| # taz.de -- Kriminalgericht Berlin: Leid, bar jeder Vorstellungskraft | |
| > Eine 19-jährige Schwangere wird bei lebendigem Leib verbrannt. Am Freitag | |
| > fällt das Urteil im Mordprozess gegen den Kindsvater und dessen | |
| > Schulfreund. | |
| Bild: Kreuze im Wald an der Stelle, wo die Leiche der Schwangeren von Spazierg�… | |
| Was könnte zwei 19-Jährige dazu gebracht haben, eine gleichaltrige junge | |
| Frau zu töten, die dazu noch im achten Monat schwanger war? Und das auf so | |
| grausame Weise, das selbst hartgesottenen Kriminalisten der Atem stockt? | |
| Seit Monaten sucht die 13. Jugendstrafkammer des Landgerichts nach einer | |
| Antwort. Es ist ein Indizienprozess, denn die beiden jungen Männer auf der | |
| Anklagebank – die Gesichter wirken kindlich – schweigen. Der eine ist Eren | |
| T., der Vater des ungeborenen Kindes. Der andere Daniel M. Seit der | |
| Schulzeit kennen sie sich, aber jetzt, im Gerichtssaal ist jedes Band | |
| zwischen ihnen zerschnitten. Eren T. kämpft auf Kosten von Daniel M. um | |
| einen Freispruch. Am heutigen Freitag wird das Urteil verkündet. | |
| Maria P. wollte Köchin werden. Fotos, die Boulevardmedien nach dem Tod von | |
| der Facebookseite der 19-Jährigen veröffentlicht haben, zeigen eine junge | |
| Frau mit langen dunklen Haaren, die sich für die Kamera in Pose setzt. | |
| Maria P. wollte das Kind, mit dem sie schwanger war. Sie war gewillt, es | |
| auch allein aufzuziehen. Eren T. war dagegen. Gewaltfantasien, wie „aus dem | |
| Bauch rausboxen“, soll er in Freundeskreisen geäußert haben. Das alles | |
| haben Zeugen in diesem Prozess ausgesagt. | |
| Der Staatsanwalt hat am vergangenen Montag für beide Angeklagte die höchste | |
| Strafe beantragt, die das Jugendstrafrecht zulässt: 15 Jahre Haft wegen | |
| Mordes und Schwangerschaftsabbruchs wegen besonderer Schwere der Schuld. | |
| Für den Anklagevertreter steht fest: Eren T. war der „Kopf und Initiator“ | |
| des Gewaltverbrechens, Daniel M. „der Vollstrecker“. Die Tatvorbereitung | |
| sei außerordentlich perfide gewesen, so der Staatsanwalt. Nachdem die | |
| Beziehung zwischen Eren T. und Maria P. eigentlich beendet war, habe Eren | |
| T. der jungen Frau wieder Hoffnung gemacht. Auslöser könne ein Schreiben | |
| des Jugendamts gewesen sein, in dem Eren T. aufgefordert wurde, die | |
| Vaterschaft anzuerkennen. Eren T. habe Süßholz geraspelt, habe vor ihrem | |
| Tod sogar eine Nacht mit Maria P. verbracht – „unbarmherzig und eiskalt, in | |
| der Absicht, sie einen Tag später umzubringen“, so der Staatsanwalt. Unter | |
| einem Vorwand seien die Angeklagten mit der jungen Frau dann am 22. Januar | |
| 2015 gegen 22.30 Uhr zur Köllnischen Heide in Adlershof gefahren. | |
| Für das, was in der Dunkelheit in dem einsamen Waldstück geschah, gibt es | |
| keine Zeugen. Die Spurenauswertung hat ergeben, dass Maria mit einem | |
| Teleskopschlagstock attackiert wurde, mit einem Brotmesser einen Stich in | |
| den Bauch bekam, mit Benzin übergossen und angezündet wurde. Tod durch | |
| Verbrennen diagnostizierte der Gerichtsmediziner, der die verkohlte Leiche | |
| und den toten Fötus obduziert hat. Zu Beginn des Brandes habe Maria P. noch | |
| gelebt, sagt der Staatsanwalt. Die junge Frau müsse grausame Schmerzen und | |
