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# taz.de -- Das PKK-Verbot ist überholt: Ein Hauch von Stalingrad
> Nach dem historischen Sieg über den IS ist es an der Zeit, das PKK-Verbot
> aufzuheben und beim Wiederaufbau von Kobane zu helfen.
Bild: Angehörige der „Frauenverteidigungseinheiten“ (YPJ), der weiblichen …
Im November 1993 gab es gute Gründe, die PKK als terroristische
Organisation zu verbieten. In der Türkei führte sie nicht nur einen
Guerillakrieg, sondern verübte zudem Anschläge auf Zivilisten oder löschte
Mitglieder der so genannten Dorfschützermiliz mitsamt ihrer Familien aus.
Auch hierzulande bot die Arbeiterpartei Kurdistans kein freundliches Bild:
Schutzgelderpressung, blutige interne Abrechnungen, Brandanschläge auf
türkische Einrichtungen. (Nein, nicht [1][die Sache mit der Autobahn], die
kam danach.)
All das spielte beim Verbot, das der damalige Innenminister Manfred Kanther
verfügte, eine Rolle. Doch hinzu kamen weitere Gründe, die dazu beitrugen,
dass nicht, wie es beispielsweise in der EU bei der Hamas zeitweise der
Fall war, nur der bewaffnete Flügel als terroristisch eingestuft wurde,
sondern die gesamte PKK. In der Verbotsverfügung war von den
„außenpolitischen Belangen der BRD“ die Rede und vom „Verhältnis zum
türkischen Staat“, das es schütze gelte. Schließlich trete die
„Außenpolitik der gesamten westlichen Welt“ für die „Integrität eines
wichtigen Nato-, WEU- und Europapartners im Interesse des Friedens in der
gesamten Region ein“.
Der Minister, der seinerzeit als „schwarzer Sheriff“ verschrien war und
heute als Mitverantwortlicher des schäbigsten Parteiskandals der
bundesdeutschen Geschichte, nämlich den angeblichen „jüdischen
Vermächtnissen“, in Erinnerung geblieben ist, würde in die heutige Zeit
nicht mehr passen. Doch genauso anachronistisch ist diese
Verbotsbegründung. Es stammt, wie es der [2][taz-Kollege Christian Jakob
mal nannte], aus einer anderen Zeit.
## Verteidigerinnen der Zivilisation
Denn die Verteidigerinnen und Verteidiger von Kobane – vor allem die
Kämpferinnen und Kämpfer der PKK und ihres syrisches Ablegers PYD, außerdem
die irakisch-kurdischen Peschmerga sowie Angehörige kleinerer syrischer
Organisationen, der Freien Syrischen Armee und [3][Freiwillige aus der
Türkei] – haben nicht nur für sich gekämpft. Sie haben auch nicht allein,
wie [4][Frank Nordhausen in der Berliner Zeitung schreibt], für die
westliche Welt gekämpft, sondern für nicht weniger als die menschliche
Zivilisation. Oder wie es Stéphane Charbonnier, der ermordete Chefredakteur
von Charlie Hebdo, [5][im Oktober vorigen Jahres formulierte]: „Die
belagerten Kurden in Syrien sind keine Kurden, sie sind die Menschheit, die
sich der Finsternis widersetzt.“
Nun haben sie, unterstützt von den amerikanischen Luftschlägen – ob es ins
Weltbild linker Antiimperialisten passt oder nicht: mit Heldenmut und AK47
allein hätten die Kurden den schweren Waffen des IS nicht trotzen können –
dem Islamischen Staat seine erste ernste Niederlage beigebracht und den
Mythos seiner Unschlagbarkeit gebrochen. Noch sind die Folgen nicht
abzusehen. Doch im ersten Moment liegt etwas Historisches in der Luft: eine
Erinnerung an Madrid 1936, ein Hauch von Stalingrad.
