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# taz.de -- Kobane an der syrisch-türkischen Grenze: Mehr als eine staubige W�…
> Fällt Kobane, regiert der IS den wichtigen Teil der syrisch-türkischen
> Grenze. Warum zögert Ankara trotzdem, die Stadt zu verteidigen?
Bild: Explosionen in Kobane: Auf einmal liegt die syrische Grenzstadt im Zentru…
ISTANBUL taz | Noch vor zwei Wochen kannte kaum ein Mensch in der Türkei
den Ort Kobane oder, wie er im Arabischen heißt, Ain al-Arab. Warum auch?
Ein staubiger Flecken in der syrischen Tiefebene, direkt an der Grenze zur
Türkei, wo es wenig zu sehen gibt. Eine Stadt aus hässlichen, oft
unverputzten Betonbauten, aus den obersten Stockwerken ragen Stahlstreben,
weil der Hausbesitzer plant, irgendwann noch eine weitere Etage zu bauen.
Vor Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs zählte die Stadt 70.000 Einwohner –
zumeist Kurden–, die von Landwirtschaft und Schmuggel lebten.
Heute kennt fast jeder Türke diesen Ort, täglich ist er in den
Fernsehnachrichten zu sehen. Mal vom Staub vernebelt, den der Wüstenwind
heranträgt, mal im klaren Licht der Sonne, wird er von Hunderten Kameras,
aus Ferngläsern und mithilfe von Drohnen beobachtet. Jede Bewegung in und
um Kobane herum wird aufmerksam registriert.
Der Grund dafür sind die Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staates
(IS), die seit zwei Wochen jeden Tag näher an die Stadt heranrücken. Schon
wehen die schwarzen IS-Fahnen in unmittelbarer Grenznähe auf einzelnen
Gebäuden. Am Freitag wurde stündlich damit gerechnet, dass die Milizen ins
Zentrum einrücken.
Rund 150.000 Kurden sind in den letzten Wochen aus Kobane und Umgebung auf
die türkische Seite der Grenze geflohen. Die türkische Armee hat
Panzerverbände gegenüber der Stadt aufstellen lassen, die die vorrückenden
IS-Milizen im Visier haben. Bislang verhalten sie sich aber passiv. Seit
Freitag früh könnten sie jedoch tätig werden und dem IS-Terror in Kobane
ein Ende bereiten. Denn am Donnerstagabend hat das türkische Parlament den
lang erwarteten Beschluss gefasst, der die Regierung ermächtigt, die Armee
in Syrien und im Irak einzusetzen, um terroristischen Bedrohungen der
Türkei entgegenzutreten.
## Strategische Bedeutung
Kobane ist von herausragender strategischer Bedeutung. Der Ort ist das
Zentrum eines Kantons von dreien im Norden Syriens, die von den syrischen
Kurden kontrolliert und verwaltet werden. Das größte dieser drei autonomen
kurdischen Gebiete liegt im Nordosten entlang der türkischen Grenze und
geht bis an die Grenze zum Irak. Westlich davon, immer entlang der 900
Kilometer langen türkisch-syrischen Grenze, kommt dann ein Gebiet, das
bereits weitgehend in der Hand des IS ist. Dann kommt der Kanton Kobane,
dann immer weiter nach Westen wieder IS-Land und ganz im Westen noch einmal
ein kleiner kurdischer Kanton und weitere Gebiete, die die Freie Syrische
Armee (FSA) oder andere Rebellengruppen kontrollieren, die mit der FSA
liiert sind. Das Assad-Regime ist im türkisch-syrischen Grenzgebiet
praktisch nicht mehr präsent.
Falls der IS Kobane erobert und die Kurden dort vollständig vertreibt,
würde die Islamisten den gesamten Mittelteil der türkisch-syrischen
Grenzregion mit Rakka als ihrer inoffiziellen Hauptstadt unter ihrer
Kontrolle haben, eine Vorstellung, die mittlerweile offenbar auch bei der
türkischen Regierung in Ankara Unbehagen auslöst.
Doch die Panzer blieben zunächst, wo sie waren. Denn Kobane ist nicht
einfach eine Stadt an der syrisch-türkischen Grenze, Kobane liegt, weil es
kurdisch ist, auf politisch vermintem Gebiet.
