# taz.de -- Kommentar Rot-Rot-Grün in Thüringen: Das Ende der linken Selbstfe… | |
> Rot-Rot-Grün in Thüringen wäre kein wildes Experiment. Die | |
> SPD-Entscheidung ist ein Sieg der Gegenwart über die lähmende | |
> Vergangenheit. | |
Bild: Thüringens SPD-Führung hat sich für Rot-Rot-Grün ausgesprochen: der d… | |
Es gibt, sollte Bodo Ramelow wirklich Ministerpräsident in Thüringen | |
werden, zwei mögliche Deutungen – eine kleine, detaillierte und eine | |
großformatige. Die Kleinteilige geht so: | |
Faktisch sind die Unterschiede zwischen CDU, SPD und Linkspartei in | |
Thüringen denkbar gering geworden. Ob bei der Energiewende oder dem Kampf | |
gegen Nazis, in der Schulpolitik oder bei den Finanzen – fundamentale | |
Differenzen sind, anders als noch vor zehn Jahren, nicht mehr erkennbar. | |
Die CDU ist unter Christine Lieberknecht liberaler, offener, auch wirrer | |
geworden und jedenfalls nicht mehr der autokratische Verein, der sie unter | |
Bernhard Vogel und Dieter Althaus war. | |
Auf der anderen Seite ist die Linkspartei bis in ihre Mikrofasern hinein | |
sozialdemokratisch eingefärbt. Hinzu kommt die Schuldenbremse, die die | |
Spielräume für ganz Neues in der Landespolitik ohnehin radikal einschränkt. | |
Aber nicht die Schuldenbremse hat Ramelow und die Linkspartei zu Realos | |
geformt. Es war nicht äußerer Zwang, sondern innere Überzeugung. | |
Rot-Rot-Grün wird also kein wildes Experiment. Ramelow ist kein | |
verkleideter Sozialromantiker, sondern ein pragmatischer Profi, für den | |
nicht das Grundsatzprogramm der Linkspartei zählt, sondern die Prinzipien | |
von good governance. Gewiss werden nun ein paar schreckliche | |
Prophezeihungen ausgestoßen und der Marsch der Linkspartei an die Macht in | |
dunklen Farben gemalt. Hat Wolf Biermann eigentlich schon seine warnende | |
Stimme erhoben? | |
Doch schon ein paar Wochen nach der Wahl von Ramelow zum | |
Ministerpräsidenten werden auch die Aufgeregten merken, dass die Busse in | |
Erfurt noch immer fahren. Und in Berlin wird das Interesse für Thüringen | |
wieder auf den Stand vor Rot-Rot-Grün sinken: nämlich auf null. | |
## Vom GroKo-Zwang befreit | |
Die zweite Deutung klingt so: Rot-Rot-Grün, bisher in Hessen und im | |
Saarland stets tragisch gescheitert, kann eine Tiefenwirkung entfalten, die | |
die bundesrepublikanische Koalitionsdramaturgie verändern wird. Denn die | |
SPD hat in Erfurt eine historische Entscheidung getroffen. Sie gibt die | |
törichte Doktrin auf, stets die führende linke Volkspartei zu sein. | |
Damit öffnet sie endlich die Tür für ein langfristiges Mitte-links-Bündnis | |
und befreit sich von dem Zwang zur Großen Koalition. Die Entscheidung der | |
SPD in Erfurt ist, 25 Jahre nach dem Mauerfall, somit der Sieg der | |
Gegenwart über die lähmende Geschichte, der Beginn des Endes der | |
Selbstfesselung der politischen Linken in Deutschland. | |
Falls Rot-Rot-Grün in Erfurt sogar mit nur einer Stimme Mehrheit stabil | |
regieren kann, wird dies viele der noch immer tiefsitzenden Vorurteile | |
gegenüber der Linkspartei zerstäuben. Damit öffnen sich automatisch neue | |
Spielräume, die jetzt noch verbarrikadiert scheinen. | |
## Begrenzte Strahlkraft | |
Was ist wahr? Der nüchterne Blick aus der Provinz oder der | |
hoffnungsschwangere aus Berlin? Wahrscheinlich der erste. Wir leben in | |
einer Ära des Postpolitischen, in dem das meiste pragmatisch | |
heruntergedimmt ist. Wer sich kurz vor Augen führt, was die Linkspartei in | |
