# taz.de -- Debatte über Flüchtlingsunterkunft: Flüchtlinge? Doch nicht bei … | |
> Der Bezirk Eimsbüttel will in einem der reichsten Viertel Hamburgs 220 | |
> Flüchtlinge unterbringen – und polarisiert damit. | |
Bild: Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts ruhen hier die Bauarbeiten: das… | |
HAMBURG taz |Die Sophienterrasse ist bloß eine kurze Straße, durch die man | |
in wenigen Minuten vom NDR am Rothenbaum runter zur Außenalster spazieren | |
kann. Und im Moment ist sie vor allem eine Baustelle. Der riesige | |
Gebäudekomplex des ehemaligen Generalkommandos der Wehrmacht wird schon | |
seit einer Weile in hochpreisige Eigentumswohnungen umgebaut, mit Kränen, | |
weiß-roten Absperrgittern, Baucontainern und allem Drum und Dran. | |
Schräg gegenüber im ehemaligen Kreiswehrersatzamt ruhen die Arbeiten | |
gerade. Aber Schuttcontainer stehen bereit und Zäune versperren den Zugang | |
zum Gebäude, das mit dem Ende der Wehrpflicht abgewickelt wurde und seitdem | |
leer steht. Das hätte sich im Frühjahr mit dem Einzug von 220 Flüchtlingen | |
ändern sollen. Aber das Hamburger Verwaltungsgericht gab einer Klage dreier | |
Anwohner statt und stoppte den Umbau. | |
“Flüchtlingsheim in Harvestehude: Mitten in den Wohlstand“ titelte Spiegel | |
Online, als im Herbst 2013 die Pläne für eine Flüchtlingsunterkunft in dem | |
Viertel bekannt wurden. In Harvesthude liegt das jährliche | |
Durchschnittseinkommen mit knapp 90.000 Euro mehr als doppelt so hoch wie | |
im Hamburger Durchschnitt. „Asyl trifft Luxus - Ein Experiment gegen | |
Ghettobildung“ schrieb Die Welt und auch die taz kam um „Arm dran im | |
Luxusviertel“ nicht herum. Nach dem vorläufigen Aus wurden die Kläger als | |
unsolidarisch, egoistisch und widerlich bezeichnet, die Entscheidung des | |
Gerichts als fatales Signal oder Schande für die ganze Stadt. | |
Es ist der vermeintlich so trennscharfe Gegensatz zwischen Arm und Reich, | |
der den Standort Sophienterrasse Nr. 1a symbolisch geradezu überfrachtet | |
hat. Die Stadt konnte damit prahlen, dass sie Hilfesuchende nicht nur in | |
Randlagen oder in armen Stadtteilen unterbringt. In der Berichterstattung | |
und den Kommentaren der LeserInnen blitzte Häme auf: Häme darüber, dass | |
jetzt endlich mal die Reichen zu spüren bekämen, was es heiße, Tür an Tür | |
mit Flüchtlingen zu wohnen. Denn darin scheint in der Stadt Einigkeit zu | |
herrschen: Flüchtlinge nebenan? Das muss ein Problem sein. | |
## Widerstand auch in Billstedt | |
“Die Menschen haben einfach Angst vor dem, was ihnen fremd ist und pflegen | |
dann ihre Vorurteile“, sagt Christiane Kreipe und legt „ihre Bibel“, wie | |
sie den zusammengehefteten Stoß bunter Din A 4 Zettel nennt, vor sich auf | |
den Tisch. Und zwar vom wohlhabenden Harvestehude bis in das eher | |
strukturschwache Billstedt, wo es zuletzt Widerstand gegen eine Unterkunft | |
mit 600 Plätzen in der Berzeliusstraße gab. „Die ablehnende Haltung wird | |
bloß unterschiedlich verpackt“, sagt sie. In Harvestehude sorgen sie sich | |
um den Wert ihrer Grundstücke und schieben dann fehlende günstige | |
Supermärkte vor, das sei doch keine Umgebung für Flüchtlinge. In Billstedt | |
sind sie schon abgehängt genug, das sei doch keine Umgebung für | |
Flüchtlinge. | |
Kreipe hat für die Sozialbehörde die Schuldenberatung neu aufgestellt, ein | |
Suchthilfesystem aufgebaut und war für die Wohnungslosenhilfe zuständig. | |
Als die Sozialbehörde 2012 auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagierte | |
und damit begann, Bezirke, Organisationen, Liegenschaft und Privatleute | |
aufzurufen, freie Flächen und Häuser für Unterkünfte zu melden, wurde | |
Kreipe ins Boot geholt. Seitdem prüft sie die Vorschläge und koordiniert | |
die Suche. Im ersten Jahr sollten sie 1.000 Plätze schaffen, eine lösbare | |
Aufgabe, dachte Kreipe. 2015 sollen es 5.000 Plätze sein, das wird schwer. | |
