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# taz.de -- Antisemitismus in Frankreich: In der Heimat nicht mehr sicher
> Die Regierung verspricht Schutz, doch der Antisemitismus in Frankreich
> nimmt zu. Immer mehr französische Juden emigrieren nach Israel.
Bild: Die Große Synagoge in Straßburg: „Ohne seine Juden wäre Frankreich n…
PARIS taz | Bleiben oder ausreisen? Das ist eine Frage, die sich in
Frankreich immer mehr jüdische Mitbürger stellen. Die meisten von ihnen
hätten noch vor wenigen Jahren niemals geglaubt, dass sie eines Tages vor
diesem Dilemma stehen würden. Doch das hat sich [1][spätestens seit 2012
geändert] – seit mehreren Attacken auf jüdische Einrichtungen.
Die [2][blutige Geiselnahme im HyperCasher-Geschäft] an der Porte de
Vincennes in Paris, bei der vier Kunden von dem islamistischen Terroristen
Amedy Coulibaly kaltblütig erschossen wurden, ist nur das jüngste dieser
Verbrechen.
Der barbarische Angriff auf die Satirezeitung Charlie Hebdo am Mittwoch war
ein Attentat auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Die Ermordung einer
Polizistin am Donnerstagmorgen war eine Herausforderung der Staatsgewalt
der französischen Republik. Der Überfall auf ein jüdisches Geschäft und die
gezielte Tötung von vier Juden zu Beginn der Geiselnahme am Freitag lässt
an der antisemitischen Gesinnung keinen Zweifel. Nach noch unbestätigten
Information wollte der mit automatischen Waffen und Sprengstoff
ausgerüstete Coulibaly ursprünglich auch eine jüdische Schule angreifen.
„Wir befinden uns in einer Kriegssituation“, erklärte am Sonntag Roger
Cukierman, der Vorsitzende des Repräsentativen [3][Rats der Jüdischen
Institutionen Frankreichs (Crif)], der am Morgen von Staatspräsident
François Hollande empfangen wurde. Hollande habe ihm versichert, wenn
nötig, würden künftig – über die bisherigen Schutzvorkehrungen hinaus –
Schulen, Synagogen und andere jüdische Einrichtungen vom Militär bewacht.
Das wird nicht alle wirklich beruhigen.
## Für die Regierung ein Skandal
Obwohl sie auch in Israel Attentate befürchten müssen, denken daher immer
mehr jüdische Franzosen an Auswanderung. Israels Premierminister Benjamin
Netanjahu will das unterstützen: Vor seiner Reise zur Pariser Kundgebung
gegen den Terrorismus erklärte er den französischen Glaubensbrüdern
einladend: „Israel ist euer Heim!“
Dass sich die jüdischen Mitbürger in Frankreich nicht mehr sicher und
akzeptiert fühlen, ist für die Pariser Regierung ein Skandal. „Ohne seine
Juden wäre Frankreich nicht mehr Frankreich“, betonte Premier Manuel Valls
am Samstag bei einer Kundgebung vor dem Tatort bei dem jüdischen
Supermarkt.
2014 wanderten schon über 6.000 französische Juden nach Israel aus. Aus
keinem anderen Land kommen so viele „Olim“ nach Israel wie aus Frankreich.
So heißen die Juden der Diaspora, die den zionistischen Traum einer
„Alija“, einer Heimkehr ins Gelobte Land, verwirklichen. Laut der Jewish
Agency for Israel und dem Integrationsministerium in Jerusalem sind letztes
Jahr [4][insgesamt 26.500 neue Bürger] aufgenommen worden. Aus Frankreich –
dem Land mit der nach den USA größten jüdischen Gemeinde außerhalb Israels
– kamen mehr als aus der Ukraine, und vor allem fast doppelt so viele wie
im Jahr zuvor (3.400).
## „Cousins“ auf Nordafrika
Der Antisemitismus (vor allem der extremen Rechten) war in Frankreich nie
ganz verschwunden, in den letzten Jahren hat er sich in einer „neuen“ Form
im Kontext des Nahostkonflikts bei Jugendlichen aus muslimischen Familien
verbreitet. Die Beleidigung „sale Juif“ oder eben im Vorstadtjargon „Feuj…
ist dort mittlerweile so banal wie sonst ein Schimpfwort. Wer eine Kippa
trägt, muss mit Spott oder gar mit tätlichen Angriffen rechnen.
Ausgerechnet in Quartieren, in denen die „Cousins“ aus Nordafrika, Muslime
und jüdische Sephardim lange problemlos zusammengelebt hatten, wachsen
jetzt die Spannungen. Diese latente Feindseligkeit wollten indes viele,
auch innerhalb der jüdischen Gemeinden, bisher nicht wahrhaben.
Wenn in Frankreich nun aber – wie zurzeit der Nazi-Herrschaft und des
Zweiten Weltkriegs – Juden allein wegen ihrer Religion oder ihrer Herkunft
angegriffen oder kollektiv als Gemeinschaft für die Politik Israels
verantwortlich gemacht und deswegen attackiert werden, fühlen sich manche
von ihnen in dem Land, in dem sie geboren wurden und aufgewachsen sind,
nicht mehr sicher.
Als im Pariser Vorort Sarcelles im Juli nach einer
Solidaritätsdemonstration für Gaza in dem als „Klein-Jerusalem“ bekannten
Quartier zahlreiche jüdische Geschäfte verwüstet und in Brand gesteckt
wurden, erinnerten das die Älteren an Pogrome der Vergangenheit.
## Prognosen für 2015 bei 10.000
Hollandes feierliche Erklärung, er wolle (wie schon seine Vorgänger Chirac
und Sarkozy) den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus zur nationalen
Staatssache machen, dürfte all diejenigen kaum umstimmen, die an
Auswanderung denken. Und der Druck von Politikern der Ultrarechten, die den
„Olim“ die französische Staatszugehörigkeit aberkennen wollen und den
Wehrdienst in Israel mit dem „Dschihad“ der IS-Terroristen gleichstellen,
bestärkt sie eher in ihrem Projekt.
Israels Regierung und Organisationen wie die Jewish Agency fördern die
Auswanderungspläne nach Kräften: So wird den französischen „Olim“ seit
Kurzem neben Wohnbeihilfen im ersten Jahr auch die Anerkennung ihrer
Diplome und ihres Führerscheins in Aussicht gestellt. Für 2015 rechnete die
Jewish Agency in Israel mit 10.000 Neuankömmlingen aus Frankreich. Das war
vor den jüngsten Verbrechen dieser Woche.
Auch der Betreiber des HyperCasher-Marktes hat sich nach Presseberichten
jetzt entschlossen, nach Israel zu ziehen.
11 Jan 2015
## LINKS
[1] /!150738/
[2] /Terror-in-Frankreich/!152579/
[3] http://www.crif.org/fr?language=en
[4] http://www.jewishagency.org/blog/1/article/31301
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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