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# taz.de -- Neues Album von Heinz Strunk: Über Dackel und geile Fernsehköche
> Der Hamburger Humorist wütet auf „Sie nannten ihn Dreirad“ mit der
> Brechstange durch die Lebenshilfeliteratur. Das ist verlockend.
Bild: Eine gewisse Verstörung ist bei seinen Werken vorprogrammiert: Heinz Str…
Wenn sich Querflötensoli über stumpfe Elektro-Beats legen, wenn von
„Scheißhausaliens“ und „Knochensuppe“ die Rede ist, dann ahnen die
Liebhaber des virtuos-vulgären Dadaismus: Heinz Strunk veröffentlicht ein
neues Album. Ein gewisses Maß an Verstörung ist immer vorprogrammiert bei
Heinz Strunk, dem Hamburger Musiker, Schriftsteller und Mitglied des
großartigen Quatsch-Kollektivs „Studio Braun“.
Dabei lassen sich die Stücke auf seinem neuen Album, „Sie nannten ihn
Dreirad“, ziemlich genau in drei Kategorien aufteilen. Zum einen sind da
die Glanzlichter des verqueren Nonsens, wie der Titel schon andeutet.
Nummern wie „Rien ne va plus“ oder „Geht ja gar nicht“ funktionieren al…
im Aufzählen von Gegensätzen: „Model ohne Zähne“ und „Planer ohne Plä…
werden da genauso „besungen“ wie diejenigen, die auf die Idee kommen, „oh…
Würmer zum Angeln“ zu gehen.
„Hallooo?“, dröhnt der verzerrte Strunk’sche Sprechgesang über
Sirenengejaule, „Geht ja gar nicht!“. Strunks Humor geht indessen ganz
ausgezeichnet auf. Etwa wenn er sich des eklatanten Mangels annimmt, der im
deutschen Liedgut an Songs über den Dackel herrscht.
Auf „Dackelblut“ (natürlich auch als ironische Anspielung auf die
inzwischen aufgelöste gleichnamige Hamburger Punkband zu verstehen)
beschwört er zu sphärischen Klängen im Flüsterton die Geschichte einer
Treibjagd: „Die glühend rote Sonne kocht das Hundeblut / die Stumme Meute
hetzt in den Horizont.“ Eine hingebungsvollere Würdigung des drahthaarigen
Kurzbeiners ist wohl kaum denkbar.
Ein anderer Typus des Strunk-Songs könnte dem Genre der Verachtungslyrik
zugeschlagen werden. Objekt der Geringschätzung sind erbärmliche Gestalten:
zu dick, zu alt, zu erfolglos.
## Nicht mal marinieren
Strunks Abscheu quillt aus jeder Zeile, meist gepaart mit einem Hang zum
Obszönen: Da ist etwa der „kleine, geile Fernsehkoch“, der von
Molekularküche faselt, aber noch nicht mal marinieren kann, dieser
„hartgefickte Kartoffel-Smutje“, dem Strunk bescheinigt: „Selbst dein
Stockbrot hat scheiße geschmeckt damals“.
Natürlich ist das nur witzig, weil es eigentlich traurig ist. Hinter den
angewidert hingeschleuderten Hasstiraden auf die menschlichen
Unzulänglichkeiten versteckt sich ein gehöriges Maß an Empathie. Wenn also
in „Schwarzes Loch“ der adipöse Diätabbrecher als „gestautes Stück Tei…
beschimpft oder der liebesentwöhnte Großvater auf „Opalàmour“ als „gei…
alter Klepper“ bezeichnet wird, ist man im Grunde auf der Seite der
Verhöhnten.
Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der dritten
Liedkategorie im Strunk-Universum: der Selbstoptimierungshymne. In der
kalten, darwinistischen Gesellschaft, in der jeder für das eigene Glück
verantwortlich ist, erweist sich Strunk als elektrifizierender
Motivationsguru: Die Schneller-besser-weiter-Attitüde manifestiert sich
etwa auf „Langsame Esser“ in einer Schmährede gegen die zeitverzögerte
Essensaufnahme. „Träumen beim Essen“, mahnt Strunk, „ist schlimmer als
Gewalt gegen Sachen, denn essen heißt immer noch und in erster Linie:
fertig werden.“
Zu hohlen Synthies und aalglattem Euro-Trash-Frauengesang wird deshalb der
„lachende Sieger“ besungen, das „Geschöpf des Lichts“, der „Tau der
Hoffnung“ – mit anderen Worten: der schnelle Esser. Strunk vertont hier,
was er kürzlich mit der Selbsthilfeliteratur-Parodie „Das Strunk-Prinzip“
bereits in Buchform veröffentlicht hat. Eine Collage der besten Floskeln
gibt es auf dem famosen „Aufnehmen Bewerten Handeln“. Ein euphorischer
Strunk ruft uns über Telefonwarteschleifengedudel kaum leugbare Weisheiten
zu: „Nur wer loslässt, hat beide Hände frei / Coach dich selbst, sonst
coacht dich keiner / Die besseren Töpfe stehen auf den hinteren
Herdplatten.“
Man muss aufpassen, sich von so penetrant vorgetragenen
Ego-Aufputschversuchen nicht tatsächlich anstecken zu lassen. Wobei, wieso
eigentlich nicht? Wenn man es sich recht überlegt, möchte man doch lieber
von Heinz Strunk gecoacht werden als von sich selber.
9 Feb 2015
## AUTOREN
Luise Checchin
## TAGS
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Heinz Strunk
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Heinz Strunk
Techno
Kolonialismus
Dschungelcamp
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