# taz.de -- Kampf gegen IS: Die Türkei im Zwiespalt | |
> Die türkische Regierung will militärisch gegen IS in Syrien vorgehen. | |
> Doch der Kampf gegen den Terrorismus belastet schon jetzt den | |
> Friedensprozess mit der PKK. | |
Bild: Durch den Krieg in Syrien entzündet sich auch der Konflikt zwischen Tür… | |
ISTANBUL dpa | Die Türkei hat Panzer aufgefahren, die Kanonen sind auf | |
Syrien gerichtet. Östlich und westlich der umkämpften syrischen Stadt | |
Kobane steht die Terrormiliz IS bereits an der Grenze des Nato-Partners. | |
Verzweifelt leisten kurdische Volksschutzeinheiten in Kobane (arabisch: Ain | |
Al-Arab) Widerstand gegen die hochgerüsteten Extremisten. Nach massivem | |
Druck aus dem Westen holt sich die Regierung in Ankara am Donnerstag vom | |
Parlament die Erlaubnis, militärisch gegen IS und andere Terrorgruppen | |
vorzugehen – in Syrien und im Irak. Doch ein Einmarsch türkischer Truppen | |
würde nicht nur Ungewissheiten, sondern auch große Gefahren bergen. | |
Das Parlamentsmandat ist ein Jahr gültig. Ob und wann es die türkische | |
Regierung nutzt, ist allerdings offen. Die Türkei schloss militärische | |
Unterstützung im Kampf gegen IS lange ganz aus. Als Begründung gab sie vor | |
allem die Sorge um 46 türkische Geiseln an, die sich in der Gewalt der | |
Extremisten befanden. Seit die Geiseln wieder frei sind, ist dieser Grund | |
weggefallen und der Druck auf Ankara steigt, vor allem vonseiten der USA. | |
Gleichzeitig wird die Belastung der Türkei durch die wachsende Zahl der | |
Flüchtlinge aus Syrien immer größer. | |
Seit der Freilassung der Geiseln schwört der strenggläubige Präsident Recep | |
Tayyip Erdogan die mehrheitlich sunnitischen Türken auf ein mögliches | |
Vorgehen gegen IS ein. „Diese Brutalitäten können nicht akzeptiert werden�… | |
sagte er. Den Verdacht, es könne sich beim Kampf gegen IS um einen Kreuzzug | |
gegen muslimische Glaubensbrüder handeln, versuchte Erdogan im Keim zu | |
ersticken. Die IS-Gräueltaten „haben nichts mit unserer Religion zu tun“, | |
sagte er. „Wir können dabei nicht zuschauen.“ | |
Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage teilt die Mehrheit der Türken | |
diese Ansicht: 52 Prozent der Befragten sprachen sich nach Angaben des | |
Meinungsforschungsinstituts Metropoll für eine Beteiligung ihres Landes an | |
einer internationalen Militäroperation gegen IS aus. Die Umfrageergebnisse | |
widersprechen auch dem im Westen verbreiteten Bild, wonach IS in der Türkei | |
viel Zustimmung genießt: Gerade einmal 1,3 Prozent der Befragten äußerten | |
Sympathie für die Terrormiliz. | |
## Die Türkei ist gegen den IS und gegen ein unabhängiges Kurdistan | |
Erdogan ist für die Einrichtung einer militärisch geschützten Pufferzone | |
auf syrischem Territorium - am liebsten mit internationaler Beteiligung. | |
Doch bislang hat kein Land aus dem Anti-IS-Bündnis auch nur eine vage | |
Bereitschaft erkennen lassen, Bodentruppen gegen die Terrormiliz | |
einzusetzen. Die Kurden, die im Norden Syriens gegen IS kämpfen, sind | |
lehnen einen türkischen Einmarsch ab. Sie befürchten, dass die Türkei als | |
Besatzungsmacht die Entstehung einer autonomen kurdischen Region verhindern | |
möchte. | |
Die Türkei ist in einer schwierigen Lage: Sie ist gegen den von den | |
Terroristen proklamierten Islamischen Staat und gegen ein unabhängiges | |
Kurdistan, dem sich die türkischen Kurden irgendwann anschließen könnten. | |
Die Volksschutzeinheiten in Kobane sind zudem eng mit der in der Türkei | |
verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden. Inzwischen belastet der | |
Konflikt in Syrien auch den angestrebten Friedensprozess zwischen der | |
Regierung und der PKK. Die PKK wirft Ankara vor, IS zu unterstützen. Erste | |
PKK-Kommandeure sprechen von einem Ende des Waffenstillstands und einer | |
Rückkehr zum bewaffneten Kampf gegen die Türkei. | |
Auch unabhängig von den Kurden wäre ein Einmarsch riskant. Nach | |
Medienberichten kämpfen an der Seite von IS rund 1000 Türken, die in ihre | |
Heimat zurückkehren und dort Anschläge verüben könnten. Südlich von Kobane | |
bewachen zudem 36 türkische Soldaten ein Mausoleum mitten im syrischen | |
IS-Gebiet - sie wären leichte Beute für die Extremisten. Außerdem ist kaum | |
zu erwarten, dass IS-Kämpfer bei einem Einmarsch des türkischen Militärs | |
die Pufferzone kampflos räumen würden. | |
Die Türkei könne sich „mit IS eine blutige Nase holen“, meint ein | |
westlicher Sicherheitsexperte. Die Soldaten müssten mit Heckenschützen und | |
Sprengsätzen rechnen. „Die können da nicht durchrauschen.“ Bei einem | |
Einmarsch stelle sich auch die Frage, wie die türkische Bevölkerung auf | |
Verluste reagieren würde. Selbst wenn die Pufferzone stehen sollte, sei | |
offen, wie es weiterginge. „Denn IS wird ja nicht weg sein. Und der Krieg | |
wird nicht zu Ende sein.“ | |
1 Oct 2014 | |
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