# taz.de -- Kommentar Dschihadisten und Kurden: Waffen für Kurdistan! | |
> Es ist moralisch und politisch notwendig, den Kurden und Jesiden im Kampf | |
> gegen den „Islamischen Staat“ zu helfen. Doch sie stehen allein. | |
Bild: Auf sich gestellt: Kämpfer und Kämpferin der syrisch-kurdischen Miliz P… | |
Neun Erklärungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier finden sich auf | |
der [1][Webseite des Auswärtigen Amtes] aus den vergangenen sechs Wochen zu | |
Gaza und Israel. Eine Erklärung zum Vormarsch der Miliz „Islamischer Staat“ | |
(vormals Isis) im Nord-Irak, zu ihren Gräueltaten gegen Christen, Jesiden, | |
Schiiten, Alawiten und säkulare Sunniten, zu den Flüchtlingen im | |
Sindschar-Gebirge hingegen findet sich in diesem Zeitraum nichts. Keine | |
einzige Erklärung des Ministers. | |
Das heißt jedoch nicht, dass man im Auswärtigen Amt gar keine Meinung | |
hätte. Eine Aufrüstung der kurdischen Truppen wäre falsch, [2][sagte | |
kürzlich eine Sprecherin] auf Nachfrage eines Journalisten. „Isis wird | |
geschwächt, wenn man es schafft, dass die Sunniten, die Isis unterstützen, | |
Isis nicht mehr diese Rückendeckung geben.“ | |
Klar. Man kann es sich gut vorstellen, wie bereitwillig sich diese Leute an | |
den Runden Tisch setzen, und auf Wunsch schickt die Bundesregierung | |
bestimmt gerne einen Vermittler, Heiner Geißler müsste doch verfügbar sein. | |
(Schlichtervorschlag: Köpfen von Ungläubigen jetzt nur noch werktags | |
zwischen 9 und 17 Uhr, Kreuzigungen nur freitags.) | |
Mit dieser Kaltschnäuzigkeit steht die Bundesregierung nicht allein. | |
„Kuddelmuddel im Irak: Kurden, Sunniten, Schiiten, Stalaktiten, alle wollen | |
jetzt ein Stück vom Staatskuchen“, heißt es in der [3][aktuellen Titanic] | |
so schön. Oder, wie ein [4][Kommentator der ARD] bereits im Januar, aber | |
ganz ernsthaft meinte und was immer noch so ziemlich alle Kommentatoren | |
meinen: „Die tief sitzende und berechtigte Unzufriedenheit der irakischen | |
Sunniten bereitet den Eiferern einen fruchtbaren Boden.“ | |
## Immer nur Völker und Stämme | |
Mag sein. Mag sein, dass bei einer integrativeren Politik des Zentralstaats | |
Isis nicht so leicht so tief in den Irak hätte vordringen können. Aber | |
glaubt man wirklich, die Dschihadisten aus Tschetschenien, Afghanistan oder | |
[5][Dinslaken] hätten sich davon abhalten lassen? („Ach, die sunnitischen | |
Araber werden im Irak nicht ausgegrenzt? Dann lassen wir das mit dem | |
Dschihad, war eh nur so eine Idee.“) | |
Was für ein Blödsinn. Einmal mehr zeigt sich das Elend des politischen | |
Denkens in Deutschland seit Johann Gottfried Herder, Johann Gottlieb Fichte | |
und Peter Scholl-Latour: Immer von Kultur zu reden, wo es um Politik ginge. | |
Über Stämme und Völker und ihre „uralten Konflikte“ zu sinnieren, wo es … | |
eine Erscheinung der Moderne wie den Islamfaschismus ginge. Und partout | |
nicht zu begreifen, was den Unterschied zwischen Kultur und Zivilisation | |
ausmacht. | |
Doch genau darum, um die Verteidigung der Zivilisation, geht es im Irak. | |
„Wir stehen vor einem Völkermord, der in seinen Ausmaßen nur vergleichbar | |
ist mit den Massakern in Ruanda und Darfur“, [6][schreibt die Gemeinschaft | |
der Jesidischen Vereine in Deutschland]. Auch die [7][Kurdische Gemeinde | |
spricht] von einem „drohenden Völkermord“. Das klingt dramatisch. Aber nach | |
allem, was bekannt ist, ist es nicht übertrieben. | |
Gegen diese Höllenbrut, die aus Dantes Inferno entsprungen sein könnte oder | |
aus einem besonders blutigen Mel-Gibson-Film, gegen diese Rackets namens | |
Isis aber stehen die Kurden allein, wie schon so oft in ihrer Geschichte. | |
Sie demonstrieren in Berlin, unter sich, ohne deutsche, arabische oder | |
türkische Unterstützer und fast unbemerkt von den Medien. Und sie kämpfen | |
allein. Die irakisch-kurdischen Peschmerga bekommen nun – trotz aller | |
internen politischen Differenzen – Hilfe von der türkisch-kurdischen PKK, | |
der syrisch-kurdischen PYD und den Selbstverteidigungskräften der Jesiden, | |
