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# taz.de -- Debatte Kampf gegen IS: Anerkennung für die Türkei
> Es ist irritierend, wie selbstbewusst jetzt der Einsatz von türkischen
> Bodentruppen in Kobani gefordert wird. Gerne auch von Kritikern der
> US-Einsätze.
Bild: Aleppo im September 2014: Die Türkei brach erst mit Assad, als dieser mi…
Es ist schrecklich, dass dem Terror von „Islamischer Staat“ (IS) jetzt auch
die kurdische Stadt Kobani (arabisch:Ain al-Arab) zum Opfer fällt. Die
kleine Stadt hatte ehemals etwa 55.000 Einwohner. Aber es ist falsch, dafür
primär die Türkei verantwortlich zu machen.
Zum einen ist die Entstehung von IS von Syriens Diktator Baschar al Assad
begünstigt worden – zur Bekämpfung der moderaten Opposition gegen ihn und
als Argument gegenüber der Welt, ihn als einzige Alternative für Syrien zu
sehen. Assad hatte schon Mitte der 2000er Jahre radikale Dschihadisten im
Irak bei ihrem Kampf gegen die USA unterstützt – und zwar genau in der
Region, die jetzt von IS kontrolliert wird.
Am 31. Mai 2011 hatte er gefährliche Dschihadisten aus dem berüchtigten
Sednaya-Gefängnis in Damaskus entlassen, um diese Terrorgruppe zu stärken.
Wie geplant hat IS dann auch von Anfang an die moderate Opposition gegen
Assad bekämpft. Erst später wendete sich die Terrorgruppe auch gegen die
Truppen des Assad-Regimes: Zauberlehrling-Effekt.
Die Kurden im Norden Syriens haben sich dem nationalen Widerstand gegen
Assad lange nicht angeschlossen. Teile der kurdischen Partei PYK, die eng
mit der PKK verbunden ist, haben die Opposition sogar an der Seite Assads
bekämpft.
## Wasser- und Grenzstreitigkeiten
Die Türkei brach erst mit Assad, als dieser sich jeglicher Reform
verweigerte und mit zunehmender Brutalität gegen die Opposition vorging:
Bombardierung von Wohnvierteln, Einsatz chemischer Waffen. Zuvor hatte die
Türkei das jahrzehntelang unter anderem wegen Wasser- und
Grenzstreitigkeiten sehr spannungsreiche Verhältnis zu Syrien soweit
verbessert, dass sogar die Visumspflicht abgeschafft worden war und Syrien
die Türkei als Vermittler gegenüber Israel akzeptiert hatte – wie umgekehrt
Israel auch.
Es war ein Fehler der Türkei, nicht nur die Freie Syrische Armee und
moderate Oppositionsgruppen gegen Assad zu unterstützen, sondern praktisch
jeden, der gegen Assad kämpfen wollte. Inzwischen hat die Türkei diese
Politik korrigiert.
Die Türkei hat in den letzten Jahren zunehmend versucht, außenpolitisch
über ihrer Gewichtsklasse zu boxen. Sie ist auf der ganzen Linie damit
gescheitert, im 21. Jahrhundert eine Politik im Stil einer Regionalmacht
des 19. Jahrhunderts machen zu wollen. Die anderen Regionalmächte – Iran,
Saudi Arabien, Ägypten – haben die Grenzen dieser Politik aufgezeigt.
Wirklichen Einfluss in der Region kann die Türkei nur als fester Teil des
Westens gewinnen, mit dem sie durch die Mitgliedschaft in der Nato, den
EU-Beitrittsprozess und engste wirtschaftliche Beziehungen verbunden ist.
IS bekam am Anfang finanzielle und sonstige Unterstützung aus arabischen
Ländern und wohl auch aus der Türkei. Inzwischen ist IS mithilfe der von
ihr kontrollierten Gebiete und ihrer Ressourcen finanziell autark und
verfügt über große Mittel. Die militärischen Fähigkeiten (Personen und
Waffen) stammen zu einem Großteil aus der irakischen Armee Saddam Husseins.
Der UN-Sicherheitsrat ist nach wie vor durch Russland blockiert, das an
Assad festhält und neben dem Iran sein wichtigster Verbündeter ist. Wegen
dieser Gemengelage haben weder die USA noch die Europäer in den vergangenen
drei Jahren in Syrien direkt eingegriffen, obwohl inzwischen mehr als
200.000 Tote zu beklagen sind, Millionen Syrer in Nachbarländer geflohen
oder innerhalb Syriens auf der Flucht sind, Städte wie Homs und Aleppo
zerstört wurden.
## Ohne Konzept
Die Türkei hat mehr als eine Million Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen –
darunter auch Tausende Kurden - und bisher mehr als 4 Milliarden Dollar
aufgewandt. Mich irritiert, wie selbstgewiss die Türkei aufgefordert wird,
in Syrien einzumarschieren und den Kurden im Norden Syriens zu helfen. Oft
von denselben Kommentatoren, die sich sehr kritisch gegen die
amerikanischen Luftangriffe auf Stellungen der IS in Syrien geäußert haben.
Ohne ein Konzept mindestens für den Norden Syriens macht ein isolierter
Einsatz von Bodentruppen durch die Türkei aber keinen Sinn.
Die anderen Nato-Partner wissen, warum sie keine Bodentruppen in Syrien
einsetzen wollen. Bestandteil eines solchen Konzepts für den Norden Syriens
müsste eine international überwachte Flugverbotszone sein und eine
ebenfalls international kontrollierte Schutzzone für syrische Flüchtlinge.
Ohne ein solches Konzept würde die Türkei sehr bald als Besatzer
syrischen/kurdischen Territoriums kritisiert und angegriffen.
IS ist aus mindestens zwei Gründen eine Bedrohung nicht nur für die Region
des Nahen Ostens, sondern auch für uns. Zum einen rekrutiert IS Kämpfer
auch in europäischen Ländern, die nach ihrer Rückkehr für Anschläge und
Attentate auch bei uns eingesetzt werden können. Zum anderen reicht der
Anspruch dieses sogenannten „Kalifats“ bis zu einer Beherrschung der
gesamten Region, von der der Rest der Welt in seiner Energieversorgung
abhängt.
IS setzt in seiner Propaganda alles daran, den Kampf gegen diese
Terrororganisation als einen Krieg des Westens und der USA gegen den Islam
darzustellen. Motto: zuerst Afghanistan, dann Irak, jetzt IS. IS will
langfristig die 1,4 Milliarden Muslime in einen Konflikt mit dem Westen
treiben. Deshalb kann die Terrorgruppe nur im Bündnis mit den Muslimen
besiegt werden. (Und der Westen muss alles vermeiden, was diesem
Propaganda-Bild von IS Vorschub leistet.)
Vor allem die sunnitischen Staaten der Region müssen die Herausforderung
annehmen. Schließlich sind sie nach Irak und Syrien die nächsten Opfer der
Herrschaftsambitionen von IS, wie der Kalifats-Anspruch unterstreicht. Es
reicht nicht aus, wenn CNN meldet, dass sich auch Saudi Arabien, die
Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Jordanien an dem Kampf gegen IS
beteiligen. Al Dschasira und Al Arabia müssten das der arabischen
Bevölkerung ebenfalls täglich vor Augen führen.
8 Oct 2014
## AUTOREN
Ruprecht Polenz
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