Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Arbeit im Einzelhandel: Bei Schlecker wurde gut verdient
> Die Beschäftigten der Drogeriekette Schlecker waren noch privilegiert. Im
> Einzelhandel sollen die Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtert
> werden.
Bild: Eine „Schlecker-Frau“ bei ihrer letzten Diensthandlung.
„Modernisieren“, alten Plunder ausmisten, lautet derzeit das Credo von
Arbeitgebern des Einzelhandels. In der aktuellen Tarifrunde haben sie die
Manteltarifverträge im Auge, in denen Urlaubsansprüche, Arbeitszeiten,
Eingruppierungen und Zuschläge für Nacht- und Spätarbeit festgeschrieben
sind. Aber auch veraltete Berufsbezeichnungen wie Kaltmamsell finden sich
darin – mal kräftig entrümpeln klingt da nicht abwegig.
Entrümpelt wurden vor über einem Jahr auch 27.000 „Schlecker-Frauen“, als
Familienpatriarch Anton Schlecker das Geschäftsmodell vor die Wand gefahren
hatte. Mit den engen Schlecker-Filialen ließ sich gegen die Konkurrenz kein
Stich mehr machen. Nicht nur die 27.000 Schlecker-Beschäftigten, 90 Prozent
davon Frauen, wurden dabei entsorgt und auf den Arbeitsmarkt gespült. Auch
ihre angebliche „Anspruchshaltung“ gilt als von vorgestern,
„Konzessionsbereitschaft“ (beides O-Töne von Jobcenter-Mitarbeitern) ist
bei der Stellensuche gefragt. Damit wird die Geschichte der
„Schlecker-Frauen“ zur Parabel für die jetzige Tarifrunde.
Mit welcher Realität sich die Schlecker-Beschäftigten konfrontiert sahen,
wissen wir dank einer aktuellen Studie des IAB, des Forschungsinstituts der
Bundesagentur für Arbeit, der auch die beiden obigen O-Töne entnommen sind.
Das IAB wollte von Fach- und Führungskräften ausgesuchter Jobcenter im
August 2012, als noch 15.600 „Schlecker-Frauen“ eine Stelle suchten,
wissen, wie die Vermittler die Frauen betreuten.
Vielen Vermittlern müssen die „Damen“ (O-Ton) wie Beschäftigte aus einer
antiquierten Zeit vorgekommen sein. Veraltet waren die Kassen- und
EDV-Systeme bei Schlecker, deutlich älter als sonst im Einzelhandel auch
die Beschäftigten – etliche von ihnen über 50. Vergleichsweise viele Frauen
hatten keine abgeschlossene Berufsausbildung. Trotzdem bekamen sie, nachdem
Schlecker endlich nach Tarif bezahlte, zwischen 12 und 15 Euro in der
Stunde. Das ist kein Vermögen, aber mehr, als manch andere Kraft im
Einzelhandel verdient. Ungelernte „Schlecker-Frauen“ stiegen dabei nach
einigen Jahren in die Lohngruppe der formal Qualifizierten auf.
Mit dieser Aufstiegsperspektive soll jetzt Schluss sein, fordert der
Handelsverband Deutschland (HDE) in einigen Bundesländern. Einmal
ungelernt, immer ungelernt, einmal Niedriglöhne, immer Niedriglöhne um die
zehn/elf Euro, so die neue Struktur, die festgezurrt werden soll. Auch die
Spät- oder Nachtzuschläge stellt der HDE infrage – obwohl diese Zuschläge
der Preis waren, die der Verband zahlen musste, um Arbeitszeiten wie in
kaum einer anderen Branche flexibilisieren zu können. Öffnungszeiten bis 22
Uhr oder später, auch an Samstagen, sind heute normal. Ein Heer von gut in
den Dienstplänen verschiebbaren Teilzeitkräften und 400-Euro-JobberInnen
steht bereit, die Kunden zu bedienen.
## Schockstarr und realitätsfern
Doch der HDE ruft nicht nur nach mehr Flexibilität. Auch Kassiererinnen und
Beschäftigte, die Waren verräumen, sind in seinen Augen mit elf oder 12
Euro überbezahlt und sollten „abgruppiert“ werden. Im Alltag verräumen
Einzelhandelskräfte Waren, beraten KundInnen und springen an der Kasse ein.
Für die Einstufung in eine Lohngruppe ist ausschlaggebend, was sie die
meiste Zeit tun. Das bedeutet auch: Wer künftig als Billigkassiererin
eingestellt wird, darf auch andere Tätigkeiten zum Billiglohn verrichten.
Doch warum soll das körperlich anstrengende Verräumen von Ware oder der
Stress an der Kasse mies bezahlt werden? Braucht es nicht finanzielle
Anerkennung für diese alltägliche Zumutung? An Geld mangelt es nicht:
Umsätze und Gewinne des Einzelhandels wachsen. Der erbitterte
Konkurrenzkampf, den sich vor allem im Lebensmittelhandel einige wenige
Monopolanbieter liefern, wird zu einem großen Teil auf dem Rücken der
Beschäftigten ausgetragen.
Wie niedrig der aktuelle Marktlohn ist, wurde auch den „Schlecker-Frauen“
unmissverständlich klargemacht. Sie sollen „verstehen, dass man sich selbst
um Acht-Euro-Stellen mit anderen prügeln muss“, so ein
Jobcentermitarbeiter. In „Schockstarre“ und realitätsfern seien die Frauen
nach ihrer Entlassung – vielfach noch nicht fähig, „voll offensiv auf den
Markt zu gehen“. Mancher Mitarbeiter versuchte durchaus, die Arbeitslosen
emotional zu stabilisieren. Doch letztlich bleibt den
Jobcenterbeschäftigten nichts anderes, als Gesetzesvorgaben zu exekutieren.
