# taz.de -- Kolumne Bestellen und Versenden: Leninistisch aufpimpen | |
> Linke Intellektuelle auf Rettungsmission: Slavoj Zizek und Co. wollen den | |
> Liberalismus besser machen – durch mehr linke Disziplin. | |
Bild: Welt retten ist Pionierarbeit. | |
Bisher ist niemand auf den Vorschlag eingegangen. Mehrfach hat der | |
slowenische Provo-Philosoph Slavoj Zizek dem westlichen Liberalismus | |
zuletzt Schützenhilfe angeboten. Alleine sei der nämlich wehrlos, es | |
brauche die radikale Linke, um Europa vor dem islamischen Fundamentalismus | |
zu retten. Dass „der Westen“ zu unentschlossen, zu müde und zu schwach auf | |
der Brust ist – das ist auch die Klage konservativer und | |
rechtspopulistischer Kommentatoren. | |
Statt identitärer Abschottung weiß Genosse Zizek aber eine sympathischere | |
Antwort: Revolutionäre Begierden und Kräfte müssten umgeleitet werden. In | |
seinen Beiträgen im New Statesman und in der [1][Zeit] verweist er auf | |
Walter Benjamins Sentenz, wonach jeder Faschismus von einer gescheiterten | |
Revolution zeuge. | |
Vulgarisiert und in die triste Gegenwart übersetzt heißt das wohl: In jedem | |
desorientierten Dschihad-Fascho steckt ein verhinderter Revolutionär. Jede | |
inszenierte Hinrichtung richtet sich über tausend Umwege eigentlich ja | |
gegen den Kapitalismus. Und selbst die Pegida-Leute könnten links sein, | |
wenn eben die Linke nur anziehender und stärker wäre. Doch wie sollen die | |
potenziell widerständigen Subjekte, deren revolutionäre Energie | |
fehlgeleitet wurde, „abgeholt“ werden, wie es im Jargon der Realpolitik | |
heißt? | |
Das Zizek-Archiv gibt Auskunft. In dem 2011 erschienenen Buch „Die bösen | |
Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert“ | |
plädiert der Philosoph dafür, die militärische Tugend „Disziplin“ für e… | |
erneuerte Politik der Linken brauchbar zu machen. | |
## Mehr Disziplin! | |
Wenn Zizek dem westlichen Liberalismus nun Beihilfe andient, heißt das | |
dann: Der armselige Toleranz-Liberalismus soll gleichsam leninistisch | |
aufgepimpt werden. Ein paar klare Ansagen von oben – so Zizeks Hoffnung – | |
täten nicht nur den Multikulti-Weicheiern gut, sie fänden auch Gehör bei | |
den autoritären Charakteren vom IS. | |
Zizeks intellektueller Kumpel Alain Badiou stieß vor einer Weile in ein | |
ähnliches Horn, als er in einem langen Gespräch mit Alain Finkielkraut | |
meinte, deklassierte französische Jugendliche bräuchten mehr „politische | |
Disziplin“ (auf Deutsch im Passagen-Verlag erschienen als „Klartext. Eine | |
Kontroverse“). In welcher Institution diese „Disziplin“ erzwungen werden | |
soll, bleibt allerdings nebulös. Finden sich jugendliche Dschihadisten, | |
Multikulti-Liberale und hedonistische Linke demnächst im neoleninistischen | |
Bootcamp wieder? | |
Warum biedert sich Zizek plötzlich kompromisslerisch beim realpolitischen | |
Mainstream an, den er doch sonst so verachtet? Will er die „linke | |
Melancholie“ hinter sich lassen, indem er sich in krassen Zeiten als Retter | |
in der Not nützlich macht? Vielleicht ist es einfach idealistischer | |
Größenwahn, zu glauben, nur die Linke könnte die auseinanderfallende Welt | |
erretten. Zizeks Koalition aus „weichen“ Liberalen und „harten“ Linken | |
erinnert dabei ein bisschen an die Arbeitsteilung der frühen neunziger | |
Jahre, als Bürger der Mitte Lichterketten bildeten und die Antifa im Osten | |
die Drecksarbeit machte und Nazis bashte. | |
Was eine realpolitisch orientierte Linke jenseits des Verteidigungskampfes | |
anzubieten hätte, deutet der britische Autor Colin Cremin in seinem neuen | |
Buch „Totalled. Salvaging The Future From The Wreckage Of Capitalism“ an. | |
