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# taz.de -- Selbstreferentialität der Kunst: Kunst aus Zitaten
> Künstler wie Jochen Plogsties und Heimo Zobernig nutzen die Kopie als
> Ausgang für ihre Arbeiten. Derzeit sind sie in Hannovers
> Kestnergesellschaft zu sehen.
Bild: Kennt man doch: Jochen Plogsties Kopie von Rembrandts Anatomie des Dr.Tul…
BRAUNSCHWEIG taz | Die Nachahmung fremder Werke ist in der Kunst verbreitet
und nicht neu. Im akademischen Studium der Malerei gehörte es zum
Curriculum, sich intensiv mit einem Künstler, dessen Duktus, Farbigkeit
oder Bildkomposition zu befassen. Aber wohl kein Jungkünstler wäre früher
auf die Idee gekommen, seine Werkkopie als originäre Schöpfung auszugeben.
Der Respekt vor dem reproduzierten Meister verbat derartiges Ansinnen.
Spätestens im 20. Jahrhundert änderte sich diese Haltung. Mit der
Konzeptkunst des Readymades wurden selbst so triviale Dinge wie ein Urinal
in den Status der Kunst erhoben. Und das altmeisterliche Original verlor
durch die massenweise Wiedergabe in den modernen Medien seine Aura, nur
einer begrenzten Zahl von Kennern vertraut zu sein.
## Vorsätzliche Annexion
Die Appropriation Art in den 1970er-Jahren deklarierte dann ein neues
Selbstbewusstsein: Mit strategischem Vorsatz wurden Werke anderer Künstler
annektiert, wobei der Akt des Kopierens oder Zitierens selbst und sein
Resultat als Kunst verstanden werden wollten. Konsequenterweise flossen
auch ästhetisches Gebrauchsmaterialien wie Fotos, Postkarten, Werbung in
derartige Umwidmungsprozesse ein. Größe, Technik, Farbe oder Medium der
Originale wurden mitunter radikal geändert.
Das programmatische Aufbegehren, durch den Akt des Kopierens die
Selbstreferentialität des Systems Kunst aufzudecken und seine Grenzen
kritisch zu verhandeln, erscheint angesichts der Marktorientierung
aktueller Kunst geradezu rührend. Gleichwohl wird die Spielart des
kalkulierten Kopierens unter jüngeren Künstlern gepflegt, wie Jochen
Plogsties derzeit im Erdgeschoss der Kestnergesellschaft Hannover
eindrucksvoll demonstriert.
Plogsties, 1974 in Cochem geboren, lebt und arbeitet in Leipzig, wo er bei
Neo Rauch studiert hat. Er ist Maler und nimmt sich in offensichtlich
gewaltiger Produktivität unserer Bildwelten an. Rund 40 meist großformatige
Arbeiten der Ausstellung greifen historische Porträtmalereien auf, aber
auch den fantastischen Surrealismus eines Hieronymus Bosch oder
Fotoarbeiten – etwa die von Cindy Sherman nachgestellten Filmstills – und
überführen sie in lässig-expressive Malerei. Spätestens bei Sherman wird
der Prozess einer doppelten Kopie offensichtlich: Sie nahm ja bereits
Stereotype der Filmgeschichte als Vorlage für ihre Reinszenierungen, erfand
also keine neue Bildrealität. Unter Plogsties ist ihre kleinformatige
Schwarz-Weiß-Fotografie nun auf gut zweieinhalb Quadratmeter gedämpft
farbige Malerei angeschwollen.
Auch bei seinen anderen Vorlagen orientiert sich Plogsties nicht am
Original. Immer sind es Reproduktionen, in Büchern, auf Postkarten oder aus
dem Internet. Neben der Verfremdung des ursprünglichen Motivs durch die
beständig gleiche Malweise werden munter die Größe und, durch die
Kombination der Werke miteinander, der Kontext manipuliert: das kleine
Rasenstück von Albrecht Dürer etwa erreicht opulente vier Quadratmeter
Größe und hängt nun neben einer minimal verkleinerten Magritte’schen
Pfeife. Die wiederum wird von einer vier Quadratmeter großen Kopie des
Plattencovers von Abbey Road der Beatles flankiert. So entsteht in dichter
Hängung ein imaginäres Museum mit hohem Wiederkennungs und vor allem:
Unterhaltungswert. Aber auch ein hoffentlich ironischer Kommentar zur
Verfügbarkeit und wahllosen Kombination unseres Kulturguts im derzeitigen
Bildgebrauch.
## Verfremdetes Mobiliar
Mit der Erwartung des Zitates ist man auch im Obergeschoss der
Kestnergesellschaft bei Heimo Zobernig gut gerüstet. Nur ist es in dessen
Arbeiten weniger offensichtlich. Zobernig, 1958 im oberösterreichischen
Mauthen geboren, lehrt Bildhauerei an der Akademie für bildende Künste in
Wien und liebt die reduzierte Form. In exaktem Raster sind 20 Objekte
unterschiedlichen Baualters und immer ohne Titel zur Gesamtinstallation
zusammengestellt. Sie haben unverkennbar ihren Ursprung im angewandten
Bereich, können als Belegstellen bürgerlichen Mobiliars gelesen werden.
Eine lange Bank, verschiedene Regale, Kredenzen, Tische, ein Paravent
stehen nebeneinander, neue Skulpturen aus Papprollen durchbrechen eher
zaghaft das strenge Setting. In seinen Objekten greift auch Zobernig zum
probaten Mittel der Verfremdung: seine möbelhaften Werkstücke sind aus
billiger Spanplatte oder Sperrholz ohne handwerkliche Finesse
zusammengeschraubt, häufig nur in Teilbereichen farbig gefasst oder in der
Oberfläche veredelt, werden manchmal durch Verspiegelungen in einer
suggerierten Nutzbarkeit eingeschränkt. Diese nüchternen Werke verströmen
keinen sinnlichen Reiz, wollen nicht mit Geheimnissen überraschen. Sie
setzen auf den Konsens anerkannter Meisterschaft – aber wo ist die tiefere
Idee?
Im zweiten Saal wartet neuere Malerei Zobernigs. Hier greift er auf drei
Grundmuster der klassischen Abstraktion zurück: die Monochromie, das
rationale Raster und die gestische Malweise. In der Kombination entstehen
daraus vielschichtige Tableaus. Rasterlinien etwa werden durch amorphe
Farbakzente fast bis an die Grenze ihrer Erkennbarkeit gestört. Eine
Monochromie ist als Farbstimmung, nicht als einheitlicher Farbauftrag
angelegt, und sei’s in gülden-braun. Allerdings irrt, wer in den Bildern
noch Reste künstlerischer Spontaneität vermutet: Sie sind Resultate
penibler Planung bis ins kleinste Detail, das Gestische ist nur mehr Zitat.
## Jochen Plogsties „Küsse am Nachmittag“ sowie Heimo Zobernig: bis 15.
Februar, Kestnergesellschaft Hannover
16 Dec 2014
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Ausstellung
Hannover
Malerei
Malerei
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