„Die Stadt wird immer enger – wir müssen nehmen, was wir kriegen können.�… | |
Heute sind fünf Leute in Kreipes Team, sie ist unzählige Kilometer durch | |
Hamburg gefahren, hat wohl jedes Argument der Gegner schon mal gehört und | |
sich bei Infoveranstaltungen sogar von der Polizei vor aufgebrachten | |
Anwohnern schützen lassen. „Die Frage, ob von den Nachbarn Widerstand zu | |
erwarten ist, spielt bei unserer Suche keine Rolle“, so Kreipe. Das könne | |
man sich nicht mehr leisten. | |
In „der Bibel“ ist nach Farben sortiert aufgelistet, was nicht auf den | |
ersten Blick beispielsweise wegen benachbarter Industrie durchgefallen ist: | |
Auf der grünen Liste stehen die bereits realisierten Unterkünfte, auf der | |
weißen die erst mal zurückgestellten. Auf der gelben Liste sind die | |
momentan rund 40 Flächen, die von der Lenkungsgruppe aus Vertretern der | |
Behörden, der Bezirksämter, des Landesbetriebs Immobilienmanagement und | |
Grundvermögen sowie vom Betreiber der Unterkünfte „fördern und wohnen“ | |
einstimmig für grundsätzlich geeignet befunden worden sind. Die | |
Sophienterrasse steht auf der gelben Liste. | |
## Sie nennt sich „privilegiert“ | |
Zur Freude von Hendrikje Blandow-Schlegel. Eben hat sie noch auf dem | |
Hamburger Isemarkt Pfannenwender aus Holz verteilt, auf denen ihr Name | |
steht. Kleine Geschenke für potentielle Wähler, denn sie will am 15. | |
Februar für die SPD in die Bürgerschaft gewählt werden. Jetzt bestellt sie | |
in dem Café, in dem der Kellner in schwarzem Anzug serviert und durch | |
dessen beinahe bodentiefe Fenster der Blick auf das Tennisstadion | |
Rotherbaum fällt, ein stilles Wasser mit einer halben Zitrone. „Etwas | |
spießig hier, aber ich mag es sehr“, sagt die Anwältin, die seit 17 Jahren | |
mit Mann und drei Kindern in Harvestehude lebt und sich selbst privilegiert | |
nennt. | |
„Eigentum verpflichtet“, sagt sie. Und „wer besonders viel hat, muss auch | |
besonders viel geben“. Im Februar 2014 gründete sie gemeinsam mit 58 | |
Nachbarn den Verein „Flüchtlingshilfe Harvestehude e. V.“, der mittlerweile | |
über 90 Mitglieder zählt. Tendenz steigend. Die Entscheidung ihrer | |
Nachbarn, gegen die Unterkunft zu klagen, nennt sie falsch, unmoralisch und | |
lebensfremd. Sie hat den Eindruck, dass diese ganze Sache das Viertel | |
verändere. „Die Leute unterhalten sich mehr und haben ein gemeinsames | |
Thema“, sagt sie. In den drei Klägern haben sie nun auch ein gemeinsames | |
Feindbild. Als die Pläne bekannt wurden, haben sich neben den Befürwortern | |
um Blandow-Schlegel auch die Gegner organisiert. 23 Nachbarn des | |
Kreiswehrersatzamtes wandten sich an den Anwalt Gero Tuttlewski. Der suchte | |
unter ihnen die drei erfolgversprechendsten Kläger aus und legte los. „Ich | |
habe selten ein Wohngebiet gesehen, dass so intakt ist und ich kann | |
verstehen, dass die Kläger das schützen wollen“, sagt er. Schützen wollen | |
die vor allem ihre Grundstückspreise, fürchten sie doch durch die | |
Unterkunft bis zu 500.000 Euro Wertverlust pro Nase. “Die Kläger waren auf | |
den massiven Gegenwind vorbereitet und schlafen deswegen jetzt nicht | |
schlecht oder so“, sagt Tuttlewski. Sie bekämen viel Zuspruch, weil sie | |
sich öffentlich gegen die Unterkunft gerade machten. Und wieso sollte | |
jemand auch auf seinen Rechtsanspruch verzichten? Tuttlewski findet es | |
nicht in Ordnung, dass Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den Anspruch seiner | |
Mandanten kürzlich als „abwegig“ bezeichnet hat. Das sei doch Wahlkampf. | |
„Hier ist das Feindbild so schön klar und alle sind sich einig: Da sitzen | |
die bösen Menschen.“ | |
Diese bösen Menschen wohnen in einem besonders geschützten Wohngebiet und | |
hatten deswegen mit ihrer Klage in erster Instanz Erfolg. Der Baustufenplan | |
