# taz.de -- Spurensuche bei der C-Prominenz: Als in Harburg das Dschungelcamp s… | |
> Warum bloß kommen so viele Stars und Sternchen ausgerechnet aus Hamburgs | |
> Süden? | |
Bild: Hamburg-Harburgs Antwort auf Johnny Cash? Gunter Gabriel, der in Bünde/W… | |
Kommt ein Reporter zu einem Star, bringt einen Sechserpack Flaschenbier | |
mit. Was wie der Anfang eines Altherrenwitzes klingt, war ziemlich genau | |
vor einem Jahr, im Oktober 2013, im ZDF zu besehen. Da bedrängt | |
Reporterdarsteller Manuel Möglich, 34, den damit sichtlich überforderten | |
„Star“ Heinz Strunk, 51. Der stellt nuschelnd den Alk beiseite, jammert von | |
der frühen Schizophrenie seiner Mutter und führt den Reporter stolz auf | |
seinen Dachgarten. | |
Möglich bewundert Strunk, vor allem für dessen Bucherfolg „Fleisch ist mein | |
Gemüse“ (2004). Später fahren beiden mit der S-Bahn nach Harburg, nicht | |
etwa, um nach fast zehn Jahren Spuren der Geschichte zu suchen. Sie steigen | |
nur um, es geht noch weiter, zurück in die vermeintliche Vergangenheit. Im | |
niedersächsischen Landkreis Harburg, in Todtglüsing, sitzen sie dann | |
wortkarg an einer Bushaltestelle. Es kommt kein Bus. | |
So war im Fernsehen zu sehen, wie zwei in die Ferne sehen und dabei nicht | |
einmal den neben sich erkennen. „Heimwärts mit …“ heißt die Serie, in d… | |
Möglich bereits Jürgen Drews und Wolfgang Niedecken heimgesucht hatte, nach | |
Strunk war Dolly Dollar dran. Aber wer ist Heinz Strunk, dass er in eine | |
solche Reihe passt? Wen interessiert, wie sich „das Leben als | |
Heranwachsender mit starker Akne vor den Toren Hamburgs anfühlte“, wie es | |
vorab die ZDF-Pressemitteilung raunte? | |
## Irritierend viele Promis | |
Harburg ist offenbar nicht nur ein dermatologischer Fokus. Ob Bettina | |
Tietjen, Gunter Gabriel, Dagmar Berghoff, Maskoe, Heidrun von Goessel: Es | |
gibt irritierend viele A- bis C-Promis in oder aus dem Elbort. Dass die | |
meisten von ihnen per Karriere womöglich bloß weg von dort wollten, ist | |
noch lange keine Erklärung dafür, warum andere sie dann unbedingt | |
„heimwärts“ begleiten müssen. | |
Ebenso wenig dafür, dass so unterschiedliche Politiker wie der Dresdener | |
Herbert Wehner und der in Berlin-Grunewald aufgewachsene Klaus von Dohnanyi | |
sich vor Wahlen ausgerechnet als „Harburger“. Was also trieb die Pickligen | |
und die Peinlichen solcherart in die Medien, als Harburger oder | |
Hilfsharburger? | |
Da sitzt dann also ein „Entertainer“ (ZDF über Strunk) starr in | |
Todtglüsingen an der Straße, gerade so wie ein Dementer, dem sein | |
betreuendes Heim eine Haltestellen-Attrappe hingestellt hat. Damit er nicht | |
abhauen kann und zugleich die Hoffnung hat, nicht bleiben zu müssen. Ist | |
sowas unterhaltsam? Heinz Strunk hat sich jedenfalls in der Reportage nicht | |
offenbart. Aber in seiner genannten Pickel-Ilias hat er sich gerade nicht | |
„selbst erfunden“. Er ist in komische Figuren wie Jürgen Dose oder eben | |
„den Heinzer“ geschlüpft, die nicht sind, wie er ist – sondern so, wie er | |
nie sein wollte. | |
## What can a poor boy do? | |
Seit der Schulzeit in den 1970er-Jahren wollte das Musiklehrerkind Mathias | |