Die Türkei hingegen war in diesem Kampf – [6][sehr wohlwollend formuliert]
– zurückhaltend. Sie nahm, eher widerwillig, Flüchtlinge aus Kobane auf und
ließ es zugleich zu, dass sich der IS über türkisches Territorium mit
Nachschub versorgte. Zunächst meinte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan,
die PKK und der IS seien dasselbe, dann zeigte er sich überzeugt, dass
Kobane jeden Augenblick fallen werde, nun sagt er, die Entstehung eines
Nordsyriens analog zum Nordirak sei für die Türkei inakzeptabel.
Ihm echte Sympathien für den IS zu unterstellen, wäre zu viel. Eher hat man
in Ankara den IS und oder al-Nusra-Front als Hilfstruppen im Kampf gegen
das Assad-Regime und im Dienste der neo-osmanischen Phantasien gesehen.
Ideologisch aber steht die AKP für etwas anderes: für eine Mischung aus
enthemmten Kapitalismus und religiösem Konservatismus. „Der wahre Kalif ist
nicht Abu Bakr al-Bagdadi, sondern Tayyip Erdoğan“, hat der amtierende
PKK-Chef Cemil Bayık [7][neulich in einem Interview mit der Zeit] treffend
gesagt (in dem er einmal mehr frühere Fehler der PKK einräumte).
## Bookchin statt Stalin
Seit sich die PKK von ihrem Ziel der Gründung eines unabhängigen kurdischen
Staates verabschiedet hat und sich ideologisch eher an
libertär-kommunitaristischen Ideen des amerikanischen Philosophen Murray
Bookchin denn an Stalins Ausführungen zur „nationalen Frage“ orientiert,
kann man nicht ernsthaft behaupten, sie gefährde die territoriale
Integrität bestimmter Staaten.
In Syrien kämpfen die PKK und PYD nicht nur gegen die gegenwärtig
brutalste, organisierte Barbarei der Gegenwart, sondern sind eine der
wenigen verlässlich säkularen Kräfte in der Region – ein Gegenentwurf nicht
nur zum Islamischen Staat, sondern auch zur AKP, was schon in ihrer
Bildpolitik deutlich wird. Es waren vor allem Bilder von Frauen, die sie
aus dem Kobane in Umlauf brachten: [8][kämpfende Frauen], [9][lachende
Frauen], zum Schluss [10][jubelnde] und [11][tanzende Frauen]. (Die hier
verlinkten Accounts sind nicht die Urheber der Bilder.)
Es ist an der Zeit, sie international als Gesprächspartner anzuerkennen. Es
ist an der Zeit, die schizophrene Situation zu beenden, dass die
amerikanische Luftwaffe mit PKK-Kämpfern zusammenarbeitet und die
US-Regierung [12][“den kurdischen und den FSA-Kämpfern“ dankt,] diese
kurdischen Kämpfer aber nicht beim Namen benennen kann, weil die PKK auch
in den USA als Terrororganisation gilt. Es ist an der Zeit, die PKK von den
Terrorlisten der westlichen Welt zu streichen.
Wenigstens hier kann sich Deutschland nützlich machen. Und noch etwas kann
Deutschland tun: Dabei helfen, Kobane wiederaufzubauen. Das haben die
mutigen Frauen und Männer verdient. Kräne für Kobane!
(Und natürlich weiterhin: [13][Waffen für Kurdistan!] Denn diese Sache ist
noch nicht vorbei.)
28 Jan 2015
## LINKS
[1] /!147665/
[2] /!145276/
[3] /!147745/
[4] http://www.berliner-zeitung.de/meinung/kommentar-zu-kobane-historischer-sie…
[5] /!152728/
[6] /!147370/
[7] http://www.zeit.de/2014/52/pkk-recep-tayyip-erdogan-islamischer-staat-cemil…
[8] http://twitter.com/ardilriha/status/534821761964339201
[9] http://twitter.com/eylemania/status/559817481385414656
[10] http://twitter.com/sojourner68/status/559805088093720576
[11] http://twitter.com/Besser_Deniz/status/559714098104266752
[12] http://twitter.com/brett_mcgurk
[13] /!143772/
## AUTOREN
Deniz Yücel
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