einer kurdischen Bevölkerungsgruppe mit eigener Religion. | |
## Schneller zu den Jungfrauen | |
Im Gegensatz zu den Isis-Milizen verfügen diese Kämpfer über keine schweren | |
Waffen und sind allenfalls für den Guerillakampf ausgebildet. Da auf die | |
irakische Zentralregierung kein Verlass ist, benötigen sie Hilfe von außen: | |
Waffen, Munition, Unterstützung aus der Luft. Denn antworten kann man diese | |
Bande von Lynchmördern nur in der Sprache, die sie verstehen; das einzige | |
Mittel, sie aufzuhalten, besteht darin, ihren [8][Weg zu den ersehnten 72 | |
Jungfrauen abzukürzen]. Das klingt martialisch. Aber anders hat man noch | |
keine faschistische Armee von ihrem Tun abhalten können. | |
Die moralische Pflicht und die politische Notwendigkeit, den Kurden in | |
ihrem Kampf gegen die Dschihadisten zu helfen, haben alle. Hoffnung auf | |
militärische Hilfe aus Deutschland und Europa haben die Kurden indes nicht. | |
Ihre Hoffnung heißt Amerika, wieder einmal. Und die USA stehen tatsächlich | |
besonders in der Pflicht. Denn derzeit prallen zwei Folgen des Irakkrieges | |
aufeinander: Einerseits haben die USA die Dschihadisten, die sie im Irak zu | |
bekämpfen vorgaben, erst ins Land geholt. (Zwischenzeitig verlagerten sich | |
diese nach Syrien, nun kämpfen sie in beiden Ländern.) | |
Andererseits hat der Irakkrieg die Autonome Region Kurdistan geschaffen, | |
das erste längerlebige staatliche Gebilde der Kurden, das, anders als der | |
restliche Irak, kein failed state ist, und, im Vergleich zu den | |
Nachbarstaaten, [9][weniger repressiv und einigermaßen säkular]. Dass die | |
[10][Christen und Jesiden dort Zuflucht suchen] und nicht etwa im | |
Zentralstaat, dürfte kein Zufall sein. | |
## Keine internationale Beachtung | |
Ähnlich ist die Konstellation in Syrien: Einerseits hat die Isis ihren | |
Aufstieg nicht nur Geldgebern aus Saudi-Arabien oder Katar zu verdanken, | |
sondern auch der [11][Unterstützung etwa der Türkei]. Andererseits ist die | |
von kurdischen Milizen kontrollierte Region Rojava wohl die einzige, in der | |
es heute um die Menschenrechte besser bestellt ist als vor Beginn des | |
Aufstands gegen das Assad-Regime. Internationale Beachtung finden sie aber | |
nicht. Zu den – gescheiterten – Friedensgesprächen im Februar in Genf waren | |
sie nicht einmal eingeladen. Vielleicht ist der Angriff der Isis der | |
Moment, der einen eigenen kurdischen Staat notwendig erscheinen lässt. | |
Doch darum geht es zur Stunde nicht. Zur Stunde geht es um eins: Kurden und | |
Jesiden brauchen Hilfe, humanitäre wie militärische. Für das eine hat der | |
Zentralrat der Jesiden in Deutschland [12][ein Spendenkonto errichtet]. Das | |
andere müssen Staaten leisten. Auch Deutschland. Geboten wäre es zudem, all | |
jenen Leuten das Handwerk zu legen, die die Isis-Kämpfer mit ständig neuem | |
Kanonenfutter beliefern. Und mit noch etwas kann sich Deutschland nützlich | |
machen: das PKK-Verbot aufheben. Im Nahen Osten gibt es auf absehbare Zeit | |
nicht viele Kräfte, mit denen Demokratie zu machen ist. Die Kurden gehören | |
dazu. | |
8 Aug 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bundesregierung.de/SiteGlobals/Forms/Webs/Breg/Suche/DE/Nachrich… | |
[2] http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2014/… | |
[3] http://www.titanic-magazin.de/heft/2014/august/ | |
[4] http://www.tagesschau.de/kommentar/irak1070.html | |
[5] http://www.faz.net/aktuell/politik/islamisten-aus-deutschland-reisende-kann… | |
[6] http://ezidipress.com/?p=2804 | |
[7] http://kurdische-gemeinde.de/dringender-appell-zum-schutz-der-kurdischen-ye… | |
[8] http://twitter.com/CaliphBagdadi/status/487921059988258816 | |
[9] http://www.amnesty.org/en/library/asset/MDE14/006/2009/en/c2e5ae23-b204-4b4… | |
[10] /IS-Kaempfer-erobern-christliche-Staedte/!143765/ | |
[11] /Extremismus-in-der-Tuerkei/!142153/ | |
[12] http://www.yeziden.de/index.php?id=16&L=0 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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