# taz.de -- Ein Jahr Ebola: Noch lange nicht vorbei | |
> Die internationale Alarmstimmung ist abgeklungen. Die Seuche aber nicht. | |
> In Sierra Leone herrscht immer noch Ausnahmezustand. | |
Bild: Erholungspause für einheimische Helfer in Sierra Leone. Sie müssen län… | |
Vor einem Jahr, am 28. Dezember 2013, starb in dem Urwalddorf Meliandou in | |
Guinea der zweijährige Émile Ouamouno an schwarzem Durchfall und hohem | |
Fieber. Als dies Monate später als der erste Ebola-Todesfall Westafrikas | |
bestätigt wurde, hatte er bereits eine grenzüberschreitende Epidemie in | |
Gang gesetzt. Es dauerte bis zum Sommer, dass die Weltöffentlichkeit davon | |
Notiz nahm. Die große Aufregung im September und Oktober, als über die zu | |
geringe deutsche Hilfe gestritten wurde und sich Tausende Freiwillige zum | |
Hilfseinsatz in Westafrika meldeten, hat sich aber längst wieder gelegt. Es | |
ist still geworden um Ebola. | |
Ein Grund dafür ist, dass die apokalyptischen Prognosen, die vor einem | |
Vierteljahr über die Ausbreitung der Seuche in Liberia, Guinea und Sierra | |
Leone die Runde machten, sich nicht bestätigt haben. Der neueste | |
Wochenbericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO), veröffentlicht an | |
Heiligabend, zählt bislang 19.497 Ebola-Erkrankungen, von denen 7.588 | |
tödlich verliefen. Selbst wenn nach wie vor eine hohe Dunkelziffer dazu | |
kommen dürfte: Vor einem Vierteljahr warnten Experten noch vor | |
Hunderttausenden Neuerkrankungen bis Jahresende; die WHO-Prognosen von | |
20.000 Fällen bis Februar 2015 galten als lächerlich. | |
Jetzt entspricht die Realität eher den optimistischen Voraussagen. Dazu | |
kommt, dass in Senegal, in Nigeria, in der Demokratischen Republik Kongo | |
und zuletzt auch in Mali nach ersten Ebola-Fällen die Ausbreitung des Virus | |
gestoppt wurde. Der große internationale Einsatz hat dazu geführt, dass das | |
Virus auf sein Kerngebiet zurückgedrängt werden konnte. | |
Dort allerdings ist noch längst nicht Entwarnung angesagt. Immerhin haben | |
sich inzwischen in Liberia, Guinea und Sierra Leone durchschnittlich 74 | |
Menschen pro 100.000 Einwohner angesteckt – damit ist Ebola dort fast so | |
verbreitet wie Brustkrebs in Deutschland. Der WHO-Wochenbericht vom 24. | |
Dezember zählt für alle drei Länder 894 mehr Ebola-Erkrankungen als eine | |
Woche zuvor und 673 mehr Ebola-Tote. Das sind fast 100 pro Tag. | |
Und es scheint, als stiegen die Kurven seit einiger Zeit wieder deutlich | |
steiler an – besonders in Sierra Leone. Während Liberia in der Woche vom | |
17. bis 24. Dezember laut WHO nur 96 neue Ebola-Todesfälle verzeichnete und | |
Guinea 82, waren es in Sierra Leone 497. Im 5-Wochen-Vergleich hat die Zahl | |
der Ebola-Toten in Liberia um 14 Prozent zugenommen, in Guinea um 32 | |
Prozent – und in Sierra Leone um 104. Drei Viertel aller neuen | |
Ebola-Infektionen treten mittlerweile in Sierra Leone auf, dem flächenmäßig | |
kleinsten der drei Länder. | |
## Feiern an Weihnachten und Neujahr verboten | |
In Sierra Leone herrscht Alarmstimmung. Die Regierung von Präsident Ernest | |
Bai Koroma hat alle abendlichen Weihnachts- und Neujahrsfeiern verboten. | |
Über einige Distrikte hat sie eine komplette Ausgangssperre verhängt. | |
Reisen zwischen Distrikten sind untersagt, sonntags dürfen keine Märkte | |
öffnen. | |
Im besonders stark von Neuinfektionen betroffenen Westen des Landes | |
einschließlich der Hauptstadt Freetown läuft seit 17. Dezember die | |
Militäroperation „Western Area Surge“, bei der Sicherheitskräfte, | |
Gesundheitspersonal, UN-Mitarbeiter und britische Truppen sämtliche | |
Haushalte aufsuchen und Ebola-Verdächtige wegschaffen sollen. Gegen den | |
Widerstand der Bevölkerung. Die widersetzt sich den Maßnahmen, da die | |
meisten Kranken nie wiederkommen. | |
Kritiker werfen der Regierung Sierra Leones autoritäres Verhalten im Umgang | |
mit Ebola vor. Der bekannte Journalist David Tam-Baryoh wurde im November | |
