | |
Sammeln mehr! | |
Von Resignation ist selbstredend keine Spur. Die Parameter seiner | |
Zeitgenossenschaft haben Görner rund 40 Jahre lang schwungvoll durch den | |
Kunstbetrieb getragen. Dabei war er Quereinsteiger, allerdings in | |
notorischer Parallelaktion der weiteren Wissensqualifizierung | |
selbstverpflichtet. Dem Abitur in Stuttgart folgten fünf Jahre Sozialarbeit | |
mit Drogenabhängigen und Obdachlosen, ab 1978 ein Studium der Sozial- und | |
Erziehungswissenschaften. „Ich wollte ja die Welt retten“, sagt Görner, | |
sein pädagogisches Händchen sei dann später manch schwierigem Künstlerego | |
zugute gekommen. | |
Im Studium die erste, ungeplant umfangreiche Ausstellungsorganisation im | |
mitgegründeten Verein „für nicht ausstellbare theoretische Kunst“, 1987 | |
dann die Professionalisierung als Leiter des Stuttgarter Künstlerhauses. | |
Zeitgleich ein neuerliches Studium, nun der Kunstgeschichte. | |
Seine kuratorische Glückseligkeit bescherte ihm in Anschluss das | |
Kunstmuseum Wolfsburg. Hier durfte er von 1995 bis 2002 aus dem Vollen | |
schöpfen. Ausstellungen wie „Full House“ zu junger britischer Kunst oder | |
ihr Pendant „German Open“ wurden mit Etats von ein bis zwei Millionen, | |
wenngleich noch D-Mark, realisiert. Und er bekam ausreichend Zeit, über | |
Neues nachzudenken. Für eine Überblicksschau brasilianischer Kunst und | |
Fotografie etwa konnte er monatelang in Südamerika recherchieren. So | |
manches, was ihm dort anfänglich wie ästhetische Relikte der 1950er-Jahre | |
Europas vorkam, begann er aus historischen Entwicklungslinien Brasiliens zu | |
erkennen, ihrem farbigen Naturalismus beispielsweise. „Kunst anderer Länder | |
muss man lernen wie eine Fremdsprache“, so Görner dazu, eine entschiedene | |
Absage also an einen diffusen, globalen Kunstbegriff. | |
Stattdessen lieber der präzisierende Blick, die Befragung eines | |
spezifischen Nährbodens. Wie wohl jeder Kurator strebte auch Görner zum | |
Direktorenamt, um selbstbestimmend zu arbeiten. So folgte auf das reichste | |
Museum Deutschlands dann 2003 der Wechsel zu dessen ärmstem Kunstverein, | |
der 1916 gegründeten Kestnergesellschaft. Auch unter ihren Bedingungen | |
gelang Spektakuläres, wie etwa 2005 mit der ersten deutschen Personale des | |
provokanten Spaniers Santiago Sierra. Der flutete das Erdgeschoss mit | |
moorigem Schlamm, die Fußabdrücke der Besucher durchzogen folglich die | |
ganze Edelarchitektur des Hauses. | |
Görner konsolidierte die finanzielle Basis der Institution, ersann mit | |
seinen Hannoveraner Kollegen von Kunstverein und Sprengelmuseum gemeinsame | |
Aktionen wie etwa „Made in Germany“ 1 und 2, jeweils als pointierte | |
Koinzidenz zur zeitgleichen Documenta. Zwischendrin wurde noch die | |
Promotion erledigt, ein Versprechen an den Präsidenten der Kunsthochschule | |
Braunschweig. | |
Vor zehn Jahren erfand Veit Görner, auch schon als vorgezogenen Rückzug aus | |
dem eigenen Ausstellungsmachen, ein Volontariatsmodell am Hause. Fünf junge | |
WissenschaftlerInnen verantworten seitdem wie ausgewiesene Kuratoren das | |
Ausstellungsprogramm und seine gesamte Umsetzung, ebenso Pressearbeit und | |
Marketing. Görner gründet sein System auf den russischen Pädagogen Anton | |
Makarenko, er sah im Fordern und Achten, im vertrauensvollen Übertragen von | |
Verantwortung den Schlüssel zur allseitig entwickelten Persönlichkeit. | |
Nach zwei Jahren haben die Volontäre so sieben bis acht selbst | |
verantwortete Ausstellungen vorzuweisen, für einige die Referenz zum Sprung | |
an die Spitze eines Kunstvereins, wie bei Caroline Käding in Freiburg oder | |
Hilke Wagner in Braunschweig. Der Wissensabfluss ist die Kehrseite dieser | |
Fluktuation. Kernqualifikation der Aspiranten übrigens: Sie sollen kochen | |
können und einen Mannschaftssport betreiben. Fachspezifische Fragen Görners | |
im Einstellungsgespräch müssen auf Wunsch der schottischen | |
Geschäftsführerin dann meist auf Englisch beantwortet werden. | |
Die Internationalität ist ein Charakteristikum des aktuellen Kunstbetriebs. | |
Ein anderes ist die enorme Schnelllebigkeit. Konnte Picasso ganze vier | |
Dekaden künstlerisch beeinflussen, so ist die Bedeutungshalbwertszeit heute | |
vielleicht noch gerade bei der Hälfte. Wichtiger werden der strategisch | |
kalkulierte Auftritt eines Künstlers und der Vertrieb, die richtigen | |
Galerien. Das Ausstellungswesen konkurriert zudem mit den Zerstreuungen der | |
Freizeitindustrie, und heißen sie auch Dschungelcamp oder DSDS, der | |
Begleitaufwand unter diesem Quotendruck ist immens kräftezehrend. | |
Görner setzt demnächst nun Ruhe und Reduktion dagegen – für die | |
Restlaufzeit seines Lebens, wie er es nennt. Er ist seit 43 Jahren in | |
Stuttgart verheiratet, will sich der langjährigen Mobilitätsverheißung | |
entziehen. Selbstbestimmungsschwierigkeiten sind ihm ein Fremdwort: „Ich | |
muss keine gesellschaftliche Rolle einnehmen“. | |
7 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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