Halfpape vor allem musizieren. Aber eben nie in einer Dorftanz-Kapelle. Ein | |
armer Junge solle in einer Rock’n’Roll-Band spielen, war Mick Jagger damals | |
von Platte auf jeder Party zu vernehmen. Oder auf der Straße kämpfen, um | |
aus dem Elend rauszukommen. Mathias Halfpape war kein „Street fighting | |
Man“, Proleten verabscheute der Mittelstandsjunge. Er lernte lieber eifrig | |
Querflöte. und spielte Jazz mit seinem Schulfreund Roland Prakken. Der trat | |
später beispielsweise mit Joe Pass auf. Und schrieb über seine | |
Tourerlebnisse – und den ehemaligen Weggefährten: „Treulose Tomate ist | |
nicht mein Gemüse“, hieß das Buch dieses Harburgers. | |
Halfpapes später Erfolg mit Anfang 40 wurde erst erst dadurch tragisch, | |
dass er trotz aller Abscheu ja „Tanzmucke“ gemacht hatte. Und andere dies | |
angenommene Scheitern erst dann „komödiantisch“ fanden, als Strunk sich | |
über die vermeintlichen Provinz-Jugendsünden selbstmitleidig belustigte. | |
Er hatte also einen unverhofft erfolgreichen Auftritt mit seinem | |
eingestandenen Scheitern hingelegt. Kam der Erfolg bloß aufgrund der | |
verbreiteten Sympathie für Verlierer? Hatte er damit seine „Heimat“ nicht | |
geradezu faustisch verraten – bloß um davon wegzukommen? Um den Preis, dort | |
lebenslang von anderen zurückgeführt zu werden? | |
Ausgerechnet das Showkonzept des tragischen Scheiterns ist heutzutage eines | |
der erfolgreichsten: „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ appelliert | |
seit einigen Jahren scheinbar an das Mitgefühl: Da flehen arme Würstchen im | |
„Dschungel“, weil sie nicht länger Maden fressen wollen: Schaut mir ruhig | |
dabei zu, Namenlose, wie mein Leben schief geht, während Ihr doch immer | |
noch unbedeutend bleiben werdet und mir erst meinen schwindenden Glanz | |
erneuert. | |
Harburg hat es nie nach einem Beatles-Museum verlangt. Tatsächlich hatten | |
die späteren „Fab Four“ ihre erste Single, „My Bonnie“, ausgerechnet 1… | |
im Ortsteil Heimfeld aufgenommen, im Studio unter der | |
Friedrich-Ebert-Halle. Dort, wo heute um die Ecke Peter Heppner ein kleines | |
Studio hat, in dem Nena 2010 ihr Comeback mit „Haus der drei Sonnen“ | |
vorbereitete. Heppners Synthie-Pop-Duo Wolfsheim hatte 2003 große | |
Verkaufserfolge und viel Streit. | |
Was unterschied Jungs aus Liverpool und Harburg? Der Ort wohl kaum, auch | |
nicht die seelische und materielle Armut. Überall ist Liverpool und überall | |
ist Harburg. Daraus wurde noch ein erfolgreiches Show-Konzept: „Deutschland | |
sucht den Superstar“ (DSDS). Im umgebenden Landkreis, wohnt, von eigenen | |
Unfähigkeiten bräsig ablenkend, Macher Dieter Bohlen. Der wäre, gäbe es | |
eine Typologie des erst spät pickelfreien deutschen Entertainments, der | |
Harburger an und für sich. | |
Im Dezember 2013 kam Bettina Tietjen freiwillig zurück nach Harburg. Kein | |
C-Journalist geleitete sie in ihre „Heimat“. Die quasselnde Walküre unter | |
den weiblichen Harburg-Stars kam, weil endlich vergessen werden sollte, | |
dass sich in Harburg einige Anwohner wehrten: gegen den geplanten Bau eines | |
Hospizes am Rand eines Parks, den die Autobahn schnitt – offenbar weniger | |
störend als Sterbende. | |