von 1955 weist die Sophienterrasse als Teil eines „besonders geschütztes | |
Wohngebiet“ aus. Ein Begriff, der auf die Hamburger Baupolizeiverordnung | |
vom 8. Juni 1938 zurückgeht und in den besagten Gebieten etwa gewerbliche | |
und handwerkliche Betriebe und Läden verbietet. Bereits seit 1960 ist kein | |
neues Wohngebiet mehr so geschützt worden und es muss die Frage erlaubt | |
sein, ob sich dieses Bild der strikten Trennung von Wohnen und Arbeiten | |
nicht längst überholt hat. „Das hat mit unserer Lebenswelt nichts zu tun“, | |
sagt Blandow-Schlegel. Im Viertel arbeiteten doch viele Anwälte, | |
Psychotherapeuten und Unternehmensberater von zu Hause aus, teilweise auch | |
die Kläger. An den Soldaten, die jahrzehntelang im Kreiswehrersatzamt ein- | |
und ausgingen, hat sich jedenfalls keiner der jetzt klagenden Nachbarn | |
gestört. An den Flüchtlingen schon. | |
## Kein Druckmittel | |
Weil es keinen festen Schlüssel gibt, der festlegt, welcher Bezirk wie | |
viele Flüchtlinge aufnehmen soll und muss, gibt es durchaus noch | |
Ungleichheiten. Ärmere Bezirke wie Bergedorf und Hamburg Mitte haben fast | |
doppelt so viele Flüchtlinge aufgenommen wie etwa der Bezirk Eimsbüttel, in | |
dem die Sophienterrasse liegt. Die Sozialbehörde hat auch kein Druckmittel, | |
außer im Netz alle Standorte in Korrelation mit der Einwohnerzahl der | |
Bezirke aufzulisten. Das soll für eine gesunde Konkurrenz unter den | |
Bezirken sorgen. | |
Aber bei all der Empörung, die sich am Arm-Reich-Kontrast entzündet, | |
beobachtet Kreipe einen anderen Trend. „Seit etwa einem Jahr hat sich die | |
Stimmung in der Stadt gedreht“, sagt sie. Am Anfang hat es schlimme | |
Veranstaltungen gegeben, sie wurde wüst beschimpft. Jetzt erlebt sie es | |
zunehmend so, dass die betroffenen Nachbarn ihrem Ärger zwar erst mal Luft | |
machen, sich dann aber wieder abregen. Es helfe auch, dass sie auf immer | |
mehr Unterkünfte verweisen können, die problemlos liefen. Denn weder | |
schieße die Kriminalität in die Höhe noch vermülle die Gegend. Außerdem | |
melden seit einem halben Jahr immer mehr Privatpersonen potentielle Flächen | |
und Gebäude, leerstehende Bürogebäude zum Beispiel oder ausgediente Hotels. | |
„Die Flüchtlinge sind ja da und die Menschen in der Stadt scheinen langsam | |
zu begreifen, dass die Unterkünfte keine Schikanen, sondern schlicht | |
notwendig sind“, sagt Kreipe. Auch meldeten sich immer mehr ehrenamtliche | |
Helfer. Nicht nur in Harvesthude. | |
Blandow-Schlegel nennt das Vorgehen der Kläger manipulativ. „Sie tun so, | |
als ob sie nicht gegen Flüchtlinge wären und es ihnen nur um die Anzahl der | |
Menschen geht“, sagt sie. Aber das sei doch nur vorgeschoben. Wenn hier nur | |
30 bis 50 Menschen untergebracht würden, wie der Anwalt der Kläger fordere, | |
könne man sich ja vorstellen, was dann los sei. „Dann wird dem Vorwurf | |
’Luxusunterkunft im Luxusviertel‘ noch mehr Vorschub geleistet“, sagt sie. | |
Wenn schon investiert werde, sollten doch möglichst viele Menschen etwas | |
davon haben. Außerdem könne die Stadt, die das Grundstück an der | |
Sophienterrasse für rund 15 Millionen Euro vom Bund gekauft hat, diese | |
Investition abschreiben und vielleicht in zehn Jahren gewinnbringend | |
verkaufen. | |
Sie findet es abwegig, dass einige wenige die Mehrheit dominieren. | |
Natürlich respektiere sie das Urteil, man lebe ja in einem Rechtsstaat. | |
Aber so ganz zufrieden sieht sie dabei nicht aus. Es gehe doch um den | |
Zusammenhalt in der Gesellschaft, alle müssten sich doch der Verantwortung | |
bewusst sein. Die Entscheidung des Gerichts hat sie dann doch überrascht. | |
Das Bezirksamt hat gegen das Urteil Beschwerde eingelegt. Nun entscheidet | |
das Oberverwaltungsgericht über die Unterkunft in Harvestehude. | |
1 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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