Und die heißen: die Frauen in den Arbeitsmarkt bringen, koste es
Lohneinbußen, was es wolle.
## Von Niedriglöhnen überzeugen
So füttern die von der Politik gestalteten Gesetze den Niedriglohnsektor.
Zwar sind die Frauen mit Arbeitslosengeld I erst einmal davon verschont,
Stellen weit unter ihrem alten Lohnniveau anzunehmen. Trotzdem setzte bald
die „Überzeugungsarbeit“ (O-Ton IAB-Studie) der Vermittler ein. Mittels
höherer „Kontaktdichte“ (O-Ton IAB-Studie) wird Druck gemacht. So mancher
Vermittler bedauert, dass man „die Damen in der Regel nicht mit
Rechtsfolgen auf eine Stelle vorschlagen kann“. Doch so tapfer sich die
„Schlecker-Frauen“ weigern, ihre Arbeitskraft für jeden Billiglohn zu
Markte zu tragen – im Hartz-IV-Bezug können sie Kürzungen ihres
Arbeitslosengelds nichts mehr entgegensetzen.
Für die „Schlecker-Frauen“ war die Konfrontation mit der Realität
ernüchternd. Und es könnte noch schlimmer kommen. In der aktuellen
Tarifrunde stehen Arbeitsverhältnisse infrage, die vielen Frauen ein
halbwegs auskömmliches Einkommen garantierten – Stellen, auf denen auch
Frauen ohne abgeschlossene Berufsausbildung einen wichtigen Teil zum
Familienunterhalt beitragen konnten.
Wer also künftig über die große Lohnlücke klagt, die in Deutschland
zwischen den Geschlechtern klafft, sollte sich klarmachen, dass der HDE
gerade kräftig daran arbeitet, diese Lücke noch weiter aufzureißen. Bisher
ist das der Öffentlichkeit noch nicht richtig bewusst. Unsere Empörung ist
den Beschäftigten nur sicher, wenn uns der nächste Lidl-, Aldi- oder
Rewe-Skandal durch die Medien in mundgerechten Häppchen aufbereitet wird.
Dabei reichen die Folgen zusammengestutzter Manteltarifverträge deutlich
weiter.
17 Jun 2013
## AUTOREN
Eva Völpel
## TAGS
Tarifvertrag
Drogeriemarkt
Einzelhandel
Schlecker
Ladenschlussgesetz
Staatsanwalt
Schlecker
Einzelhandel
Verdi
Insolvenz
Leiharbeit
Bio-Lebensmittel
Schlecker
## ARTIKEL ZUM THEMA
Früherer Ladenschluss gefordert: Jobs, aber kein Auskommen
Im Einzelhandel gibt es nur noch wenige existenzsichernde Stellen. Der DGB
fordert deshalb eine Begrenzung der Ladenschlusszeiten.
Wegen vorsätzlichen Bankrotts: Anklage gegen Anton Schlecker
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat Anklage gegen den
Ex-Drogeriemarktkönig erhoben. Details sollen im Laufe des Donnerstags
folgen.
Filme über Schlecker-Pleite: Zum Lachen und Heulen
Anfang 2012 meldete die Drogeriekette Insolvenz an, jetzt folgt die
zweifache Verfilmung: Sat.1 versucht es mit Humor, das ZDF mit Drama.
Konflikt im Einzelhandel: Arbeitgeber bannen Streikgefahr
Prekärer wird es erstmal nicht: Die Gewerkschaft Ver.di und der
Handelsverband Deutschland einigen sich in weiteren Bundesländern auf neue
Tarifverträge.
Verdi wächst wieder: Sich gemeinsam wehren
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zählt zum ersten Mal seit ihrer
Gründung mehr Eintritte als Austritte. Auch, weil Tarifkonflikte
eskalieren.
Unternehmens-Aus in Österreich: Schlecker wieder vor der Pleite
Ein Streit über die Sonntagsöffnung und eine mysteriöse Millionenzahlung:
Nun droht auch der österreichischen Nachfolgekette Dayli die Insolvenz.
Leiharbeit in Schlachthöfen: Schwarze Schafe unter Schweinen
In deutschen Schlachthöfen sollen massenhaft Leiharbeiter schwarz
beschäftigt worden sein. Von „chinesischen Verhältnissen“ und
„Schlacht-Tourismus“ ist die Rede.
Öko-Discounter im Schlecker-Modus: „denn's ist ein Ausbeuterladen“
Die mächtigste deutsche Öko-Supermarktkette denn's expandiert rasant – auch
auf Kosten von Mitarbeitern. Die klagen über Arbeitszeiten und
Dumpinglöhne.
Konkurrenz der Drogerieketten: Gewitter über Budni-Land
Die Drogeriekette Budnikowsky gerät unter Druck. Die Gewerkschaft Ver.di
verlangt Tarifverträge und will Betriebsräte durchsetzen und das „Hamburger
Abendblatt“ schießt gegen eine fünf Jahre alte abgeschaffte Kleiderordnung
Drogeriemärkte in Hamburg: Konkurrenz aus Karlsruhe
Budnikowsky und dm buhlen um dieselbe Kundschaft. Gerade hat die zehnte
dm-Filiale in Hamburg eröffnet, in Steinwurfnähe zum „Budni“-Flaggschiff.
Doch die Konkurrenten sind zugleich verpartnert.
Kommentar 1 Jahr nach Schleckerpleite: Dilettantismus mit Vorsatz
Der Fall Schlecker zeigt, die FDP lässt Menschen mit wirtschaftlichen
Fehlentscheidungen allein. Die Regierung hat Beruf, Branche und
Frauenarbeit abgewertet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.