fast zwei Wochen lang wegen Kritik an der Ebola-Politik des Präsidenten | |
festgenommen und erst gegen umgerechnet knapp 10.000 Euro Kaution unter | |
strengen Meldeauflagen freigelassen. In den Notstandsgesetzen wird auch die | |
Strafe für Verstöße gegen Ebola-Verhaltensregeln genannt. Am 23. Dezember | |
wurde erstmals eine sechsmonatige Haftstrafe über einen Dorfältesten | |
verhängt, der seine an Ebola verstorbene Tochter heimlich begraben hatte. | |
Amadu Kargbo muss 200 Euro Geldstrafe zahlen und drei Wochen in Quarantäne | |
verbringen, bevor er ins Gefängnis kommt. | |
Die in Freetown lebende Ethnologin Ginny Mooy findet, die Politik setze | |
falsche Prioritäten. In einem Blogeintrag berichtet sie von einem | |
Slumhaushalt mit 86 Menschen und einer einzigen Latrine. 49 Bewohner | |
infizierten sich mit Ebola, 43 davon starben, weil die Berührung des | |
Ebola-Durchfalls nicht zu vermeiden war. Doch weder Regierung noch | |
Hilfswerke täten etwas, um die katastrophalen sanitären Verhältnisse in den | |
Slums von Freetown zu verbessern. „Wenn die WHO die Gesundheitsorganisation | |
der Welt ist, sollte sie wissen, wie absolut unverzichtbar sauberes Wasser, | |
Nahrung und Hygiene für die öffentliche Gesundheit sind.“ | |
Die UN-Ebola-Mission (Unmeer) listet weitere Probleme auf: Über 1.500 | |
Betten in speziellen Ebola-Behandlungszentren brauche Sierra Leone, 839 | |
seien vorhanden; rund 1.300 weitere Betten in Gemeindezentren seien nötig, | |
erst 300 seien vorhanden. Auch gebe es nach wie vor viel zu wenige Helfer. | |
Großbritannien, nach den USA das größte Geberland bei Ebola-Bekämpfung in | |
Westafrika, hat 800 Soldaten geschickt, die mittlerweile 17 | |
Behandlungszentren errichtet haben. Aber erst am 23. Dezember lieferte ein | |
US-Hilfswerk das Material, um in Sierra Leone ein Ebola-Behandlungszentrum | |
für erkranktes einheimisches Gesundheitspersonal zu bauen. Bisher gab es so | |
etwas nur für ausländische Helfer. | |
## Deutsche Freiwillige kommen zu spät | |
365 Mitarbeiter des sierra-leonischen Gesundheitswesens, darunter elf Ärzte | |
– von insgesamt 136 im ganzen Land – sind an Ebola gestorben. Für | |
ausländische Helfer gelten strenge Höchsteinsatzzeiten für die Arbeit in | |
den sogenannten roten Zonen der Behandlungszentren, den Bereichen mit | |
direktem Kontakt zu Erkrankten. Die Helfer können diese Zeiten nur | |
einhalten, weil die einheimischen Kollegen länger arbeiten – für viel | |
weniger Geld. Da kommt es schon mal vor, dass ein einheimischer Arzt | |
sonntags allein 27 Schwerkranke betreut. | |
Diese Ungleichheiten führen immer wieder zu Spannungen und Streiks. Wenn | |
die UN-Mission in ihrem mittlerweile neunten Lagebericht zu Sierra Leone | |
daran erinnern muss, dass „jedes Krankenwagenteam über ein Fahrzeug | |
verfügen sollte, das täglich gesäubert und gewartet wird“, kann man sich | |
vorstellen, woran noch alles es mangelt. | |
In Liberia scheint das Schlimmste überwunden zu sein, auch dank des | |
Einsatzes von Ärzte ohne Grenzen und des US-Militärs, dessen 2.400 Soldaten | |
sich jetzt schon wieder auf den Rückzug vorbereiten, nachdem sie 14 | |
Ebola-Behandlungszentren gebaut haben. Liberia ist auch das Schwerpunktland | |
der deutschen Ebola-Hilfe, für die sich Tausende Freiwillige bei der | |
Bundeswehr und beim Roten Kreuz gemeldet hatten. | |
Eine Aktion ohne Wert, wie sich mittlerweile herausstellt. 100 deutsche | |
Freiwillige sind mittlerweile nach amtlichen Angaben einsatzbereit; ganze | |
zehn, vier von der Bundeswehr und sechs vom Roten Kreuz, flogen im November | |
nach Monrovia, um ein Ebola-Behandlungszentrum der WHO „einsatzbereit zu | |
machen“, wie das Bundesverteidigungsministerium am 7. November mitteilte. | |
Erst am 15. Dezember wurde das Zentrum mit 10 Betten vom DRK übernommen – | |
lange nach dem Zeitpunkt, zu dem sie am dringendsten gebraucht wurden. | |
28 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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