| Todesangst um sich und ihr Kind gehabt haben. „Sich dieses Leid | |
| vorzustellen, sprengt jegliche Vorstellungskraft“, sagt der Staatsanwalt. | |
| Beim Schlussvortrag des Anklagevertreters stehen Daniel M. – ein bulliger | |
| Typ mit kurzen roten Haaren und Tattoo am Hals – Schweißperlen auf der | |
| Stirn. Eren T.– zartgliedrig, schwarze Locken, große dunkle Augen – wirkt | |
| dagegen gänzlich unberührt. Ruhig und ohne Emotionen verfolgt er den | |
| Prozess. | |
| Nicht nur was ihr Äußeres angeht, liegen zwischen den Angeklagten Welten. | |
| Daniel M. kommt aus schwierigen sozialen Verhältnissen, der psychiatrische | |
| Gutachter spricht von einer Broken-Home-Situation. Vater und Mutter hätten | |
| einen Hang zur Aggression gehabt. Wegen seiner Körperfülle und den roten | |
| Haaren sei Daniel in der Schule gemobbt worden. Jobs habe er stets nach | |
| einer Weile abgebrochen. Mit 16 Jahren sei Daniel M. zum ersten Mal Vater | |
| geworden, inzwischen habe er zwei Kinder. Schon als Jugendlicher sei er mit | |
| Diebstahls- und Körperverletzungsdelikten aufgefallen. Ihm sei oft | |
| langweilig, die Straftaten hätten bei ihm einen Adrenalinkick bewirkt, sagt | |
| der Gutachter. | |
| Eren T. dagegen kommt aus gut behüteten Verhältnissen. Er ist das fünfte | |
| Kind von türkischen Migranten und der einzige Sohn. Sein Vater, ein | |
| Arbeiter, hat es in Rudow zu einem kleinen Eigenheim gebracht. Er sei | |
| verwöhnt worden, stets der Kronprinz gewesen, erzählt die psychiatrische | |
| Gutachterin. Das habe ihr Eren T. selbst so erzählt. „In der Schule gehörte | |
| er zu den Braven. Er hat höchstens mal ein Papierkügelchen geworfen.“ Eren | |
| T. fehle das typische aggressive Muster, das man sonst bei Gewalttätern | |
| findet, sagt die Gutachterin. „Das Auffälligste an ihm ist das | |
| Unauffällige“. | |
| Angenommen, Eren T. sei an dem Mord an Maria P. beteiligt gewesen – dann | |
| sei das nicht aus der Dynamik der Beziehung zu erklären, sagt die | |
| Gutachterin weiter. Der Grund sei die ungewollte Schwangerschaft gewesen. | |
| Auf interkulturelle Schwierigkeiten sei das nicht zurückzuführen, sondern | |
| auf seine Erziehung. „Als Kronprinz war er es gewohnt, dass seine Wünsche | |
| erfüllt wurden.“ Sein Ansinnen, das Kind abzutreiben, habe Maria P. aber | |
| strikt abgelehnt. Dennoch: Die inneren Hürden, einen Menschen zu töten, | |
| seien sehr hoch. Um dazu fähig zu sein, bedürfe es einer | |
| Selbstkorrumpierung, sagt die Gutachterin. Man sammele | |
| Rechtfertigungsgründe, wie „Die hat es nicht besser verdient“. | |
| Bei der Polizei hat Eren T. vor seiner Festnahme ausgesagt, Daniel M. sei | |
| allein mit Maria P. im Wald gewesen. Zu den Indizien des Staatsanwalts | |
| gehören Videobilder von einer Tankstelle: Eren T. hatte dort am Tag der Tat | |
| um 20.35 Uhr einen Vier-Liter-Kanister mit Benzin befüllt. | |
| Daniel M.s Anwalt ist schon nach zehn Minuten mit seinem Plädoyer auf | |
| Freispruch fertig. Auch da zeigt sich der Unterschied: Eren T. hat zwei | |
| Verteidiger. In einem dreistündigen Vortrag nehmen sie die Beweisführung | |
| des Staatsanwalts auseinander. Der Tenor: Vermutungen seien keine Beweise. | |
| 18 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
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