Die türkische Armee zögert einzugreifen, weil die kurdischen
Autonomiegebiete in Nordsyrien politisch von der Partei PYD beherrscht
werden, einem unmittelbaren Ableger der türkisch-kurdischen PKK. Schon 30
Jahre dauert der Guerillakrieg gegen die kurdische Arbeiterpartei, erst
seit März 2013 gilt ein fragiler Waffenstillstand. Seitdem verhandelt die
türkische Regierung zwar mit der PKK über einen Friedensplan.
Doch der sieht als einen der wichtigsten Punkte vor, dass die kurdischen
Kämpfer ihre Waffen niederlegen, was nun, angesichts der Bedrohung durch
den IS, von der PKK kategorisch abgelehnt wird. Monatelang hat deshalb der
türkische Geheimdienst MIT den IS mit verdeckten Waffenlieferungen
unterstützt in der Hoffnung, die Dschihadisten und die PKK würden sich
gegenseitig zum Vorteil der Türkei bekämpfen und schwächen.
## Die Kurden vertrauen Ankara nur eingeschränkt
Diese geheime Politik der Türkei hat mit dazu geführt, dass der IS zu
mächtig und für die Türkei selbst bedrohlich geworden ist. In Ankara wird
deshalb heftig diskutiert, ob man nun umschwenken und die Kurden gegen den
IS unterstützen oder gleich selbst in Syrien einmarschieren soll, um das
Grenzgebiet auch auf syrischer Seite unter eigene Kontrolle zu bringen.
Der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan, mit dem die türkische Regierung
seit zwei Jahren über einen Weg zum Frieden verhandelt, hat am Mittwoch die
Botschaft verbreiten lassen, der Friedensprozess stehe und falle mit
Kobane. Lässt die türkische Armee ein Massaker des IS an den Kurden in
Kobane zu, wird der Waffenstillstand beendet und der Friedensplan ist
Makulatur.
Ebenfalls am Mittwoch hatte Selahattin Demirtas, der Vorsitzende der
kurdischen HDP, die im türkischen Parlament vertreten ist und von der
Regierung als politischer Arm der PKK betrachtet wird, ein
Vieraugengespräch mit Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Anschließend sagte
Demirtas gegenüber Journalisten, Davutoglu habe ihm gesagt, auch die
Regierung wünsche nicht, dass Kobane dem IS in die Hände falle. In einem
Fernsehinterview nach der Parlamentsentscheidung Donnerstagnacht
bekräftigte Davutoglu diese Position öffentlich.
Vereinzelte Kommentatoren in den türkischen Medien fordern nun, die
Regierung solle sich offen und entschieden auf die Seite der Kurden
stellen, Kobane schützen und die Voraussetzungen schaffen, dass die vom IS
vertriebenen Kurden in ihre Häuser und Dörfer zurückkehren können. Das wäre
eine historische Entscheidung, die den Friedensprozess enorm voranbringen
und das Image der Türkei weltweit stärken würde.
Doch die meisten Kurden glauben bislang nicht an eine solche Wende. Die HDP
hat deshalb im Parlament gegen die Ermächtigung der Armee gestimmt. Sie
befürchtet, dass die türkischen Truppen Kobane nicht mit den Kurden
gemeinsam schützen werden, sondern selbst dort einmarschieren und die
kurdische Autonomie für beendet erklären.
## Wird der IS die Stadt erobern?
Ministerpräsident Davutoglu und Präsident Erdogan brauchen jetzt erst
einmal Zeit, ihre Strategie zu formulieren. Mitte kommender Woche wird
Obamas Sondergesandter für den Kampf gegen den IS, General John Allen, in
Ankara erwartet, um das Vorgehen der USA und der Türkei abzustimmen. Es ist
davon auszugehen, dass die Türkei so lange in der einen oder anderen Weise
dazu beitragen wird, dass der Status quo in Kobane erhalten bleibt und der
IS die Stadt nicht erobert.
Mit den USA will die türkische Regierung dann über die Einrichtung einer
Pufferzone auf der syrischen Seite der Grenze und eine Flugverbotszone für
das Assad-Regime in Nordsyrien verhandeln. Noch äußern sich US-Offizielle
ablehnend zu diesen türkischen Plänen, doch wenn Erdogan und Davutoglu im
Gegenzug einen massiven Anti-IS-Einsatz ihrer Armee anbieten, könnte sich
das ändern.
Was dann mit den Kurden in Kobane passiert, ist unklar. Sicher scheint im
Moment nur, dass der Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der
kurdischen Minderheit sich am Schicksal einer staubigen Wüstenstadt im
Norden Syriens entscheiden wird.
3 Oct 2014
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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