Zizek höchstpersönlich annonciert es auf dem Cover als „Kompass, mit dem | |
wir uns in obskuren und verworrenen Zeiten orientieren können“. Cremin | |
diagnostiziert ein „apokalyptisches Zeitalter“ und beklagt wie sein | |
Fürsprecher die „historische Schwäche der Linken“. | |
Auch der in Neuseeland lehrende Soziologe ist auf Rettungsmission. Zwar | |
wünscht Cremin sich ebenso mehr leninistische Orga von oben, am Ende des | |
Buches stellt er aber einen 15-Punkte-Plan vor, der sich wie eine | |
pragmatische Handreichung für Koalitionsverhandlungen zwischen links und | |
liberal liest. Reichensteuer, Rekommunalisierung, Umweltschutz, | |
Wiederaneignung des öffentlichen Raums etc., viel Richtiges, allzu | |
Richtiges hat Cremin aufgeschrieben, wobei man seiner antiimperialistischen | |
Forderung „Free the Nations“ nicht vorbehaltlos zustimmen will. | |
Hauptsache aber, man muss sich nicht disziplinieren lassen. Zu viel, wofür | |
es sich zu leben lohnt, käme bei der leninistischen Rettungsaktion wohl | |
unter die Räder. Lieber Softie bleiben und die Faschisten trotzdem | |
besiegen. | |
12 Feb 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/autoren/Z/Slavoj_Zizek/index.xml | |
## AUTOREN | |
Aram Lintzel | |
## TAGS | |
Slavoj Zizek | |
Liberalismus | |
Philosophie | |
Journalismus | |
DDR | |
Berliner Volksbühne | |
Postkolonialismus | |
Islamophobie | |
Schwerpunkt Erster Weltkrieg | |
Journalismus | |
Schweiß | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wissenschafts-Fake bei „Badiou Studies“: Ergibt absolut keinen Sinn | |
Die akademische Zeitschrift „Badiou Studies“ fällt auf einen Fake herein. | |
Sie veröffentlichte den Text einer Autorin, die es gar nicht gibt. | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Der prekäre Hamster | |
„Nein! Nein! Nein!“: Über den Twitter-Aphoristiker Eric Jarosinski, die | |
Politik der Verweigerung und die Metapher des Hamsterrads. | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Die Wutschreiber | |
Was haben der linke Kolumnist Georg Diez und der neoreaktionäre Harald | |
Martenstein miteinander zu tun? Alles. | |
Überbleibsel aus der DDR: Deutschland, deine Lenins | |
An Leninstatuen entladen sich ideologische Grabenkämpfe und persönliche | |
Schicksale. Ein Besuch bei den zwei letzten deutschen Denkmälern. | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Nach der Blockadepolitik | |
Unmöglich für Kulturinteressierte, sich zur Berliner Volksbühnen-Frage | |
nicht zu positionieren. Eventkultur? Gerne, wenn man sie mit Žižek | |
versteht. | |
Kolumne Bestellen und versenden: Die Widersprüche Europas | |
Wer sich heute an Vernunftkritik versucht, wird oft als | |
Terroristenversteher geschmäht. Doch es gibt Hoffnung für linke | |
Rationalismuskritiker. | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Wir Kleinbürger | |
Die Kommentatoren der zivilisierten Mitte diagnostizieren bei | |
„Pegida“-Anhängern „kleinbürgerliche Ängste“. Sie reden dabei aber g… | |
über sich. | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Der Affekt wider das Ritual | |
Statt „Man wird doch noch mal sagen dürfen“ heißt es nun: „Man wird doch | |
noch mal anders erinnern dürfen.“ Über das Supergedenkjahr 2014. | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Lieber subjektive Trugbilder | |
Ich-Journalismus ist eitel und öde? Das Teilen subjektiver Erfahrungen | |
entspricht den flachen Hierarchien des Netzzeitalters. Und ist obendrein | |
ehrlicher. | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Alles sauber am Spielplatz | |
Distanzierende Satzbausteine, die eine neue Klassenlage rhetorisch | |
abspalten: über die neue Bürgerlichkeit und ihre reaktionären Wünsche. |