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# taz.de -- Debatte Kurden und IS: Was wollen die Kurden?
> Die Kurden sind auf der Straße, weil sie der Türkei Untätigkeit
> vorwerfen, berichten deutsche Medien. Klingt plausibel, ist aber Unsinn.
Bild: Der Großteil der Kurden lehnt einen Militäreinsatz der Türkei gegen IS…
Die Kurden protestieren auf der Straße, in der Türkei, aber auch in
Westeuropa. Was aber wollen die Demonstranten? „Sie forderten die
türkischen Regierung auf, mehr zum Schutz der überwiegend kurdischen
Bevölkerung zu tun“, weiß der [1][deutschsprachige Dienst von Reuters].
„Die Demonstranten werfen der Regierung in Ankara vor, dem drohenden Fall
der syrischen Kurdenstadt Kobani tatenlos zuzusehen“, [2][weiß AFP] –
obwohl ja, [3][wie dpa ergänzt], „die türkische Armee mit Panzern an der
Grenze steht“.
Klingt plausibel. Ist aber Unsinn, der nicht dadurch wahrer wird, wenn
[4][SpiegelOnline], [5][Süddeutsche.de], [6][Tagesschau.de] und so ziemlich
alle anderen deutschen Medien diese Behauptung wiederholen. „Kurden drängen
Türkei zur Intervention“, heißt es [7][beispielsweise im Handelsblatt].
Vielleicht wäre es pragmatisch von den Kurden, zu versuchen, die Türkei zum
Eingreifen zu drängen. Allein: Sie lehnen das ab, sehr vehement sogar. „Ein
Eingreifen der türkischen Armee würden wir als Angriff auffassen“, sagt
Salih Muslim, der Anführer des syrischen PKK-Ablegers PYD. Auch die
Abgeordneten der prokurdischen HDP/BDP lehnen eine türkische
Militärintervention ab. Wie also deutsche Korrespondenten darauf kommen,
die Kurden würden genau dafür protestieren, bleibt ihr Geheimnis. (Kleiner
Tipp: Einfach mal die Kurden fragen, die beißen nicht.)
Das Misstrauen gegenüber der Türkei hat gute Gründe. Anfang Oktober hat das
Parlament mit den Stimmen der islamisch-konservativen AKP (wann fällt bei
der der Zusatz „konservativ“?) und der ultranationalistischen MHP (und
gegen die Stimmen der BDP/HDP) die Regierung zu Militäroperationen gegen
„den IS und andere Terrororganisationen in der Nähe zur türkischen Grenze“
ermächtigt – also auch zum Vorgehen gegen die kurdische PYD.
Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte lange gezögert, den „Islamischen
Staat“ als terroristisch zu bezeichnen, um nun zu erklären, der IS und die
PKK seien im gleichen Maße terroristisch – eine interessante Wendung, wenn
man bedenkt, dass er noch bei den Gezi-Protesten im Frühjahr vergangene
Jahres den Demonstranten vorwarf, sie wollten den Friedensprozess mit der
PKK sabotieren. Der scheint nun vergessen, dafür steht ein Teil der
Gezi-Demonstranten heute an der Seite der AKP-Regierung gegen die PKK,
während ein anderer Teil die Kurden unterstützt.
Diese Gleichsetzung mit dem „Islamischen Staat“ empfinden die Kurden als
brüskierend. Zu Recht. Denn die einen sind von einem eliminatorischen Wahn
beseelte Gotteskrieger, die anderen sind die, die die bedrängten Jesiden in
den Sindschar-Bergen zu Hilfe eilten. Die einen sind die, die systematisch
Frauen vergewaltigen und als Kriegsbeute verschleppen, die anderen sind
die, in deren Reihen etliche Frauen kämpfen. Die einen sind die, die in
ihrem Gebiet einen bizarren Gottesstaat errichtet haben, die anderen sind
die, in deren Gebiet „Rojava“ die einzige Region in Syrien ist, in der sich
die Dinge nach dem Aufstand gegen Assad zum Besseren gewendet haben, trotz
des Kriegszustandes.
## Gegen stillschweigende Unterstützung
Diese erkämpfte Autonomie ist der Grund, warum sie Kobani so erbittert
verteidigen und warum die Kurden in der Türkei mit ihnen sympathisieren –
die Anhänger der islamistischen Organisation Hüda-Par ausgenommen, die für
die meisten Toten der vergangenen Tage i[8][n den kurdischen Gebieten
verantwortlich sind]. Der Vorläufer dieser Organisation, die kurdische
Hizbullah, wurde in den neunziger Jahren als Killerkommando gegen die PKK
eingesetzt, auch jetzt gibt es Berichte, dass Sicherheitskräfte ihr
Vorgehen decken.
Wogegen also protestieren die Kurden? Sie protestieren gegen die
stillschweigende Unterstützung, die die Türkei in den vergangenen Jahren
den Dschihadisten gewährte. Die Türkei soll Waffenlieferungen zulassen und
zudem einen Korridor schaffen, damit PYD-Einheiten aus den beiden anderen
syrisch-kurdischen „Kantonen“ und Kämpfer der PKK, womöglich auch der
nordirakischen Peschmerga den Eingeschlossenen in Kobani zu Hilfe kommen
können.
Von den USA fordern sie offiziell nichts. Im persönlichen Gespräch hingegen
kritisierten kurdische Politiker noch bis Mittwoch, dass die Luftangriffe
gegen IS-Stelllungen in der Umgebung von Kobani viel zu ineffektiv seien.
Immerhin das [9][hat sich inzwischen wohl geändert].
Dabei haben die USA und ihre Verbündeten zum Angriff des IS auf Kobani
beigetragen. Dass sie beschlossen, Waffen an die nordirakischen Kurden zu
liefern – [10][wogegen nichts einzuwenden wäre] –, aber zugleich
klarmachten, dass sie PYD und PKK nicht unterstützen würden, hat der
„Islamische Staat“ als Einladung aufgefasst, nach dem gescheiterten Angriff
Anfang Juli erneut gegen Kobani vorzurücken. Diesen Kurden, so müssen die
Dschihadisten gedacht haben, wird eh keiner helfen. Ein Gefühl, das die
Kurden nur zu gut aus ihrer Geschichte kennen. Auch deshalb sind sie auf
der Straße. Vielleicht vor allem deshalb.
9 Oct 2014
## LINKS
[1] http://www.handelsblatt.com/politik/international/is-belagert-kobane-kurden…
[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/zusammenstoesse-in-mehreren-staedten-min…
[3] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article133044391/…
[4] http://www.spiegel.de/politik/ausland/kobane-mehrere-tote-demonstranten-bei…
[5] http://www.sueddeutsche.de/politik/kampf-um-koban-usa-sind-unzufrieden-mit-…
[6] http://www.tagesschau.de/ausland/kurden-109.html
[7] http://www.handelsblatt.com/politik/international/is-belagert-kobane-kurden…
[8] /!147328/
[9] /!147289/
[10] /!143772/
## AUTOREN
Deniz Yücel
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