# taz.de -- Kolumne Bestellen und Versenden: Die Wutschreiber | |
> Was haben der linke Kolumnist Georg Diez und der neoreaktionäre Harald | |
> Martenstein miteinander zu tun? Alles. | |
Bild: Georg Diez. Auch nur so ein Martenstein. | |
Wer von Martenstein-Kolumnen redet, darf von Diez-Kolumnen nicht | |
schweigen“, schrieb der Freitag-Redakteur Michael Angele [1][jüngst auf | |
Facebook], als er sich über einen Satz in der Georg- Diez-Kolumne [2][“Der | |
Kritiker“] bei Spiegel Online ärgerte. „Die Grenzen, an denen Menschen | |
sterben, werden im Feuilleton neu errichtet“, [3][hieß es da]. | |
Von Angeles Aufforderung fühle ich mich herausgefordert, denn auch ich rede | |
gerne und viel über Harald Martenstein, nicht nur wegen seiner | |
neoreaktionären Kolumnen im Zeit-Magazin. Fast wöchentlich begegne ich ihm | |
beim Bäcker, neulich schubste mich der rücksichtslose Antifeminist an einer | |
Engstelle fast samt Kinderanhänger in den Landwehrkanal. | |
Aber was haben der linke Meinungskönig Diez und der kulturechte Martenstein | |
eigentlich miteinander zu tun, fragte ich mich. Vielleicht ist es so, dass | |
Georg Diez ein Martenstein unter umgekehrten politischen Vorzeichen ist. | |
Wie Martenstein erhebt er seine Stimme gegen einen angeblichen | |
Meinungsmainstream und gefällt sich in der Pose des um sich schlagenden | |
Solitärs. Und wie Martenstein ist Diez ein Renegat, der sich von seinem | |
Exmilieu ideologisch losgesagt hat und sich deshalb umso entschiedener | |
dagegen wenden muss. | |
Während Martenstein vor Jahren der DKP den Rücken kehrte, hat Diez eines | |
Tages entschieden, sein Münchner Popper-Milieu zu verlassen und links zu | |
werden. Meine Ferndiagnose: Diez ist eine einstige „Generation Golf“-Type, | |
die eines Tages Linkssein irgendwie schicker fand. Seither muss er | |
beweisen, dass er auf der richtigen Seite angekommen ist. | |
## Rhetorischer Hass | |
In der nunmehr feindlichen Umwelt erkennt der Popper-Linke „Umfaller, | |
Opportunisten, Mitläufer, Mitmacher, Stillhalter, Jasager“. Oder auch: | |
„Konfektionsliteratur und Konsenskritik fürs Kuschelland“ (gemeint sind | |
alle Autoren außer Diez). Oder auch: „Placebo-Diskurse – Ausweich- und | |
Ablenkungsmanöver, die dazu dienen, dass sich die Menschen, die diese | |
Diskurse führen, selbst besser fühlen“ (gemeint sind alle Diskurse außer | |
den von Diez angezettelten). | |
Die typische Diez-Kolumne ist getrieben von rhetorischem Hass auf | |
bürgerliche Pressevertreter und das „mediale Mehltau-Land“. Auch sonst ist | |
alles doof. Diez über die komplette zeitgenössische Kunst (Ausnahme: Post | |
Internet Art): „Diese Kunst ohne Richtung, ohne Vorstellung von Morgen, | |
ohne Perspektive und Zukunft und Wut und Utopie, eine Aufgebekunst, eine | |
Ergebenheitskunst, eine Kunst, die die ästhetischen Fragen durch | |
finanzielle Überlegungen ersetzte, weil der Wert eines Kunstwerks sein Wert | |
war.“ | |
Zwar ist manche Diez-Position, etwa zur Flüchtlingspolitik, zu begrüßen – | |
doch bei aller inhaltlichen Sympathie ist mir sein maßloses Meinungspathos | |
unsympathisch. Zu muskulös schwingt der Drama-King des deutschen | |
Journalismus die ideologiekritische Keule, zu holzschnittartig sind die | |
Feinde zurechtgeschnitzt, zu schnittig trumpft der Links-Popper im Ton auf. | |
Ein bisschen mehr (Selbst-)Zweifel wären schon angenehm in dieser immer | |
thetischen, nie subtilen Sprecherposition, die sich ständig selbst | |
stabilisieren will. | |
In postheroischen Zeiten versucht Diez den Heroismus zu retten, wirft den | |
Mächtigen „Verrat“ und „konfliktscheue Hasenhaftigkeit“ vor und denunz… | |
„die große Koalition der Kopfnicker“. Dass das Ressentiment gegen Konsens | |
und Kompromiss auch im AfD-Milieu gepflegt wird, reflektiert er nicht mit. | |
## Heißer Scheiß im 80er-Sound | |
Ob diese Daueremphase als Gegengift gegen eine linke Melancholie gemeint | |
ist? Gern bringt Diez Gegenwart und Zukunft gegen die Vergangenheit in | |
Stellung. Wenn er sich affirmativ an heißen Scheiß wie Akzelerationismus | |
oder Post Internet Art dranhängt, seine Zukunftseuphorie aber im | |
Behauptungs-Jive der 80er-Jahre vorträgt – in einem an Tempo-Zeiten | |
erinnernden Sound –, dann ist das wohl ein performativer Widerspruch. | |
Man könnte seine Schreibweise aber auch als ein Symptom eines Journalismus | |
lesen, in dem es mehr auf steile Meinungen ankommt als auf abwägende | |
Urteile. Insofern ist Georg Diez ein Symptom, mit dem man sich als Autor | |
solidarisch erklären sollte. Die deutsche Presselandschaft ist geprägt von | |
einer Inflation des Kolumnenformats, und dass man hier als Autor unter | |
erhöhtem Thesen- und Behauptungsstress steht, weiß ich aus eigener | |
Erfahrung. | |
„Ungerechtigkeit wird unterschätzt“, schrieb Diez in seiner Kolumne über | |
das neue „Literarische Quartett“ programmatisch. Das Gegenteil dürfte | |
stimmen: Die Waffen des Wutschreibers drohen stumpf zu werden, bevor die | |
Zukunft begonnen hat. | |
15 Jul 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.facebook.com/michael.angele.18/posts/10204591862623212?pnref=sto… | |
[2] http://www.spiegel.de/impressum/autor-1529.html | |
[3] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fluechtlinge-protest-beerdigung-i… | |
## AUTOREN | |
Aram Lintzel | |
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