Berlin und Brandenburg in rot-roten Koalitionen bewirkt hat, weiß, wie | |
begrenzt die bundespolitische Strahlkraft solcher Regierungsbeteiligungen | |
ist. | |
Die SPD hat sich in Erfurt auch weniger für Ramelow entschieden als gegen | |
die Rolle, sich zum dritten Mal als Mehrheitsbeschaffer der CDU zu | |
verdingen. Sehenden Auges ins politische Nichts zu marschieren, wäre ein | |
Indiz für masochistische Lernunfähigkeit gewesen. | |
Es gibt für Rot-Rot-Grün also vernünftige, pragmatische Gründe. Diese | |
Koalition ist ein Versuch wert. Nicht so sehr, weil Thüringen nun von einem | |
Feuerwerk von Ideen erleuchtet werden wird und ein mitreißender Aufbruch | |
ins Neue bevorsteht. Sondern weil die CDU nach 25 Jahren an der Regierung | |
schlicht verbraucht ist. Vor allem Dieter Althaus' Plan, das Land als | |
Niedriglohngebiet zu verramschen, war fatal. Die CDU trägt die politische | |
Verantwortung für das Agieren des Verfassungsschutzes in dem NSU-Skandal | |
und damit für eine Verstrickung von staatlichen Organen und Terrorismus, | |
die aus der Fantasie von Anhängern von Verschwörungsthesen stammen könnte. | |
Dass Rot-Rot-Grün nun die V-Leute im Naziumfeld abschalten will, ist | |
richtig und überfällig. Vor dem Abgrund des NSU-Skandals erscheinen die | |
mannigfachen Affären und Personalquerelen der Regierung Lieberknecht fast | |
als Marginalien. Sie sind noch ein weiteres Signal, dass 25 Jahre genug | |
sind. Für die Demokratie ist es schlicht schädlich, wenn eine ausgelaugte, | |
machtsatte Partei ein Abonnement auf die Regierung hat – nur weil die | |
Opposition sich selbst hemmt. | |
## Und wenn Rot-Rot-Grün scheitert? | |
Die Grünen werden in drei Tagen Ja zu Rot-Rot-Grün sagen. Es gibt wenig | |
Zweifel, dass auch die SPD-Basis Rot-Rot-Grün durchwinken wird. Das | |
Entscheidende passiert, wenn im Landtag in Erfurt die Wahl von Bodo Ramelow | |
ansteht. Für das demokratische Prozedere wäre es gut zu wissen, was | |
geschieht, wenn die rot-rot-grüne Regierungsbildung scheitert. Halten es | |
sich die Grünen und die SPD in diesem Fall offen, den Staatsnotstand | |
auszurufen und doch Mehrheitsbeschaffer für eine von der CDU geführte | |
Regierung zu werden? | |
Diese Frage ist keine Nebensächlichkeit. Falls dies möglich ist, dürfte es | |
für zögernde Abgeordnete weit verlockender sein, Ramelow nicht zu wählen. | |
Sie riskieren dann ja ihr Mandat nicht. Und falls sie den Grünen und der | |
SPD angehören, katapultieren sie ihre Fraktionen auch nicht auf die | |
Oppositionsbänke. | |
Dieses Verfahren ist formal legitim – aber es ist nicht fair. Die | |
Entscheidung für Rot-Rot-Grün ist in einem transparenten Prozess gefallen. | |
Sie würde dann in einer geheimem Abstimmung gekippt, mit dem Kalkül, so | |
einer anderen Koalition an die Macht zu verhelfen. SPD, CDU und Grüne aber | |
haben noch nicht mal miteinander sondiert – die Grünen wollten nicht. | |
Vor allem auf die Grünen würde im Falle einer CDU-SPD-Grünen-Koalition der | |
Verdacht fallen, von Beginn an ein doppelbödiges Spiel getrieben zu haben: | |
nämlich stets entschlossen die Abwahl der CDU gefordert zu haben, und im | |
Hinterkopf den Plan B gehabt zu haben. Deshalb ist es redlich, die | |
Alternative klar zu benennen: Falls Rot-Rot-Grün misslingt, gibt es | |
Neuwahlen. | |
Mal sehen, ob sich die Grünen dazu durchringen. | |
21 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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