## Comeback | |
Das Sterbehaus wird nun gebaut, ein positives Zeichen für die Zukunft des | |
Ortes, heißt es in der Lokalpresse. Verziehen sei damit, dass Harburger in | |
vielen Medien lange als Aus-Versehen-Stars galten; entschuldigt wurden | |
damit Heidrun von Goessel und Pamela Grosze, die ewige Göre im | |
Tigerenten-Club der ARD. Jung gewesen zu sein und das Geld gebraucht zu | |
haben, zählt nicht länger. Wofür sollte sich einer rechtfertigen, der sich | |
kameragerecht vor den Garten seiner Oma in Todtglüsing zerren lässt, wenn | |
er – aufgrund seines Starseins – einen eigenen Dachgarten hat? | |
In Harburg bleibt so vieles „unerzählt“. Gras drüber, dass Arno Funke in | |
den Neunzigern unter dem trotteligen nom de guerre „Dagobert“ zum Auftakt | |
einer Bundesbahnerpressung ein Schließfach im örtlichen Fernbahnhof | |
sprengte. Im Jahr 2000 wurde „Bundesbahnchef“ Hartmut Mehdorn immerhin | |
erster „Ehrendoktor“ der Technischen Universität – zum Dank: Er hatte ihr | |
Praktika bei seinem vorherigen Arbeitgeber vermittelt, dem | |
Flugzeughersteller Airbus. Davon sollen jene Studenten profitiert haben, | |
die am 11. September 2001 mit entführten Passagiermaschinen ins World Trade | |
Center flogen. Und Harburg weltweit bekannt machten. | |
Das Leben geht weiter, wenn man nur weit genug von allem weg ist. Im März | |
2002 – der Krieg in Somalia war noch lange nicht vorbei – schlenderte der | |
ehemalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe freitags nach dem | |
Bundestag die Heimfelder Straße von der S-Bahn-Station hoch zu seinem Haus | |
am Eißendorfer Pferdeweg. Nur kurz hielt er missmutig inne vor dem neu | |
eröffneten „Abidjan Afro Shop“ nahe dem Kiosk namens „Kabul-Basar“ inn… | |
War da was? | |
Wigald Boning, ewiger Pennäler aus Wildeshausen bei Bielefeld, posierte | |
Anfang des Jahrtausends auf dem Dach eines Silos im Harburger Hafen, Arm in | |
Arm mit Gunter Gabriel, der in Bünde/Westfalen noch Günter Caspelherr hieß. | |
Seit er auf einem Hausboot nahe den Elbbrücken strandete, gilt er manchen | |
als Harburger Antwort auf Johnny Cash. Nur, was war nochmal die Frage? | |
So wie später Manuel Möglich, war Boning vom ZDF ausgesandt worden, | |
gefühlte Prominente in ihrer „Heimat“ zu portraitieren. Auch darunter | |
schon: Jürgen Drews und Dolly Dollar. So originell sind Reporter, deren | |
Recherchewerkzeug ein Sechserpack Flaschenbier ist, wenn sie in den | |
Dschungel aufbrechen, dem sie nie entkommen werden. | |
## Der Autor ist, selbstverständlich, Harburger. Im Buch „Nirwana der | |
Nichtse. Ortskunde“ sammelte er 2005 erstmals Geschichten von „Helden“ und | |
Maulhelden in Hamburg-Harburg (Nachttischbuch-Verlag, Berlin). Auch in „21 | |
Hamburg 90“ (Nachttischbuch-Verlag 2013) finden sich Geschichten und | |
Reportagen aus Harburg, zuerst erschienen in den 1980ern in „Stern“ und | |
„Vorwärts“, dem „Sonntagsblatt“ oder auch der taz | |
25 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Rainer Jogschies | |
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Dschungelcamp | |
Gunter Gabriel | |
Heinz Strunk | |
Hannover | |
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